Verspielt und verloren

Ostukraine Die Regierung in Kiew büßt weiter an Regierungsautorität ein, wie die Ereignisse im Osten des Landes zeigen. Sie erntet die Früchte einer Politik der Polarisierung
Ausgabe 16/2014
Demonstranten im ostukrainischen Lugansk zeigen die Fahne der Sowjetunion
Demonstranten im ostukrainischen Lugansk zeigen die Fahne der Sowjetunion

Foto Dimitar Dilkoff / AFP

Um es gleich am Anfang zu sagen: Wer vor Wochen brennende Autoreifen und Barrikaden in Kiew, ein besetztes Luxushotel und eine gekaperte Stadtverwaltung als Zeichen revolutionärer Dynamik feierte, sollte auch gegenüber den Aufrührern in Donezk, Charkow, Lugansk und anderswo Gnade walten lassen. Der Kiewer Majdan spielt nun im Osten und Westen der Ukraine. Die Gefahr eines Bürgerkrieges bestand dort und besteht hier. Und hier wie dort steht im Hintergrund die Abwägung, wo hört der zivile Ungehorsam auf, und wann beginnt der Verfassungsbruch?

In den Wind gesprochen

Wie konnte ein Land derart auf die schiefe Bahn geraten? Die Frage ist müßig, weil längst beantwortet. Weit vor dem Janukowytsch-Sturz am 21. Februar. Es gab Warnungen zuhauf. Sie wurden wiederholt, bis die Worte wie Asche im Munde schmeckten: Die Ukraine ist ein fragiler, schnell entflammbarer Staat. Er verträgt keine Erschütterungen. Allein die angeschlagene Ökonomie und ein drohender Staatsbankrott verbieten das. Nichts wäre dieser zerklüfteten Gesellschaft abträglicher, als in eine Kraftprobe zwischen Russland und dem Westen zu geraten. Sie kann nur verlieren, weil zerrieben werden. Alles in den Wind gesprochen. Was sich nun ebenso rächt, wie das Unvermögen der Kiewer Übergangsregierung zwischen den Lagern und Regionen zu moderieren, statt zu polarisieren.

Die Turtschinows und Jazenjuks mussten doch wissen, wer nicht durch Wahlen legitimiert ist, braucht politische Entscheidungen, um sich zu legitimieren. Der hat sich zwar im Konflikt mit einem abgewirtschafteten Präsidenten in der Hauptstadt durchgesetzt, aber damit nicht das Land gewonnen. Der ist gut beraten, als Konfliktpartei anzudanken, um als überparteiliche Administration zu überzeugen. Der hat Besseres zu tun, als eine Nationalgarde zu gründen und die russische Sprache zu degradieren. Der muss alles vermeiden, was die Ostukraine verschreckt und Russland in die Arme treibt. In der immerhin von drei EU-Außenministern unterschriebenen „Kiewer Vereinbarung“ vom 21. Februar war die Bildung einer „Übergangsregierung der nationalen Einheit“ vorgesehen. Das Gegenteil ist passiert.

Ein Scherbenhaufen

Was daran besonders irritiert, ist weniger das Verhalten der Akteure in Kiew als die Bereitschaft des Westens, es mitzutragen oder zu tolerieren. Das Ergebnis ist ein fataler Automatismus: Je mehr die ukrainische Regierung an Regierungsautorität verliert, desto stärker exponieren sich die USA und EU ihrerseits als Konfliktpartei und suchen die Schuld bei Russland. Von einer verfahrenen Situation zu reden, wäre Schönfärberei. Scherbenhaufen trifft es besser. Selten zuvor hat die EU ihre Interessen so sehr verkannt wie durch eine Ukraine-Politik, in der das Prestigeduell mit Moskau wichtiger ist als der Erhalt eines Landes. Was will man denn? Partner in Kiew, mit denen sich Kredite aushandeln lassen, auf deren Rückzahlung Verlass ist, oder antirussische Überzeugungstäter? Was will der IWF? Welchen Sinn haben Reformauflagen, wenn die in einem Teil des Landes nicht durchsetzbar sind? Warum geben die USA eine magere Milliarde Dollar, die nur als Kreditgarantie gedacht sind und nicht als Soforthilfe fließen? Traut US-Präsident Obama seinem gegen Russland gerichteten Kurs etwa nicht zu, dass er die Ukraine genesen lässt?

Es hieß kurz nach dem Machtwechsel in Kiew, es werde nun ein Marshallplan gebraucht, um der Ukraine ökonomisch und politisch zu helfen. Das war richtig, sofern ergänzt wurde: Ein solcher Plan hat nur als gemeinsam mit Russland betriebenes Projekt eine Chance, dessen Präsident nicht als jemand in die Geschichte eingehen will, der die Ukraine aufgegeben oder verloren hat.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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