Kein Knast für Schwarzfahrer!

Podiumsdiskussion Am Montag lud die Piratenfraktion im AGH Berlin zur Podiumsdiskussion zum Thema "Kein Knast für Schwarzfahrer!".

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Das Abgeordnetenhaus Berlin im alten Preußischen Landtag liegt majestätisch in der untergehenden Sonne und wetteifert mit dem gegenüberliegenden Martin-Gropius-Bau in steingewordener Pracht. Auf dem Platz vor dem Gebäude, neben dem obligatorischen Polizeibeamten, tummeln sich bereits eine Handvoll Piraten. In wenigen Minuten beginnt hier die Veranstaltung "Kein Knast für Schwarzfahrer!", zu dem die Piratenfraktion im AGH eingeladen hatte. Per Twitter und auf der Landesmitgliederversammlung am Wochenende hatte Christopher Lauer, der den Abend moderieren wird, zum Besuch der Veranstaltung aufgerufen.

Beim Betreten des Gebäudes durch die Metalldetektorschranke piept nichts, man weist mir freundlich den Weg zu Raum 304, Treppe links hoch, dritte Etage. Schon ganz schön imposant, dieses Abgeordnetenhaus, auch von innen. Breite, aus der Berliner Presse bekannte, mit rotem Teppich überzogene Treppen links und rechts, hohe Decken, alles lichtdurchflutet. Hübsch, hier.

Der Veranstaltungsraum ist da bedeutend nüchterner. Schwarze Bestuhlung, ein Podium mit 5 Mikrophonen für die Diskutanten und den Moderator, Fenster an der Decke. Links gibt es Wasser und natürlich Club Mate. Für das leibliche Wohl wäre also gesorgt.

Der Raum füllt sich langsam, das Publikum ist sehr gemischt, zahlreiche Piraten sind anwesend. Im Raum gegenüber veranstalten zeitgleich die Berliner Grünen eine Diskussion zum Thema "Ein Transparenzgesetz für Berlin!". Interessant, angesichts der Tatsache, dass die Piraten eine Veranstaltung gleichen Namens bereits vor fast drei Monaten veranstaltet haben. Die Piraten arbeiten außerdem bereits an einem Berliner Entwurf, der auf dem Hamburger Transparenzgesetz, das am 6. Oktober in Kraft treten wird, basiert. "Zufälle in der Oppositionsarbeit" nennt Christopher Lauer das im Laufe der Begrüßung, wer sich hier langweile könne dann ja zu den Grünen rüber gehen, das sei ein bisschen wie Öffentlich-Rechtliches Fernsehen, wo die gleichen Themen auch in drei Talkshows abgehalten würden, und zwar parallel.

Hier geht es heute abend aber darum, den Straftatbestand des "Schwarzfahrens" ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Gunnar Schupelius, seineszeichens "Chefreporter" der B.Z. hatte bereits im Vorfeld anschaulich dargestellt, wieviel man mit voller Absicht falsch verstehen kann, und den Antrag unter der Schlagzeile "Piraten wollen Schwarzfahrer laufen lassen" mit großer Geste und wenig Inhalt verrissen. Naja, die B.Z. und naja, der Herr Schupelius.

Da sich auf der Bühne mehrheitlich Befürworter des Antrags befinden, erklärt Lauer sich bereit, den moderativen Advocatus Diaboli zu geben. Neben ihm und seinem Fraktionskollegen, dem rechtspolitischen Sprecher der Piratenfraktion Dr. Simon Weiß, sind ausschließlich Juristen zugegen, als da wären: Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, Dr. Thomas Hilpert, Rechtsanwalt vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmer und Dr. Olaf Heischel, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Vollzugsbeirates Berlin.

Lauer fragt zunächst mal den einzigen klar gegen den Antrag stehenden Diskussionsteilnehmer, Herrn Hilpert, wie er denn diesen Antrag findet. Der findet ihn erwartber nicht gut. Er findet, damit sei eigentlich alles gesagt. Aha. Es folgt eine kurze Ausführung, die man auch unter "Leistung muss sich wieder lohnen" laufen lassen könnte und klar machen soll, dass das mit dem Schwarzfahren ja nun nicht einfach so hinnehmbar sei. Was nicht zur Debatte steht, aber gut. Der nächste Diskutant, Olaf Heischel, erklärt, er sei nicht, wie von Lauer angekündigt, naturgemäß anderer Meinung, und erklärt zunächt was es mit Ersatzfreiheitsstrafen auf sich hat. Wird ein Schwarzfahrer das dritte Mal erwischt, droht ihm der Strafantrag. Kann oder will er die monetäre Strafe nicht begleichen, muss diese in Tagessätzen abgesessen werden. Er berichtet, dass nach wissenschaftlichen Analysen rund 83% der wegen Schwarzfahrens in Ersatzhaft sitzenden nicht zahlen können, nur 14% wollen die Strafe nicht akzeptieren oder zumindest nicht zahlen. Unter diesen 83% befinden sich mehrheitlich Menschen mit Drogen- oder Alkoholproblemen, Unterprevilegierte. Es tue sich hier nicht nur ein juristisches, sondern ebenso ein Gerechtigkeitsproblem auf. Die Strafbarkeit von Schwarzfahren sei Unsinn, sowohl unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit als auch unter ökonomischen Aspekten. Buermeyer, der aktuell eher "für Mord und Totschlag" zuständig sei, führt die Problematik ein, dass die aktuelle Rechtslage es zuließe, dass ein Strafantrag für Schwarzfahren zum Widerruf von Bewährungsstrafen und deren Umwandlung in Haftstrafe führen könne. Er erklärt, dass Probleme nicht dadurch verschwinden würden, dass man sie verbietet, und plädiert dafür, dass das Strafrecht effizient, vom Ergebnis her gedacht werden müsse.

Auf die Frage, welcher Schaden denn eigentlich durch Schwarzfahren entstünde, führt Hilpert eine abenteuerliche Rechnung vor. Bei 10 Millarden Beförderungen im öffentlichen Nahverkehr und einer geschätzten Quote von 3,5% Schwarzfahrern und einem angenommenen entgangenen Fahrpreis von 1€ entstünde so ein Schaden von 350 Millionen €. Er räumt zwar ein, dass man differenzieren müsse, zwischen Stadt und Land, Tageszeit, Linie und "Beförderungsgefäß" (Merke: je kleiner dieses Gefäß desto weniger Schwarzfahrer), setzt bei seiner Rechnung aber offenbar darauf dass die Alternative zum Schwarzfahren der Ticketerwerb, nicht der Verzicht auf die öffentlichen Verkehrsmittel sei. Dass dies eine Milchmädchenrechnung ist, wird klar, wenn man die Unfähigkeit den Ticketpreis zu entrichten bei gleichzeitigem Beförderungsbedürfnis als Ursache fürs Schwarzfahren ins Feld führt. Hilpert möchte außerdem klar machen, dass es den Verkehrsbetrieben ja mitnichten um Gewinnmaximierung ginge, und dass Schwarzfahren daher nicht nur den Unternehmen, sondern vor allem der Gesamtheit schade. Wer schwarzfährt, habe eine gestörte Beziehung zum Rechtsstaat.

Simon Weiß räumt dann zunächst mal mit einigen Mißverständnissen auf. Schwarzfahren ist nicht erlaubt, und daran soll sich nichts ändern. Es ginge nicht darum, den von den Piraten befürworteten fahrscheinlosen Nahverkehr durch die Hintertür einzuführen. Es ginge lediglich darum, Schwarzfahren als Straftatbestand abzuschaffen, nicht darum, dass jeder konsequenzenlos schwarzfahren solle. Es stünde nicht zur Diskussion, die 40€ "erhöhtes Beförderungsgeld" im Falle des Erwischtwerdens abzuschaffen. Diese seien zur Abschreckung aber völlig ausreichend, schließlich zahle doch die übergroße Mehrheit für ein Ticket. Zur Debatte stehe lediglich, dass Menschen, die wiederholt beim Schwarzfahren erwischt werden, nicht auf Grund der Unfähigkeit, die Strafe finanziell zu begleichen, in Ersatzhaft genommen werden. Dafür sprächen auch ökonimische Argumente, immerhin koste ein Gefängnistag rund 100€. Diese Zahl wird sich im Laufe des Abends auf bis zu 250€ erhöhen, je nach dem, welcher Diskutant wie rechnet. Fakt sei aber, dass man mit Knast nun mal keinen Gewinn mache. Man könne durchaus diskutieren, das erhöhte Beförderungsgeld weiter zu erhöhen oder Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit gelten zu lassen. Weiß erklärt, in Deutschland gäbe es eine der höchsten Abdeckungsquoten der Kosten des Personnennahverkehrs durch die Fahrpreise. Schwarzfahren sei in erster Linie ein Problem, das daraus resultiere, dass Menschen sich die Fahrpreise nicht leisten könnten. Hilpert unterbricht ihn, führt an, dass die 40€ dann ja auch nicht abschrecken könnten, wenn man eh nicht in der Lage sei, zu zahlen.

Weiß erklärt nochmals, dass es sich bei Schwarzfahrern nicht um unwillige, sondern um finanziell unfähige Menschen handle, dass Menschen so wenig Geld haben, dass sie anders nicht von A nach B kommen, und erntet den ersten Szenenapplaus. Er setzt nach, dass er keinesfalls fände, dass das schon ok wäre wenn man dann schwarzfährt, auch wenn das in einer solidarischen Gemeinschaft eigentlich drin sein sollte.

Hier setzt Buermeyer an, nachdem er erklärt hat, er sei wohl zu gut erzogen um andere zu unterbrechen. Er führt aus, man versuche mit der strafrechtlichen Verfolgung von Schwarzfahrern zu einem Verhalten zu erziehen, was unmöglich sei. Im Grunde würde die Justiz mißbraucht, um eine unmögliche Steuerung zu erreichen. Man könne Menschen nicht dafür bestrafen, dass sie kein Geld haben. Auch wenn sich in seiner Rechnung, die die Baukosten für Justizvollzugsanstalten umfasst, die Kosten für einen Tag Knast auf 112 € erhöht haben, rechnet er vor, dass man statt Wegsperren für das gleiche Geld für jeden einzelnen Tag Knast zwei Monatstickets auf Sozialticketniveau lösen könnte.

Heischel zitiert nun aus dem Buch "Wir kriminellen Deutschen" von Christian Bommarius, nach dem jeder Deutsche jeden Tag Straftaten begehe, und sei es nur als Radfahrer andere Verkehrsteilnehmer zu beschimpfen, und plädiert dafür dass man nicht jedes nicht normgerechtes Verhalten mit Prügel einnorden könne. Man habe vor 20 Jahren erkannt, dass kurze Freiheitsstrafen eher dafür sorgen, dass Knast nicht mehr als abschreckend empfunden wird, und habe daher kurze Haftstrafen abgeschafft. Da Ersatzhaft zu 2/3 im geschlossenen Vollzug stattfände, müsse man die Kosten pro Tag eher auf die schon erwähnten 200-250€ pro Tag schätzen.

Lauer fragt nun Thomas Hilpert, warum man denn eigentlich nicht, wie in London, durch den Einsatz von Zugangsschranken gewährleiste, dass Tickets bezahlt würden. Hilpert argumentiert, das sei nicht gewünscht, die Kosten wären zu hoch, zudem sei das ganze nicht überall praktikabel. Hilpert kommt aus Köln, wo die sogenannte U-Bahn mehr überirdisch als unterirdisch unterwegs ist, naja, man hat ja auch beim unterirdischen Bau zuletzt weniger gute Erfahrungen gemacht. Bis vor einem halben Jahr habe ich noch in Köln gelebt. Ich kenne das also. Kurzum, das System sei spätestens bei Bussen, Straßenbahnen technisch nicht mehr machbar. Das leuchtet allerdings ein. Weniger einleuchtend ist, dass Hilpert jetzt anfängt von einer offenen Gesellschaft zu reden, die keine Mauern und Selbstschussanlagen wolle. In mir tut sich kognitive Dissonanz auf, ich habe den Eindruck, damit bin ich nicht alleine, weder im Publikum, noch auf der Bühne. Es ist schwer diese Aussage damit zusammenzubringen, dass Hilpert es für richtig hält, Menschen, die einen Fahrpreis nicht entrichten können und trotzdem ihr aus dem Grundgesetz ableitbares Recht auf Mobilität wahrnehmen möchten, einzusperren.

Heischel geht das wohl ähnlich, denn er fragt nach, wie sich dieses Menschenbild denn mit dem Wunsch nach "Wegsperren" vertrüge. Hilpert lobhudelt jetzt über die Einrichtung von Sozialtickets, und versteigt sich irgendwie zu der Aussage, dass man mit dem Wegfall des Straftatbestandes dann ja auch akzeptieren müsse wenn Menschen aus Geldmangel bei C&A klauen würden. An dem Punkt werde ich ein kleines bißchen wütend. Die Tatsache, dass in unserer Gesellschaft Menschen leben, die zu arm sind um sich Kleidung kaufen zu können, derartig als Argument ins Feld zu führen, das geht dann doch an meine Grenzen des Erträglichen.

Simon Weiß erklärt nun noch mal, dass es hier nicht um Freihfahrtscheine ginge, dass die Möglichkeit der erhöhten Beförderungsentgelder mitnichten abgeschafft werden sollen. Es ist ein bißchen wie wenn die FDP bei jeder staatlichen Regulierung sofort "Kommunismus! Planwirtschaft!" schreit. Hilpert macht mir einen leicht differenzierungsunwilligen Eindruck. Weiß macht auf die erhalten bleibende Möglichkeit, zivilrechtlichzu klagen, aufmerksam. In seinem Abschluss-Statement wird er noch mal betonen, dass die Verkehrsbetriebe mitnichten die "Bösen" in irgendeinem Schwarz-Weiß-Bild seien, dass sie ein berechtigtes Intresse verfolgen, dass es sich bei Ersatzfreiheitsstrafe aber um einen zu schwerwiegenden Eingriff handle.

Buermeyer macht erneut auf die Kollateralschäden der aktuellen Rechtslage aufmerksam, auf Menschen, deren Bewährungsstrafe wegen Schwarzfahrens widerrufen werden. Er weist darauf hin, dass ein Gefängnisaufenthalt in diesen Fällen keine resozialisierenden Ergebnisse habe, im Gegenteil, die sozialen Kosten würden eher steigen.

Christopher Lauer erkundigt sich nun wie das Ausland es denn damit halte. Ob man damit rechnen müsse, dass nach der Abschaffung des Straftatbestandes des Schwarzfahrens alle Kriminellen nach Berlin kämen. Heischel erinnert daran, dass die meisten Menschen ja nun doch Tickets kaufen würden, und das ja in jedem Fall die Norm sei. Er stellt die Frage, wie man Normeinhaltung erreichen kann, ohne noch mehr Unrecht zu schaffen. In anderen Ländern gäbe es zumindest viel weniger Ersatzfreiheitsstrafen, in den skandinavischen Ländern würde sogar richterlich geprüft ob jemand eine Strafe nicht zahlen kann oder nicht zahlen will. Es sei ein Unding, dass in Deutschland ein Richter eine Geldstrafe verhänge, und bei Nichtzahlung ein Verwaltungsmensch Knast anordne, da dies eine Abweichung vom Richterspruch darstelle. Buermeyer wird später anführen, dass der Richter die Option der Ersatzfreiheitsstrafe schon durchaus in seinem Urteilsspruch berücksichtigen würde, der Richter also schon im Zweifelsfall die Möglichkeit der Vollstreckung durch Knast berücksichtigen würde.

Hilpert erklärt nun, dass sich im Unterschied zur Ersatzhaft unter den Menschen, denen Erzwingungshaft angedroht werde, 90% GEZ-Verweigerer befünden, die nach der Androhung von Haft dann auch doch plötzlich brav zahlen würden. Heikles Thema, denke ich. Interessant, dass er das für ein gelungenes Argument in diesem Rahmen hält.

Weiß führt aus, dass es sich bei dem öffentlichen Personennahverkehr um eine elementare Infrastruktur handle, und er sich als zahlender Kunde bewusst sei, dass er diese Infrastruktur mitbezahle. Ideal wäre dann natürlich, wenn diese Infrastruktur auch flächendeckend vorhanden wäre. Er räumt ein, eine gewisse Quote an Schwarzfahrern würde es wohl immer geben, merkt allerdings auch an, dass die Kontrollen ja offenbar funktionieren, sich lohnen, in Berlin sei die Zahl der Schwarzfahrer schließlich rückläufig. Noch mal wird erklärt, dass keine Einnahmen verloren gingen, da es die Alternative "Nagut dann zahl ich eben" nun mal nicht gäbe. Menschen mit Schulden würden wir schließlich auch nicht in den Knast stecken.

Buermeyer möchte sich nun doch noch mal konkret zum Antragspapier äußern, er gibt zu bedenken dass dieses wohl eher nicht Mehrheitsfähig sei, und empfiehlt, statt der Streichung eine Öffnungsklausel anzustreben, die den Bundesländern die Änderung freistellen würde. Für Herrn Lauer klingt das, kurz aus seiner Rolle des Knast-Für-Schwarzfahren-Befürworters fallend, sinnvoll. Ich denke zurück an die Landesmitgliederversammlung, an Änderungsanträge zu eingereichten Anträgen, und anschließenden positiven Abstimmungen. Lauer denkt laut, dass die Grünen ja nebenan säßen, dass man das aber im Zweifelsfall auch alleine hinkriegen würde. Nun sollen die vier Diskutanten noch ihre Abschluss-Statements abgeben, anschließend soll das Publikum mit Fragen einsteigen dürfen. Kurzerhand wird jedoch entschieden, erst das Publikum einzubeziehen, und danach die Statements abzugeben. Lauer merkt an, das sei kein Problem, Dinge spontan umzuwerfen sei man ja gewöhnt. Hehe.

Aus dem Publikum kommt die Frage, ob die Strafen fürs Schwarzfahren denn nicht auch durch "Arbeit statt Strafe" abgearbeitet werden könnten. Buermeyer erklärt, viele seien nicht in der Lage, dies zu tun, auch wenn es die Möglichkeit gäbe, die Menschen seien oft entweder aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht in der Lage oder würden die Möglichkeit aus anderen Gründen an sich vorbei gehen lassen. Ich denke kurz an die Bedrohlichkeit amtsgrauer Briefumschläge und Eichhörnchen. Buermeyer schildert seinen subjektiven Eindruck, "Arbeit statt Strafe" sei zudem bei Staatsanwälten unbeliebt und führt aus, die potentiellen Statt-Strafe-Arbeiter müssten sich ihre Ersatzarbeit quasi selber suchen.

Hilpert wird nun gefragt, was denn sein Statement zu Armut und sozialem Engagement sei. Er sagt, Armut fände er nicht gut. Na guck einer an. Wer hätte damit gerechnet. Die Armutsbekämpfung sei aber keine Kernkompetenz der Verkehrsunternehmen. Er weist darauf hin, es handle sich ja nicht nur um finanzielle, sondern auch um psychische Themen, und man müsse da ja quasi Case Manager haben. Soso. Case Manager. Am besten zeitnah, denke ich, proaktiv und in einer Win-Win Situation, spiele noch kurz die Runde Phrasenbingo zuende und stelle fest, dass ich mich zunehmend über Herrn Hilpert ärgere. Was allerdings zu erwarten war. Es kommt noch mal die "Dann darf man auch klauen"-Platte. Herrje.

Es wird nach dem Streitwert der Fälle gefragt. Einen Streitwert gibt es nicht, da es sich ja nicht um Zivilrecht handle, im Zivilrecht würde bei solchen Beträgen wohl aus Geringfügigkeit nicht angeklagt, beim Schwarzfahren handle es sich aber um öffentliches Interesse.

Christopher Lauer nimmt sich kurz selbst dran, und fragt, ob man solche Verfahren denn nicht einfach einstellen könne. Buermeyer erklärt, man könne dazu anhalten, aber schließlich seien Gesetze ja dazu da, angewendet zu werden.

Die Frage, ob sich die Kontrollen eigentlich lohnen würden, taucht auf. Hilpert gibt zu, dass sich dadurch hohe Kosten ergeben würden, dass es aber nicht Ziel sei, diese durch die 40€-Strafen zu decken, sondern den Fahrgästen klar zu machen, dass es sich lohnt ein Ticket zu ziehen, um Strafe zu entgehen.

Dann geht es noch mal darum dass die im Hartz-4-Satz enthaltenen Beträge für Sozialtickets die realen Kosten von Sozialtickets ja gar nicht abdecken würden. Hilpert erklärt noch mal, dass es Verkehrsbetrieben ja nicht um Gewinnmaximierung ginge, sondern maximal um Kostendeckung, dass diese aber auch nicht erreicht sei und das Geld schließlich irgendwo her kommen müsse. Jaja, dieses Geld. Immer muss es irgendwo her kommen. Nur da, wo das Geld ist, da will es ja keiner gesehen haben, zumindest nicht zum Zwecke des dann mal Herkommens.

Auf die Frage, ob denn die ganze Sachlage rechtlich tatsächlich fraglich und im Zweifelsfall anfechtbar sei, gibt Buermeyer zu bedenken, die Juristerei sei das Recht der Gegenwart, die Politik das Recht der Zukunft. Was für ein schöner Satz, denke ich. Simon Weiß ergänzt ihn noch, in dem er ausführt, Gerichte würden nicht prüfen, ob Gesetze klug sind, das sei die Aufgabe der Politik.

Die Abschluss-Statements der Diskutanten fassen noch mal einige Punkte zusammen, Hilpert redet noch mal über Kostendeckung und dass Sozialarbeit und Psychologie gefordert seien, Buermeyer möchte hingegen noch mal betonen dass Armut auch ohne soziale und psychische Probleme Tatsache sei. Er weist darauf hin, dass auch arme Menschen zum Arzt, zum Amt müssten. Er erklärt, das Strafrecht habe viele Folgen, die eine Ordnungswidrigkeit so nicht hätte, und empfindet Schwarzfahren daher als falsch einsortiert.

Nach fast zwei Stunden ist die Veranstaltung beendet, die Diskutanten stehen noch für Einzelgespräche zur Verfügung. Ich verlasse das AGH, mache mich auf den Weg nach Hause. In der U-Bahn ziehe ich brav ein Ticket. Ich denke zurück an 10 Jahre Studententicket in Köln, was war das herrlich unkompliziert. Und an ein Jahr Minijob und Praktikum, als mehr als ein Viertel meines Einkommens für Bahntickets draufgegangen sind. Es war ein interessanter Abend, meine Meinung zu dem Antrag verhält sich ähnlich wie meine Meinung zum Mindestlohn. Beides sind Brückentechnologien.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maengelwesen

Anika Mangelmann / @Fumuckel

Maengelwesen

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