Niger: Ein Exempel wird es so oder so

Meinung Mit dem Umsturz in Niamey wird der Kampf um externe Einflüsse und Regierungsformen in Westafrika noch entschiedener geführt als bisher schon. Nach Burkina Faso und Mali soll Niger kein Gesetz der Serie begründen
Nigrer, die eine Flagge von Burkina Faso (l) und Niger und ein Schild mit der Aufschrift „Gemeinsam werden wir es schaffen“ halten, nehmen an einem Marsch teil, zu dem Anhänger von General Omar Tchianis aufgerufen hatten. Nach dem Putsch im Niger sichern Tausende dem Militär ihre Unterstützung zu
Nigrer, die eine Flagge von Burkina Faso (l) und Niger und ein Schild mit der Aufschrift „Gemeinsam werden wir es schaffen“ halten, nehmen an einem Marsch teil, zu dem Anhänger von General Omar Tchianis aufgerufen hatten. Nach dem Putsch im Niger sichern Tausende dem Militär ihre Unterstützung zu

Foto: Djibo Issifou/picture alliance/dpa

Wenn Burkina Faso und Mali mit ihren Militärregierungen eigene Wege gehen, soll das nicht zum Dominoeffekt führen, indem nun auch Niger ausschert. Um das zu verhindern, wird notfalls ein Exempel statuiert, um die Verhältnisse wiederherzustellen, wie sie bis zum 27. Juli herrschten. Das jedenfalls scheint die Devise der USA und der EU, speziell Frankreichs und Deutschlands, zu sein, ebenso der Afrikanischen Union und der Westafrikanischen Gemeinschaft ECOWAS.

Risiken liegen auf der Hand

Am Donnerstag vergangener Woche haben in Niamey hohe Militärs revoltiert und den bisherigen StaatschefMohamed Bazoumab- und unter Hausarrest gesetzt. Ihnen soll Paroli geboten werden. Devise: Bis hierhin und nicht weiter. Niger könnte zum Präzedenzfall beim Kampf um Einflusssphären und Geltungsmacht, Souveränität und Selbstbestimmung im frankophonen Afrika werden. Dass sich die ECOWAS-Gruppe am Wochenende energisch gegen die neuen Machthaber in Niamey ins Zeug gelegt hat und sogar mit dem Einsatz militärischer Gewalt droht, sollten sie nicht binnen einer Woche den Rückzug antreten, sieht nach entschiedenem Eingreifen aus. Freilich sollte es nicht überbewertet und darauf verwiesen werden, dass sich Risiken aussetzt, wer überreagiert.

Zunächst handeln die 15 ECOWAS-Mitglieder keineswegs im Konsens. Mali und Burkina Faso sind bereits suspendiert, Niger nun ebenfalls, Guinea-Bissau und Guinea machen Vorbehalte geltend. Nigeria ist der Wortführer und Anwalt eines harten Kurses, doch ruft das Erinnerungen wach, die zur Vorsicht mahnen. Im Übrigen muss es ECOWAS in der Region nicht zum Vorteil gereichen, dass US-Außenminister Antony Blinken ausdrücklich gutheißt, was angedroht wird.

Parallelen zur Lage in Mali 2012/13 und den damaligen Reaktionen sind nicht zu übersehen. In Bamako hatten im März 2012 ebenfalls Offiziere revoltiert, um sich gegen eine prowestliche Regierung zu wenden, die wenig bis nichts gegen sezessionistische Bestrebungen im Norden des Landes unternahm. Im Sog des durch die Intervention mehrerer NATO-Staaten 2011 bewirkten Sturzes von Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi hatten in Nordmali mit diesem verbündete Tuareg-Gruppen drei Provinzen (Entität Azawad) für souverän erklärt. Das wiederum rief die dschihadistischen Verbände „Ansar Dine“ und „Al Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM)“ auf den Plan, die gleichfalls dafür kämpften, den Norden Malis zu separieren, und dort ein Kalifat errichten wollten.

Operation „Serval“

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich mit ihren elementaren wirtschaftlichen Interessen in Mali und dessen Nachbarstaat Niger fühlte sich berufen einzugreifen. Es kam Anfang 2013 zur „Operation Serval“, die zunächst 1.400, später 2.500 Soldaten rekrutierte. An ihrer Seite standen 3.300 Mann aus einer „ECOWAS-Eingreiftruppe“ – der Beginn einer Dekade, in der Mali einer mächtigen ausländischen Militärpräsenz ausgesetzt war. Frühzeitig hatte sich daran auch die Bundeswehr beteiligt. Sie stellte Transall-Militärtransporter zur Verfügung, um das ECOWAS-Korps nach Mali zu fliegen, bevor der Einsatz in Ausbildungsmissionen der EU und innerhalb des MINUSMA-Korps der Vereinten Nationen begann.

Die Ergebnisse sind hinreichend bekannt. Ende des Jahres soll der Abzug aller fremden Militärkräfte aus Mali abgeschlossen sein. Die Regierung in Bamako hat das kompromisslos verlangt, der UN-Sicherheitsrat musste ihr am 30. Juni den Gefallen tun und das beschließen.

Damit sind die Parallelen zwischen Mali und Niger keineswegs ausgeschöpft. Als in Bamako im März 2012 hohe Militärs aus ähnlichenGründen wie soeben in Niamey einen Präsidenten stürzten – seinerzeit war dasAmadou Toumani Touré – wurden durch die ECOWAS-Staaten die gleichen Strafen gegen die „Täter“ verhängt wie jetzt gegen die inNiger: multilaterale Entwicklungshilfe wurde ausgesetzt und die Mitgliedschaft bei ECOWAS suspendiert. Hinzu kamen Sanktionen wie Reisesperren und die Androhung militärischer Maßnahmen (die es nach einem Ultimatum von drei Tagen geben sollte, nicht einer Woche wie jetzt). Offenbar gibt es eine Art Blaupause, auf die erneut zurückgegriffen wird, weil das 2012 nicht ohne Wirkung blieb. Zwar blieb Mali-Präsident Touré das Amt verwehrt, doch akzeptierten die Putschisten – zunächst – ein ziviles Übergangskabinett, das Wahlen vorbereiten sollte, und zogen sich zurück.

Könnte das in Niger ähnlich laufen? Zweifel sind angebracht. Sollten ECOWAS-Truppen intervenieren, hätten sie diesmal wohl kaum Frankreich oder Deutschland an ihrer Seite. Ganz abgesehen davon, dass man sich dann auch mit einer einheimischen Bevölkerung konfrontiert sähe, die größtenteils gutheißt, dass es einen Machtwechsel gibt.

Unumgängliche Neuordnung

Das Entscheidende ist jedoch, dass es für die USA, die EU und die ECOWAS-Staaten wenig ratsam erscheint, sich einer Neuordnung in der Sahelzone widersetzen zu wollen, sondern sich stattdessen darum zu bemühen, an deren Aushandlung teilzunehmen.

Feststeht, dass es neuartige Interaktionen zwischen Staaten Afrikas gibt wie nie zuvor seit dem Ende der Kolonialzeit in den 1960er Jahren. Diese neuen „Regionalismen“ erfassen das Horn von Afrika ebenso wie die Sahelzone. Sie legitimieren sich durch die Abwehr postkolonialer Abhängigkeiten, etwa von Frankreich. Dieses „Gesetz der Serie“ erfasst Burkina Faso, Mali und Niger so oder so. Aufhalten lässt sich das kaum.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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