#beautyisnottheproblem

#metoo Am 12.11 erschien der Text "#OhneMich" von Barbara Kuchler bei Zeit Online. Hier ist eine Antwort

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#beautyisnottheproblem

Foto: Bertrand Guay/AFP/Getty Images

Ein Zusammenschluss von Menschen aus universitären Strukturen der Uni Bielefeld hat diesen Antworttext verfasst, um auf problematische Argumentationslinien und Darstellungen zu Barbara Kuchlers Text #OhneMich aufmerksam machen, der am 12.11. bei Zeitonline erschien.

#OhneMich bezieht sich auf die Kampagne #metoo, welche sexualisierte Gewalt sichtbar macht, da Betroffene unter diesem Hashtag Erfahrungen und Erlebnisse teilen. Hierbei wird ein sonst gesellschaftlich größtenteils tabusiertes Thema sichtbar gemacht und in die Öffentlichkeit gerückt.

Kuchler stellt in ihrer Analyse fest, dass es eine "sozial verfestigte Asymmetrie" zwischen Männern und Frauen gibt. Grundsätzlich geht sie davon aus, dass es nur 2 Geschlechter gibt und diese heterosexuell sind. Die von ihr herausgestellte Ungleichheit ist in patriarchalen Strukturen verankert und wird durch diese auch weiter hergestellt. Kuchler verweist jedoch nicht auf diese strukturelle Ebene der Geschlechterordnung, sondern zieht den problematischen Schluss, dass Ungleichheit aufgrund der Investition von Frauen* in Schönheit und Äußerlichkeit zustande kommt. Suspekt ist hierbei vor allem die sich daraus ergebene Ableitung, dass sexualisierte Gewalt durch äußerliche Erscheinung bedingt werde. Damit bedient sie ein problematisches Argumentationsmuster, indem der Anschein geweckt wird, Frauen* seien selbst Schuld, wenn sie sexualisierte Gewalt oder übergriffiges Verhalten erleben. Wenn Kuchler den Hashtag #ohnemich vorschlägt, dann legt das nahe, Menschen könnten aus den gewaltvollen Strukturen des Patriarchats einfach aussteigen. Als Soziologin sollte sie das besser wissen. Es ist nicht möglich aus gesellschaftlichen Strukturen so einfach rauszukommen. Der Hashtag legt wiedermals nahe, dass Frauen*, die unter #metoo Erfahrungen geteilt haben, selbst daran Schuld sind - weil sie nicht #ohnemich gesagt hätten. Diese Sichtweise ist fatal und wir positionieren uns entschieden dagegen.

Keine Frau* trägt Schuld daran, egal was sie trägt oder wie sie aussieht! Die Verantwortung ist immer beim Täter zu sehen, außerdem wird solches Verhalten durch patriarchale Strukturen(1) hervorgebracht und gefestigt. Kuchler übersieht diesen Hintergrund in ihrer Darstellung leider und verbleibt in einer oberflächlichen Kritk, die sich nur auf das Aussehens von Frauen*(2) bezieht. Aber bloß aufzuhören sich zu schminken wird Frauen* weder gleichen Lohn bringen noch werden Frauen* irgendwelche Dresscodes vor sexistischen Übergriffen schützen. Kuchler sieht die Verantwortung dafür, sexistische Ungleichheit zu überwinden, ausschließlich bei "den Frauen", indem sie sich nicht mehr entsprechend stylen. Männer* werden in ihrer Logik nicht dazu aufgefordert, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen und Verhalten kritisch zu reflektieren. "Männer müssen sich kontrollieren und ihre Hände und Zunge im Zaum halten" ist die einzige Stelle im Artikel, an der Kuchler direkt etwas von Männern einfordert. Diese Argumentation und Wortwahl erhält die Annahme aufrecht, es gäbe so etwas wie einen "natürlichen Trieb" zu übergriffigem Verhalten, der dementsprechend kontrolliert und unterdrückt werden müsse, statt diese biologistische Annahme zu hinterfragen und anzuerkennen, dass es gesellschaftliche Strukturen sind, die es Männern ermöglichen und nahelegen, sich Frauen* gegenüber übergriffig zu verhalten. Es erfolgt somit kein Aufbrechen problematischer Strukturen, sondern eher eine Verschleierung dieser. Darüber hinaus bezieht sie sich ausschließlich auf stereotype Vorstellungen von "der Frau" und "dem Mann", ohne zu beachten, dass es einerseits sehr viel mehr als diese zwei Geschlechter gibt und dass andererseits auch die Positionen "Mann" und "Frau" sehr unterschiedlich gelebt werden können. Um zu verdeutlichen, welches Frauen*bild Kuchlers Artikel zugrundeliegt hier ein Auszug ihres Aufrufs an "Filmemacher": "Produziert Filme mit Frauenfiguren, die nicht gut aussehen und trotzdem Sympathieträger sind." Es wird Frauen*, die nicht den normativen Schönheitsidealen entsprechen, bestimmt nicht besonders viel geben, wenn sie dann die vielleicht nicht so hübsche, dafür aber immerhin nette Rolle haben. Das ist ein wenig revolutionärer Gedanke und hält abgesehen davon das gesamte System, in dem Geschlecht und Schönheitsnormen gewaltvoll sozialisiert werden, aufrecht. Denn das Problem ist eher, dass es überhaupt Frauen* gibt, die als nicht schön beurteilt werden, weil sie bestimmten Normen nicht entsprechen.

Neben unserer Kritik an Kuchlers Argumentationslinie ist es wichtig auch zu benennen, dass die gesellschaftlichen Anforderungen an Frauen*, bestimmten Schönheitsidealen zu entsprechen, auch aus feministischer Perspektive hinterfragt werden müssen. Denn tatsächlich stehen Frauen* unter einem größeren Druck, bestimmte Schönheitsnormen zu erfüllen. Die Lösung dessen kann aber auf keinen Fall sein, dass Frauen* vorgeschrieben wird, dass sie sich nicht mehr "schön machen". Jede Person sollte das tun, womit sie sich wohlfühlt und somit selbstbestimmt über den eigenen Körper entscheiden, unabhängig vom Geschlecht. Kuchler benennt somit ein tatsächlich sehr relevantes Problem unserer Gesellschaft, leitet als Handlungsfolge daraus aber leider eine antifeministische Einschränkung für Frauen* ab. Kuchler stützt die Wahrnehmung von Frauen* als Objekte, über die man urteilen kann. Sie selbst beschreibt auf eine bevormundende Art und Weise was Frauen* zu tun und zu lassen haben. So versucht sie auch den Gegenstimmen, die sie erwartet, gekonnt den Wind aus den Segeln zu nehmen. "Ich will mich aber schön machen" ist damit für sie kein Gegenargument, welches sie ernst nimmt und berücksichtigt. Frauen* die sich also gerne schön machen, sind für sie dann wohl einfach zu naiv und haben nur noch nicht verstanden, was Kuchler schon verstanden hat? Da es in unserer Gesellschaft Frauen* jedoch sowieso schon nicht nahe gelegt wird, sich selbst und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen, geschweige denn sich Raum zu nehmen und aufzufallen, bedient Kuchler leider lustfeindliche, konservative Argumentationen.

Ja, es ist beschissen, wenn Frauen* sich ohne Makeup nicht aus dem Haus trauen und unter dem ständigen Druck stehen, bestimmten Normen entsprechen zu müssen. Es ist Teil einer gewalt- und machtvollen Struktur und sollte endlich ein für allemal zerstört werden. Auf solche spaßbefreiten Forderungen können wir schwer verzichten:

Café Anaconda, FemRef Uni Bielefeld, FemRef FH Bielefeld, Fachschaft Gender Studies, AStA Uni Bielefeld, Antira AG, Antifa AG, AG Freie Bildung, Lesekreis kritische Psychologie.

(1) Unter patriarchalen Strukturen sind gesellschaftliche Verhältnisse zu verstehen, die ein Machtgefälle beinhaltet, welches in unterschiedlichsten Formen zum Ausdruck kommt. Dieses Machtgefälle kommt zustande, indem Männer* eine privilegierte Position innehaben und Frauen* eine unpriviligierte. Zentral ist hierbei, dass dies nicht nur durch Handlungen einzelner Menschen aufrechterhalten wird, sondern auch durch gesellschaftliche Normen und Werte.


(2) Der Begriff Frauen ist mit einem Sternchen gekennzeichnet, um darauf aufmerksam zu machen, dass es sich hierbei nicht um eine biologische Zuschreibung sondern ein soziales Konstrukt handelt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lila Wendel

denkt wie ein ganz normaler weißer mitteleuropäischer typ

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