102. Internationaler Frauenkampftag-Göttingen

Heraus! Ihr lest einen Göttinger Aufruf zum Frauenkampftag - Ausnahmsweise ein nicht von von mir verfasstes Schriftstück.

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Ihre Freitag-Redaktion

Heraus zum 102. Frauekampftag!
Am 8.März wollen wir mit unserem Aktionstag in der Innenstadt Präsenz zeigen und deutlich mache, dass es auch nach mehr als 102 Jahren feministischer Kämpfe noch genug zu tun gibt (mehr dazu in unserem Aufruf weiter unten)
Geplant sind unter anderem:
-Verschönerung der Stereotypenwand mit dem Frauenforum Göttingen
-Stand von DGB und DGB-Jugend mit Hörstationen und Lesung von "Movements of Migratio"
-Buttonwerkstatt, Postkartenverteilung, feministisches Dosenwerfen, Lesestoff und viel mehr!!!

Kommt vorbei und seid kreativ mit uns!
(Darüber hinaus gibt es noch viel weitere Veranstaltungen um den 8.März herum. Diese sind auf den Plakaten zu finden)

8.März 2013: Es ist Zeit, …
… dass alle gleichermaßen ein Recht auf existenzsichernde Erwerbsarbeit und berufliches Fortkommen haben und einlösen können!
… die Produktion von Gütern an Bedürfnissen der Menschen auszurichten– nicht an Profit!
… gesellschaftlichen Reichtum allen zur Verfügung zu stellen, damit alle ein gutes Leben haben!
… die gesellschaftliche Arbeitsteilung grundlegend neu zu gestalten: alle haben sich an Haus – und Sorgearbeiten zu beteiligen!
… die gewaltförmigen Verhältnisse zu beenden, die uns alltäglich als Frauen* und Männer* unterschiedliche Plätze in einer hierarchischen Ordnung zuweisen!
… dass Menschen unabhängig von ihrer Herkunft an der Gesellschaft teilhaben können!
… die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu beenden!


Seit über 100 Jahren gehen Frauen* und Femin*istinnen am internationalen Frauenkampftag auf die Straßen, um ihre Rechte einzufordern. Der Internationale Frauenkampftag hat eine lange Tradition. Er wurde initiiert von der Kommunistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin (1857-1933) und fand das erste Mal am 19. März 1911 statt. Millionen von Frauen* in Europa und den USA beteiligten sich damals. Später wurde der 8. März als internationaler Frauenkampftag festgelegt, um damit an einen wichtigen Streik von Textilarbeit*erinnen in Russland zu erinnern, der sich zur Revolution ausweitete und damit den Sturz des Zaren einleitete.

Die Aktivistin*nen forderten damals:
• das Wahl- und Stimmrecht für Frauen*
• das Recht, sich politisch zu betätigen und organisieren
• bessere Arbeitsschutzgesetze
• Mutter- und Kinderschutzgesetze
• den Achtstundentag
• gleichen Lohn für gleiche Arbeit
• das Recht auf existenzsichernde Erwerbsarbeit
• die Einführung von Mindestlöhnen
• und sie setzten sich gegen Krieg ein
Was davon heute selbstverständlich erscheint, ist Frauen* und Feministin*nen nie geschenkt worden, sondern wurde von ihnen politisch erkämpft. Einige dieser Forderungen von damals sind (leider) immer noch nicht eingelöst. Andere, wie die nach einem freien Leben ohne Gewalt, sind vor allem seit der Frauenbewegung der 70iger und 80iger verstärkt hinzugekommen.
Deswegen protestieren auch wir 2013 weiterhin gegen bestehende Privilegien von Männern* in allen Lebensbereichen, gegen patriarchale Gewalt und Sexismus! Gründe fürs Kämpfen gibt es genug!

Sexismus ist Alltag!
Nach der Veröffentlichung des übergriffigen Verhaltens eines Politikers gegenüber einer Journalistin ist das Thema Sexismus derzeit auf der medialen Tagesordnung. Die Programmiererin Lena Schimmel veröffentlichte auf ihrem Blog (http://lenaschimmel.de/wordpress/), dass auf Twitter in kurzer Zeit fast 40.000 Frauen* unter dem hashtag #aufschrei von ihren Alltagserfahrungen mit übergriffigem Verhalten, blöden Sprüchen und sexualisierter Gewalt berichteten. Nicht nur diese zahllosen Beispiele zeigen: Im gewaltförmigen Alltag geht es um Macht von Tätern, die sich überlegen und wichtig fühlen wollen. Dafür scheuen sie nicht, Frauen* mit Worten, Blicken und Handlungen eine untergeordnete Position zuzuweisen. Wir sprechen von sexualisierter Gewalt, weil es um Gewalt und um Macht geht und sexuelle Ausdrucksformen als Machtmittel eingesetzt werden.
Allen, die sich aktuell durch das Medieninteresse gestärkt fühlen, ihre Erfahrungen mit sexistischen Übergriffen zu thematisieren, gilt unser Respekt. Sexismus ist tatsächlich kein neues Phänomen. Bereits vor zehn Jahren wurden in einer umfangreichen Studie des Bundesfamilienministeriums deutschlandweit über 10.000 Frauen* nach ihren Erfahrungen befragt: Mehr als die Hälfte der befragten Frauen gab an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein, fast jede Zweite hatte schon einmal sexuelle oder körperliche Gewalt erlitten. Die Täter sind den Betroffenen meist bekannt. Jede vierte Frau* hat sogar Gewalt durch einen (Ex)Partn*erin erlebt. Auch bei Gewalt in Paarbeziehungen geht es meistens um Machtausübung und Kontrolle, nicht um einen Konflikt. (BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, 2004)

Jetzt bist du dran, das zu ändern, Sexist!
Es ist nicht an uns, unser Verhalten zu verändern, um vor sexueller Belästigung sicher zu sein. Es ist zwar sinnvoll, wenn frau* sich mit Worten, coolen Sprüchen, Fäusten oder auch Gegenständen als Waffen wehren kann. Aber:
Wir wollen uns nicht dauernd gegen übergriffiges Verhalten wehren müssen. Wir wollen nicht immer auf der Hut sein. Wir wollen uns nicht ständig zu irgendeiner sexistischen Kackscheiße verhalten müssen.


Sag mir dein Geschlecht und ich sag dir ….
Sexismus ist kein schlechtes Benehmen einzelner Idioten mit mangelndem Selbstbewusstsein. Sexismus hat System.
Sexismus hat mit der herrschenden Gesellschaftsordnung zu tun, die Macht, Geld, Anerkennung und Teilhabechancen zwischen Männern* und Frauen* höchst ungleich verteilt. Diese Ungleichheiten gehen einher mit Rollenerwartungen und Verhaltensnormen. Die zweigeschlechtliche gesellschaftliche Ordnung legt uns nahe, dass und wie wir uns ausschließlich als „Männer“ oder „Frauen“ wahrnehmen, wie wir denken und fühlen, wen und wie wir lieben sollen, welche Interessen wir entwickeln, was wir zu tun und zu lassen haben, was uns zusteht oder auch nicht. Diese Muster rechtfertigen und bestärken bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen, z.B. in der Arbeitswelt:

… wo es an Wertschätzung und Anerkennung fehlt!
2/3 aller gesellschaftlich anfallenden Arbeit (Erwerbsarbeit und Haus- und Sorgearbeit) erledigen Frauen*, sie erhalten aber nur 10 % aller Einnahmen. Nur 1% des globalen Gesamtvermögens gehört Frauen*. Frauen* verdienen auch in Deutschland nach wie vor im Durchschnitt 23 % weniger Stundenlohn als Männer*. Weil sie andere Arbeiten übernehmen als Männer* und weil diese Arbeiten wenig wertgeschätzt, entweder unbezahlt oder schlecht bezahlt sind. Typische „Frauenberufe“ z.B. im Bereich Reinigung, Gastronomie, Pflege sind extrem schlecht bezahlt. Doch selbst wenn Frauen* mit gleicher Qualifikation einer vergleichbaren Arbeit nachgehen, verdienen sie noch 8 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Folgen der unterbezahlten bezahlten Arbeit und unbezahlten Haus- und Sorgearbeit bekommen Frauen* im Rentenalter zu spüren. Die durchschnittliche Rente von Frauen beträgt 950 Euro weniger als die der Männer*.
Obwohl immer mehr Frauen* außer Haus arbeiten, sind sie weiterhin diejenigen, die sich um Haushalt, Kinder und Kranke kümmern. Statistiken zeigen, dass Männer* sich trotz gestiegener Erwerbsbeteiligung von Frauen* nicht stärker an diesen unbezahlten Arbeiten beteiligen als noch vor 25 Jahren. Um also ihre Erwerbsarbeit mit Haus- und Betreuungsarbeiten in Einklang bringen zu können, arbeiten Frauen* meist in Teilzeit oder in so genannten Minijobs - häufig im Niedriglohnbereich.

Geschlecht und die entsprechenden Rollenerwartungen bilden also nach wie vor eine zentrale Hierarchiestruktur, die über unsere gesellschaftliche Position entscheidet. Es gibt auch noch viele andere Macht- und Ressourcenungleichheiten, z.B. zwischen
Arbeitgeb*erinnen und Arbeitnehm*erinnen, zwischen Manag*erinnen und Reinigungskräften, zwischen heterosexuellem Kleinfamilienideal (Mann*, Frau*, Kind) und homo-, transsexuellen sowie vielen anderen Lebensweisen. Und zwischen Menschen ohne und mit Rassismuserfahrungen.

… wo Rassismus doppelt zuschlägt!
Die Lebens- und Erwerbssituation für Migrantin*nen und geflüchtete Frauen* ist in Deutschland schwieriger, da rassistische Strukturen ihre Ausgangssituation mitbestimmen. Ob bei Ausbildungsplatzsuche, beruflicher Karriere, oder Perspektivenentfaltung müssen sie mit Hindernissen, sowohl durch eine rassistische Arbeitsmarktpolitik als auch durch rassistische Zuschreibungen, rechnen und diese mit deutlichem Mehraufwand bewältigen. Frauen* mit Migrationsgeschichte müssen unter Beachtung ihrer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis um Anerkennung ihrer Kompetenzen kämpfen. Selbst wenn sie in diesem Land geboren sind, werden sie auf Schritt und Tritt abqualifiziert, ihre Talente und Zukunftswünsche in Frage gestellt; in hochqualifizierten Ausbildungsberufen müssen sie sich ständig rechtfertigen, dass sie so weit gekommen sind – oder sie werden zu Vorzeigeobjekten stilisiert.
Als Flüchtende haben Frauen* – wenn sie überhaupt arbeiten dürfen –, ungeachtet ihrer bisherigen Kompetenzen und Abschlüsse, oft keine andere Wahl als in nicht regulierten, unterbezahlten Reinigungs- oder Pflegesektoren zu arbeiten. Deutsche Frauen* ohne Rassismuserfahrungen profitieren von dieser Entlastung bei ihrer Karriereplanung. Die Ausbeutung wird damit an andere Frauen* weitergegeben, das System bleibt erhalten, die „Schwesternschaft“ zeigt hier ihre Grenzen!
Der Alltag und die Auseinandersetzungen von Frauen* mit und ohne Rassismuserfahrungen und aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sind unterschiedlich und vielgestaltig. Wir wollen deshalb einen Feminismus, der verschiedene Anliegen verschiedener Frauen* ernst nimmt.

Für einen Feminismus mit vielen Gesichtern!

So schnell die mediale Sexismus-Debatte verflogen ist, so schnell wird auch der 8. März vorbei sein. Für unsere Kämpfe wollen wir das nicht! Wir brauchen viele kämpferische, solidarische feministische Praxen, um den sexistischen Alltag zu durchbrechen und patriarchale Strukturen zu überwinden. Bis es soweit ist, dürfen die Kämpfe von Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, May Ayim und all den anderen Frauen* nicht vergessen werden, gerade eben weil sie noch immer aktuell und akut sind.

Schluss mit der Bescheidenheit! Wehrt euch gegen sexistische Gewalt, Rassismus, Ausbeutung und Unterdrückung! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Schluss mit Minijobs und Niedriglöhnen! Kapitalismus und Krieg abwickeln! Gleiche Rechte für Flüchtlende und MigrantInn*en! Keine Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung! Raus auf die Straße: Jeder Tag ist 8. März!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

luzieh.fair

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luzieh.fair

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