Erstarrte, entsetzte, trauernde, von Tüchern verhüllte Gesichter. Sprachlosigkeit, Tränen, Gedenken, Anteilnahme. Moskau steht am Wochenende nach dem Attentat auf die Konzerthalle im Vorort Krasnogorsk und den 137 Toten unter Schock. Sicher ist es nicht übertrieben, auf einen seelischen Ausnahmezustand zu schließen. Dem ganzen Land scheint es kaum anders zu gehen.
Ein Russland, besonders seine großen Städte nicht verschonender, zumeist islamistischer Terror schien zuletzt – wenn nicht völlig überwunden – so doch gebannt oder eingedämmt. Jahre des Grauens zu erinnern, das hieß, sich an die Vergangenheit zu halten, nicht die Gegenwart.
Anschläge auf die U-Bahn in Moskau
Wann hatten diese Jahre begonnen? Infrage kam der 14.
ht die Gegenwart.Anschläge auf die U-Bahn in MoskauWann hatten diese Jahre begonnen? Infrage kam der 14. Juni 1995, als in der südlichen Kleinstadt Budjonnowsk das Kommando Shamil Basajew ein Krankenhaus stürmte und tausend Patienten als Geiseln nahm. Ein Gewaltakt, der in makabrer Weise noch übertroffen werden sollte, als im Sommer 1999 in Moskau mehrere Wohnhäuser in die Luft gesprengt wurden, und es eine nie endgültig feststehende Zahl von Toten gab.In Verbrechen wie diesen entluden sich schwere Konflikte um den Bestand und die territoriale Integrität der Russischen Föderation, als Teilrepubliken im Kaukasus (Tschetschenien) ausbrechen wollten, und der Zentralstaat das mit exemplarischer Härte verhinderte. Offenbar wurden die destruktive Energie und Anarchie des postsowjetischen Zeitalters, doch ebenso die Konsequenzen einer überstürzten, willkürlichen und wenig vorbereiteten Aufgabe einer Union der Republiken Ende 1991. Die in kurzer Zeit ausgerufenen neuen Staaten waren zwar formal souverän, aber alles andere als gefestigt. Überdies belasteten umstrittene Grenzen und multiethnische Bevölkerungen. Was an Auseinandersetzungen aufbrach, führte häufig zu regionalen Kriegen wie zwischen Armenien und Aserbaidschan um Nagorny Karabach. Statt einem dauerhaften Frieden den Vorzug zu geben, wurde Befriedung zum scheinbar probaten Mittel.Russland treffen Terrorakte immer wieder mit unerbittlicher Brutalität und werden durch den autoritären Staat mit eben solcher Härte vergolten.Vor gut sieben Jahren, am 3. April 2017, steht in St. Petersburg ein aufgesprengter Metrowaggon in der Station Technologitscheski Institut. Auf dem Bahnsteig liegen Tote und Verletzte. Der 22-jährige Akbarschon Jalilow, ein aus Kirgisien stammender russischer Staatsbürger, hat in einem Zug der Linie Zwei eine am Körper versteckte Bombe gezündet, die 14 Menschen in den Tod reißt. Tags darauf steigt die Zahl der Opfer auf 16, als zwei Schwerverletzte von den Ärzten nicht mehr gerettet werden können.Bereits am 21. März 2010 hat es Anschläge auf die Untergrundbahn in Moskau gegeben. Als ein Zug um 7.56 Ortszeit in die Station Lubjanka einfährt, kommt es in einem Waggon zur Detonation, 42 Minuten später wiederholt sich Gleiches im Bahnhof Park Kultury. Das Doppelattentat fordert 41 Menschenleben – Moskauer während der morgendlichen Rush Hour auf dem Weg zur Arbeit, ins Büro, nach Hause. Wie sich bei den Ermittlungen herausstellt, waren es zwei Frauen aus der russischen Teilrepublik Dagestan, die mit Sprengstoffgürteln am Körper in die Züge stiegen. Ein fast identisches Tatmuster gibt es ein Jahr zuvor im Express Moskau – St. Petersburg, als 26 Menschen sterben.Russland schlägt mit Brutalität zurückIm Spätsommer 1999 beginnt – noch unter dem Präsidenten Boris Jelzin und dem gerade ins Amt gekommenen Premierminister Wladimir Putin – der zweite Tschetschenien-Krieg, der fast ein Jahrzehnt dauert. Gegen eine islamistische Guerilla – gebildet überwiegend aus Wahhabiten, die zum strikten Separatismus keine Alternative akzeptieren wollen – führt die russische Armee einen Krieg ohne Regeln und Rücksichten. Er ist mit der Bombardierung von Dörfern wie mit „Säuberungsaktionen“ verbunden, bei denen Menschen verschwinden, die nie mehr oder als verstümmelte Leichen wieder auftauchen. Kein Staatsanwalt ermittelt. Längst gescheitert ist der 1996 geschlossene Friedensvertrag von Chasawjurt, ausgehandelt zwischen dem tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow und General Alexander Lebed, dem Emissär der Regierung in Moskau.Für dschihadistische Kombattanten aus der Kaukasusregion, nicht nur aus Tschetschenien, ebenso aus Dagestan und Inguschetien, erscheinen Terrorakte eine effektive Möglichkeit, um auf militärische Unterlegenheit in einem asymmetrischen Konflikt zu reagieren.Auf furchtbare Weise deutlich wird das am 1. September 2004 beim bewaffneten Überfall auf die „Schule Nr.1“ im nordossetischen Beslan. An diesem Tag sollen Sechs- und Siebenjährige, begleitet von ihren Eltern, eingeschult werden. Man lässt gerade Hunderte von Luftballons in den Himmel steigen, als ein Terrorkommando auf das Schulgelände vordringt und mehr als tausend Geiseln nimmt. Was geschieht, bricht mit dem Tabu von der Unantastbarkeit eines Kindes. Nach drei Tagen endet die Besetzung mit einem Inferno, als die Befreiungsaktion der Anti-Terroreinheiten ALFA und Wympel ein Massaker nicht verhindert und – offiziell – 332 Tote, davon 176 Kinder – zu beklagen sind.Unter den Attentätern sind vier in Schwarz gekleidete Frauen. Bald „Schwarze Witwen“ genannt. Als Rächerinnen ihrer Männer sind sie auch am Anschlag auf das Moskauer Dubrowka-Theater am 23. Oktober 2002 beteiligt, als während der Aufführung des Musicals „Nordost“ um die 50 Maskierten das Gebäude besetzen und sich im Theatersaal verbarrikadieren. Die Geiselnahme von 850 Theaterbesuchern endet nach zweieinhalb Tagen, als Spezialeinheiten des FSB durch die Lüftungsanlage ein betäubendes Gas einleiten und die Terroristen dadurch ausschalten. Nur sind die medizinischen Vorkehrungen, die getroffen worden sind, derart unzureichend, dass auch 150 der im Theater Gefangenen den Gaseinsatz nicht überleben.