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TV-Serie »Big Little Lies« läuft aktuell in der zweiten Staffel. Warum die Mini-Serie um kalifornische Helikopter-Mütter auch in politischer Hinsicht anspruchsvoll ist

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Trügerische Idylle: Carmel-by-the-Sea, Schauplatz der Serie „Big Little Lies“
Trügerische Idylle: Carmel-by-the-Sea, Schauplatz der Serie „Big Little Lies“

Foto: imago images/Danita Delimont

Die Lobgesänge fielen bereits anlässlich der Austrahlung von Staffel eins der US-amerikanischen Miniserie »Big Little Lies« überdurchschnittlich aus: endlich serielles Unterhaltungskino auf hohem Niveau, tolles Schauspielerkino – speziell was die weiblichen Parts anbelangt; hinzukommend eine gelungene Optik sowie ein ebenso gelungener Soundtrack. In Anbetracht des aktuellen Serien-Ausstosses mit wöchentlich mehreren Neustarts und Staffel-Fortsetzungen ist diese Bündelung zwar sicherlich beachtlich. Allerdings erklärt der eher durchschnittlich bis bescheiden ausfallende Zustand aktueller serieller Massenware nicht die Lobestöne, die diese Produktion einfuhr.

Eingebetteter Medieninhalt

Zutreffend ist: Die Macher(innen) von »Big Little Lies« haben so gut wie alles richtig gemacht, was im Bereich ambitioniertes Erzählkino richtig zu machen war. Um neben viel Kritikerlob auch Branchenpreise wie Emmy, TCA Award und Golden Globe Award gleich reihenweise abzuräumen, muss eine Serie allerdings mehr bieten als bloße Fehlervermeidung. Blicken wir zurück auf den Auslöser der Lobeshymnen, die erste Staffel. Schauplatz ist Carmel-by-the-Sea, eine Reichen-Enklave in unmittelbarer Nachbarschaft der kalifornischen Stadt Monterey. Das Geld sowie die (in der Regel) lukrativen Jobs seiner Bewohner regnen gleich aus zwei Richtungen hernieder: der IT-Industrie im nördlich gelegenen Silicon Valley und der Unterhaltungsindustrie des LA-Ballungsraums im Süden. Das erzählerische Gerüst rankt sich um fünf Frauen: Madeline Martha Mackenzie (Reese Witherspoon), Celeste Wright (Nicole Kidman), Renata Klein (Laura Dern), Jane Chapman (Shailene Woodley) und Bonnie Carlson (Zoë Kravitz).

Grundkonflikt ist der Kampf um Ansehen und Status – der schöne Schein, der auch in diesem Paradies der Glücklichen unbedingt gewahrt werden muß. Erzählt wird die Geschichte vom Ende aus – einem Unfall mit Todesfolge, welcher sich auf einer Charity-Gala ereignet hat und der, so muss man aus den Verhörsequenzen schließen, welche die Serie in eingesprengselter Form durchziehen, wahrscheinlich auf handfeste Gewalteinwirkung zurückzuführen war. Gewalt spielt auch in der Vorgeschichte – dem Hauptteil der Serie, der auf ebendiesen Galaabend zuführt – eine wesentliche Rolle. Gewalt nämlich gibt es in Carmel by the Sea mehr, als die idyllische Oberfläche vermuten lässt. Es beginnt mit Misshandlungsvorwürfen gegen den Sohn von Jane, einer zugezogenen Buchhalterin, setzt sich fort bei der häuslichen Gewalt, der eine der vier anderen Frauen unterworfen ist und endet – als weiterer sich durch die Serie ziehender Sub-Plot – mit tragischen Schatten in der Vergangenheit von Jane: einer Vergewaltigung, deren leibliche Folge (wahrscheinlich) ihr Sohn ist.

Das Ganze hört sich nach einen gepflegten Who-dunnit-Krimi an – mit der Abweichung, dass die Person des Opfers erst in der letzten Folge von Staffel eins enthüllt wird. In Wirklichkeit ist »Big Little Lies« allerdings eine Feldstudie, wie kleine (Lebens)lügen zwangsläufig zu größeren, handfesten führen. Und natürlich ein Sittengemälde. Die schauspielerischen Leistungen der verpflichteten Stars (Witherspoon, Dern, Kidman, Kravitz) wurden zu Recht positiv hervorgehoben. Wobei sich in der aktuell angelaufenen Fortsetzungsstaffel eine weitere Größe des amerikanischen Erzählkinos hinzugesellt: Meryl Streep in der Rolle der Mutter des Getöteten. Entsprechend modifiziert ist bei »zwei« natürlich auch die Versuchsanordnung. Die fünf Verdächtigen – zwischenzeitlich als die »Monterey Five« allseits bekannt – haben sich zur Notgemeinschaft zusammengetan, zur Schweigegemeinschaft. Eine Konstellation, die bereits ohne weitere Verwicklungen genug Zündstoff in sich bergen würde. Zusätzlich als Beschleuniger hinzu kommt mit Streep eine Mutter, die keinesfalls »nur« gewillt ist, um ihren Sohn zu trauern. Nein – diese Mutter will die Schuldigen, will Rache: womit die Pirouette großer kleiner Lügen in die nächste Runde geht.

Möglich, dass diese Form Geschichte schon von der Konstellation her nicht endlos weitererzählt werden kann. Entsprechend gab der produzierende Sender, HBO, bereits bekannt, dass die Serie mit Staffel zwei final endet. Welche Empfehlungen lassen sich geben? Wer personenbezogene Erzählformate mit offenen Ausgängen sowie reellen Geschichten als Grundlage mag, liegt bei dieser Serie richtig. Entsprechend stimmen die Liga-Vergleiche, die bisweilen angestrengt wurden, nur bedingt. »Desperate Housewives« ist – verglichen mit der Ernsthaftigkeit, mit der »Big Little Lies« seine Versuchsanordnung betreibt – sicher kein passender Vergleich. Der Klamauk und die damit einhergehende Karrikierung des Reichen-Milieus fehlen in »Big Little Lies« völlig. Tatsächlich eine ähnliche Liga ist hingegen »The Affair« – ebenfalls eine Versuchsanordnung, hier beeinhaltend die Langzeitveränderungen, welche eine Affaire anstösst, und im gesellschaftlichen Schichtenmodell zwei Lagen unter »Big Little Lies« angesiedelt: im Milieu des Ostküsten-Bildungsbürgertums sowie kleinbürgerlicher Existenzen in der New Yorker Peripherie.

Fazit: Sicher ist es zutreffend, dass auch »Big Little Lies« »letztlich« nur wohlfeile Pseudo-Kritik zum Ausdruck bringt an der Welt der Reichen und Schönen – nach dem Motto »Reichsein schützt vor Problemen nicht«. Vordergründig mag der Serieninhalt also trivial sein – wobei die Farbcolorierung im Vogue-Style sowie der ausgewählte Soundtrack mit Soul- und Singer-Songwriter-Stücken das Bild einer doch irgendwie erstrebenswerten Lebensform zusätzlich unterstreicht. Allerdings ist diese Form Kritik ein Stück weit banal. Zum einen: Wer träumte nicht bisweilen den Gedanken, reich zu sein und aller materiellen Sorgen ledig? Politisch gewichtiger ist so auch weniger die Binse, dass diese Leute »eben auch« Probleme haben. An sich nämlich wäre ein entspannterer zwischenmenschlicher Umgang in dieser (liberalen) Enklave, in der es an nichts mangelt, durchaus denkbar. Dass (auch) reiche Frauen lügen müssen (ebenso wie Männer), ist eben durchaus (auch) ein Ergebnis des neoliberalen Statusdenkens, wie es allerorten spürbar ist – eine Tatsache, die »Big Little Lies« nicht auf einfach-allgemeinmenschliche Schwächen herunterglättet, sondern vielmehr mit fast sezierender Akribie aufs Korn nimmt.

Sicher so: eine Serie, die sich gut konsumieren lässt – unter der Maßgabe, dass man ein Faible hat für psychologisch differenziert in Szene gesetzte Stoffe hat. Allerdings: Für rein auf Unterhaltung abgestellte Formate handelt »Big Little Lies« doch ein beachtliches Spektrum unterschiedlicher Problemthemen ab: häusliche Gewalt, Statusdenken oder auch den Widerspruch zwischen New-Age-Ideologiefragmenten und zweckinkrementellem Brachialegoismus. Bezieht man diese mit ein, ist »Big Little Lies« durchaus eine politische Serie.

Big Little Lies. 2 Staffeln mit 7 bzw. 9 Folgen. HBO 2017–2019. Erste Staffel auch als DVD-Box im Handel. Ausstrahlung 2. Staffel auf Sky seit dem 10. Juni mit wöchentlich einer neuen Folge.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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