Einmal Zerrüttung der ganzen Branche, bitte

Tal der Träumer Start-ups sollen alte Firmen vernichten. Dabei geht es eigentlich nur um Bestechung
Ausgabe 17/2016

Der Kapitalismus hat mir einen Avocado-Toast ausgegeben. Genauer gesagt habe ich meinen Toast mit dem Zehn-Dollar-Willkommensbonus bezahlt, den eine neue App für Restaurant-Reservierungen anbietet, um Nutzer anzulocken.

Ich befinde mich in einem lichtdurchfluteten Café an einem runden Tisch aus schwerem, dun-klem Holz. Mir gegenüber sitzt die Investorin einer großen Kapitalgesellschaft. Zwischen mir und dem Kapital steht ein halb-gegessenes Joghurt-Parfait und besagter Toast mit Bio-Avocado. In traditionelleren Branchen würden wir jetzt wohl über Geld sprechen, über Wandelanleihen und Marktkapitalisierung. Aber so wirklich weiß ich nicht, wie die Welt außerhalb des Silicon Valley funktioniert. Stattdessen geht es darum, wann Facebook endlich polyamouröse Beziehungen zulässt und um die Machtübernahme durch Nazi-Roboter.

Das war die neueste Pleite für meine Zunft: Microsoft hat einen Chatbot programmiert, der sich auf Twitter mit Teenagern unterhalten und, dummerweise, von ihnen lernen kann. Zwölf Stunden nach Veröffentlichung wollte der Bot Feministinnen verbrennen und Obama durch Hitler ersetzen. In einem Altersheim meiner Heimatstadt Bielefeld gab es einen Papagei, der jeden Besucher mit „Alter Stinker“ begrüßte. Jeder 80-Jährige hätte Microsoft sagen können, dass es seinen digitalen Papagei lieber nicht auf eine Generation pubertierender Gamer loslassen sollte.

Aber zurück zum Risikokapital: Nach dem Meeting bestelle ich ein Uber, das mich für heftig kapital-subventionierte fünf Dollar quer durch die halbe Stadt fährt. Neulich bin ich mit einem „echten“ Taxi gefahren. Am Anfang hat mich das nostalgisch gestimmt, ich hatte das Bedürfnis, kurz im Büro vorbeizufahren, um ein Fax zu senden und dann auf dem Rückweg noch einen Film in der Videothek auszuleihen. In Wirklichkeit aber dröhnte mich ein Bildschirm auf der Rückseite des Fahrersitzes mit Werbung zu, die ich nicht abschalten konnte, und der Fahrstil machte den nächsten Besuch im Freizeitpark überflüssig. Zehn Minuten später war ich irgendwie froh, dass das Taxi-Unternehmen bald aus dem Markt gedrängt werden dürfte.

Das magische Wort für Investoren in Uber und andere Firmen ist seit jeher „disruptiv“: Start-ups sollen ganze Branchen zerrütten. In San Francisco geht das schon, weil – anders als etwa in Berlin – Taxis unzuverlässig, überteuert und unsicher sind.

Wenn das mit der Zerrüttung nicht von selbst läuft, wird eben mit Geld nachgeholfen. Für die Hälfte des üblichen Preises für eine Massage kann ich mir per App einen Masseur nach Hause bestellen, die Differenz bezahlt der Investor. Neulich habe ich aus dem Flugzeug irgendwo über Nevada um Mitternacht eine Tüte mit Bagels und Eiern geordert. Pünktlich zum Frühstück wurde sie kostenfrei an meine Haustür geliefert. Der Science-Fiction-Autor William Gibson hat einmal gesagt, die Zukunft sei schon hier, nur nicht gleichmäßig verteilt. Oh ja, das stimmt.

Die Zukunft ist vor allem dort, wo Investoren Leute mit viel Geld bestechen können, damit sie sich die Zukunft vor allen anderen herunterladen können.

Manuel Ebert hat Neurowissenschaft in Osnabrück studiert. Er lebt und arbeitet als Berater in San Francisco. Seit Oktober 2015 schreibt er im Freitag-Wirtschaftsteil die Kolumne „Tal der Träumer“

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Geschrieben von

Manuel Ebert

Manuel Ebert ist Autor, Ex-Neurowissenschaftler, und Data Scientist. Seine Consulting-Firma summer.ai berät Firmen in Silicon Valley.

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