ARD feiert Beate Zschäpe als Popstar

NSU Ein fehlgeleitetes Mädchen, poppige Nazis, der NSU als Bonnie-and-Clyde-Verschnitt. Die ARD betreibt mit ihrer NSU-Trilogie Neonazi-Verharmlosung schlimmster Couleur

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Knutschereien vor verwackelter Kamera, poppige Farben, schnelle Schnitte, viel vernuschelter Ost-Dialekt und immer: Action, Action, Action. Dass die ARD ihre ambitionierte Trilogie Mitten in Deutschland: NSU in den Sand gesetzt hat, kann man nach Ausstrahlung des Auftaktfilms zwar noch nicht ganz definitiv sagen. Die falschen, nicht wieder gutzumachenden Signale wurden – so auch der Tenor der Kritik der Welt – vom Auftaktfilm Die Täter: Heute ist nicht alle Tage allerdings definitiv gesetzt. Was als erste von drei konzipierten Sichtweisen angekündigt wurde (hier: die der Täter), geriet zu einem geschichtsvergessenen, naziverharmlosenden und Küchenpsychologie auf untersten Niveau darbietenden Existenzialismus-Schmonzens. Netter formuliert: einem Schocker, der dem entpolitisierten Spießer-Publikum auf dem Sofa neunzig Minuten Nazi-Gruseln darbot.

Zschäpe als Rrriot-Girl-Verschnitt

Beate Zschäpe als etwas problematische Schwester von, sagen wir: Lena Meyer-Landrut? Uwe Böhnhardt als Bruder von Campino, Uwe Mundlos als kahlgeschorener Bela-B-Verschnitt und Polizisten als nett-gutwillige, aber notorisch überforderte Dorftrottel? Drehbücher sind in Deutschland frei – was oft genug leider zu übersetzen ist mit: frei von Ahnung, Sinn und Verstand. Beginnen wir mit dem nachrangigsten Fehler des von der ARD in Auftrag gegebenenen NSU-Castings: Anna Maria Mühe. Mühe als Zschäpe funktioniert überhaupt nicht – und zwar weniger deswegen, weil ihr, so BILD, der Hitlergruß schwer fiel. Zwar gibt sich die Schauspielerin in Heute ist nicht alle Tage alle Mühe, gegen ihr Image als Sensitive, Nachdenkliche, im Grunde Grundnette anzuspielen. Genauer: anzuschreien, fies zu sein, eine agressiv-zynische Präsenz an den Tag zu legen. Allerdings: Es funktioniert nicht. Weder von der Glaubwürdigkeit her noch von der Optik. Im Grunde ist Mühe und Zschäpe ungefähr so, als würde man die Rolle von Charles Manson mit TV-Darling Fritz Wepper besetzen.

Zugegeben: Im Rahmen dieser – rein an der Oberfläche, am Schein orientierten – Konzeption wären die Besten gescheitert. Gedeck als Meinhof – ging, weil Der Baader Meinhof Komplex sein Thema immerhin ernst nahm. Ganz als Hitler – ebenso; Der Untergang hatte, bei aller Kritik, zumindest ein Konzept. Der Inhalt von Mitten in Deutschland, Film eins jedoch lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Nazis hauen auf die Kacke. Dem eigenen Anspruch zufolge thematisiert er die Gründungsphase des NSU – genauer: das rechtsradikale, neonazistische Jugendmilieu, dass sich nach der Wende im Osten formiert und zunehmend militanter, gewalttätiger auftritt. Woher diese Nazis kamen (vom Mars eventuell?), beantwortet der Film allerdings ebensowenig wie konkretere Fragen – etwa, wie sich diese spezielle, rechte Orientierung aufbaute, in welchen Schritten sie sich vollzog und welche biografischen Brüche (möglicherweise) zu dem Ergebnis führen, dass wir unter dem Stichwort »NSU« zu kennen glauben.

Inhaltlich oberflächlich, handwerklich schlampig

Ungenau bis falsch (man könnte auch sagen: an seinem Gegenstand uninteressiert) ist der Film bereits bei der Grundkonstellation – der Zeichnung der Szene, die er angeblich thematisieren will. Was eigentlich verwundert. Das deviante Jenaer Plattenbau-Milieu sowie die Verstrickung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in die kleinkriminelle Szene ist in der Standardveröffentlichung zu jener Phase (Aust / Laabs: Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU) ausführlich recherchiert. Statt all diese (oder auch nur einige) Widersprüche zu thematisieren, macht die ARD-Produktion das, was die ARD eigentlich stetiglich macht, wenn sie irgendwie »Nazis«, »Rechte« oder irgendwas in der Art über ihre Programmschiene versendet. Anstatt im Vorfeld zu recherchieren, lassen Redakteure, Regisseure und Produzenten auch in Heute ist nicht alle Tage ihrer Fantasie freien Lauf. Da das Ganze irgendwie mit Jugendkultur zu tun hat, wird eine rechte Version von Jugendzentrum in Szene gesetzt und darum die zu erwartenden platten Parolen gekloppt. Und weil »Nazi« (zumindest in den Augen gutbezahlter ARD-Fernsehregisseure) irgendwas »Existenzialistisches« hat, wird halt viel laut geschrien, Pogo getanzt, Sex gemacht, Gewalt gemacht und, rrrichtig realistisch, Nazisprech nach ARD-Standard-Drehbuchart zum Besten gegeben. Fazit: Alles Existenzialismus – so ist sie halt, unsere Jugend.

Komplettiert wird diese – mittlerweile zum Sender-Kennungsmerkmal gewordene – Form des Überspielens, der Bedeutungs-Generierung durch Bedeutung-Behauptung durch eine Kostümierung, die nicht nur ebenso überspielt wirkt, sondern im konkreten Fall einfach nicht stimmt. Dass die deviante Plattenbau-Nazibraut Beate Zschäpe schicke Szene-Klamotten trägt, sagt jedenfalls weniger was über Zschäpe aus als vielmehr über die Projektionen ARD-beauftragter Fernsehmacher. Auch handlungstechnisch könnte man mit der Kritik fortfahren ohne Ende. Allerdings gibt es wenig. Im Grunde nämlich ist der Film eine einzige Aneinanderreihung als Protestakte in Szene gesetzter Grenzüberschreitungen, von Gewalt, Knutschereien, bedeutungsschwanger gemeinten Parolen und Action. Die einzelnen Stationen vor dem Abtauchen in den Untergrund kommen dabei allenfalls schemenhaft vor. Ebenso die Schlapphüte und Ermittler. Die zwar auftauchen – allerdings ohne kontextualen Zusammenhang. Nach dem Motto: Ein bisschen realistisch sind wir bei unserem Film schon.

Natürlich ist das besinnungslose Zusammenschmeißen linker und rechter Protestsymbolik zu einer als semidokumentarisch deklarierten Bonnie-and-Clyde-Story ärgerlich. Gemessen an seinen Ansprüchen fällt Heute ist nicht alle Tage in jederlei Hinsicht durch. Er erklärt sein Thema weder auf psychologische noch auf dokumentarische oder – warum nicht? Dass der NSU großer fucking Shit ist, darüber sind wir uns hoffentlich einig – pädagogisierende Weise. Aufgrund seiner Gleichförmigkeit mag dieses Stück selbst als unpolitischer Thriller nicht so recht zu funktionieren. Stattdessen also die ARD-übliche Nazi-Sauce – mit »Tatort«-ähnlicher Dramaturgie, auf zeitgeistig getrimmte Farb-Optik und Null-Aussage.

Wie im Deutschlandradio-Kultur-Interview nachzulesen, war es Regisseur Christian Schwochow darum zu tun, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ohne Wertung darzustellen, als Gemeinschaftsbund, der die völkische Utopie auch vorwegnehmen wolle. Zu diesem Zweck, so Schwochow, habe er sich dem Trio genähert wie etwa alten Klassenkameraden. Das mag man als Arbeitskonzept hinnehmen. Kritik ist allerdings spätestens dann angesagt, wenn das Ergebnis – so wie hier – in distanzlose Verherrlichung, in tendenzielle Anbetung abdriftet. Von der vermittelten Message her kann man den Trilogie-Erstling der ARD nur katastrophal einschätzen. Ärgerlich wäre das bereits dann, wenn es »nur« um einen »Tatort« ginge oder einen beliebigen Mittwochs-Themenfilm. Hier jedoch ist nicht nur der Anspruch hoch gehängt. Hier geht es – irgendwo – auch um Antworten auf eine der größten Mordserien in der Geschichte der BRD. Und, ganz aktuell: die Frage, woher Rechtsterrorismus kommt und was seine Ursachen sind.

Gelbe Karte für die ARD?

Ärgerlich ist nicht, dass der Film (filmisch) schlecht ist. Ärgerlich ist, dass er Nazisein als cool hinstellt, als veritable Art, Spießer zu schocken, als – wenn auch mit dem obligatorischen Zeigefinger gekoppelte – mögliche Alternative zum Leben in bürgerlicher Einförmigkeit. Lavieren auch die beiden Folgefilmen in ähnlichen Fahrwassern, wäre das für die ARD ein medialer GAU. Möglich, dass Publikum und Medien mittlerweile so abgestumpft sind beim Thema Mit rechtem Livestyle Kasse machen und Renommierpunkte sammeln, dass auch diese politische Geschmacksüberschreitung durchgeht. Da das Fiktionalangebot des Senders jedoch insgesamt am Boden liegt (ein, zwei beachtenswerte Filme, die pro Jahr durchschlüpfen, reißen das Ganze nicht raus), wäre die Frage, wie sich die Filmszene hierzulande (die – bei aller Kritik – besser ist als ihr Ruf und um Längen besser als ihr öffentlich-rechtlicher Teil) gegenüber den dominanten Staatsanstalten verhält.

Sicher kann man sich weiterhin wegducken. Schlechte Filme (mit)machen und hoffen, dass irgendwann wieder bessere Tage kommen. Man könnte allerdings auch Kritik formulieren, künstlerisch-kreative Ansprüche. Dass das Publikum durchaus auch Anspruchsvolles zu goutieren weiß, beweist nicht zuletzt der Erfolg US-amerikanischer Qualitätsserien – ein weiterer Sektor, wo sich die Öffentlich-Rechtlichen seit Jahren wegducken. Fazit: Zu retten ist beim ersten deutschen Staatssender zwischenzeitlich kaum noch etwas. (Beim zweiten bedingt – wie auch die vergleichsweise reflektierte NSU-Aufarbeitung in Letzte Ausfahrt Gera unter Beweis stellte. Aber diese Diskussion würde an der Stelle zu weit führen.) Der Unwille mag die Programmgestaltung zwar kaum zu beeinflussen. Allerdings sollte man diesen Spin-Aufgleisern, Renommée-Abstaubern und Anspruchs-Antäuschern zumindest außerhalb der Senderflure entschiedener und klarer gegenübertreten.

Weitere Kritiken:

»Seht die Wahrheit dieser Menschen«. Kritik auf faz.net

Vorab-Info zur Trilogie bei stern.de

»Verlorene Generation«. Kritik bei fr-online.de

»Anna Maria Mühe – das ist die Beate Zschäpe im NSU-Film heute«. Vorstellung von Schauspielerin und Filmrolle auf der Webseite der Augsburger Allgemeine.

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Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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