Entourage mit Führer

Nationalsozialismus Selbst Hitlers Hofstaat bietet noch echte News. Eva-Braun-Biografin Heike B. Görtemaker beschreibt die Berghof-Gesellschaft als gesellschaftliches Herz des NS-Regimes

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Eva Braun und Adolf Hitler
Eva Braun und Adolf Hitler

Foto: Keystone/Getty Images

Dass »Hitlers Hofstaat« – so der Titel des im März neu erschienenen Buches von Heike B. Görtemaker – historisch nicht durchleuchtet wäre, kann man nun nicht sagen. Albert Speer war lediglich der prominenteste Paladin, der nach dem Krieg erfolgreich ins NS-Aufarbeitungsmetier eingestiegen ist. Speziell der unterhaltende Teil der Historie hat sich – nach dem Motto »Hitler sells« – von Anfang an auf die menschlich-allzumenschlichen Aspekte des NS gestürzt. Angesichts der Erfolgs zweier neuerer Filmproduktionen – dem schwülen Untergangsdrama »Der Untergang« und der Klamotte »Er ist wieder da« – warf die Zeit 2015 die Frage auf, ob »er« eigentlich je weg war. Als Longseller präsent war »er« schließlich auch in den diversen Reihen aus der Geschichtsschmiede des ZDF-Historieformat-Verantwortlichen Guido Knopp. Wer als TV-Zuschauer nach (noch mehr) dezentem NS-Grusel verlangt, dem lieferten gern auch die Öffentlich-Rechtlichen den nötigen Führer-Stoff – etwa vermittels Schlüsselloch-Dokus dieser Couleur.

Nichtsdestotrotz: Ungeachtet der Unmengen an Kolportage-Literatur ist Hitlers persönliche Entourage eine Art Black Box der historischen Forschung geblieben. Dass die Materie mehr abgibt als die gewohnte Kammerdiener-Perspektive, hat Heike B. Görtemaker bereits in ihrer 2010 erschienenen Eva-Braun-Biografie unter Beweis gestellt. Görtemaker skizzierte die Freundin des Führers als Frau, die durchaus selbstbestimmt ihren Lebensweg in Szene setzte und auch ihren Einfluss-Spielraum durchaus zu nutzen verstand. In ihrem neuen Titel hat sich die Historikerin nunmehr an das größere Projekt gewagt – sozusagen »Eva Braun Extended«. Das Ergebnis liest als veritables Sittenbild – als Sittenbild einer Profiteursgesellschaft, die sicher auch im historischen Maßstab einzigartig dasteht. Doch über wen reden wir genau, wenn wir über Hitlers Entourage reden? Görtemaker hat den Kreis, der sich um Hitler gruppierte, in drei zeitlich-thematische Abschnitte unterteilt: a) der Kreis persönlicher Günstlinge, welcher in der »Kampfzeit« dafür sorgte, dass der Führer zum Führer wurde, b) der auf die persönlichen Bedürfnisse Hitlers zugeschnittene Zirkel der sogenannten Berghof-Gesellschaft (Hitlers Hofstaat im engeren Sinn) und schließlich c) die Nachkriegs-Schicksalsgemeinschaft, welche eine bräunlich-klebrig grundierte Brücke der eigenen Art mit bildete zwischen dem restaurativen Adenauer-Staat und dem, was davor lag.

Wichtigste Feststellung des Buches: Identisch mit dem, was man gemeinhin unter dem NS-Staat versteht, war keine dieser drei personellen Konstellationen. Allerdings gab es in jeder Phase bedeutsame Schnittmengen. In der Anfangszeit gehörten zu dieser Schnittmenge vor allem Ernst Röhm, Pate und Begründer der SA, der Vitamin-B-Beschaffer Hermann Göring sowie Rudolph Hess, Hitlers persönlicher Adlatus. »Hitlers Kreis«, der erste Teil des Buchs, beschreibt vor allem ein kleinbürgerliches Milieu, bestehend aus rechtsgestrickten Hardcore-Revanchisten sowie im Zug des Kriegsausgangs Gestrandeten (wie Hitler selbst). Politisches Oberthema sind erst die rechten Geheimbünde, Parteigründungsversuche und Putschversuche der WK-I-Nachkriegsjahre, später dann die Machtergreifung sowie die In-Szene-Setzung des Führerkults. Görtemaker beschreibt, wie Hitler & seine Entourage bereits früh gesellschaftliche Kontakte knüpften in die Hautevolée der großbürgerlichen Gesellschaft – zu den Pechsteins, den Bruckmanns sowie, eine Beziehung zu beiderseitigem Nutzen auf Lebenszeit, zu Winifred Wagner und dem Bayreuther Kreis. Schritt für Schritt zeigt Görtemaker auf, wie nicht nur der Führer seine Bewegung formte, sondern diese auch ihren Führer – als bestes Pferd der völkischen Rechten, um an die Macht zu gelangen und mit Gewerkschaften, den Siegerstaaten sowie modernistischer Libertinage aufzuräumen.

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Dass das NS-Regime keinesfalls in eins zu setzen ist mit jener illustren Truppe, welche Hitler schließlich auf dem Berghof um sich gruppierte, verdeutlicht der zweite Buchteil, sinnvollerweise mit dem Titel »Die Berghof-Gesellschaft« versehen. Görtemaker beschreibt auch den Grund: Für Hitler diente der Hofstaat, neben dem Ausleben simpler Sich-in-den-Mittelpunkt-setz-Bedürfnisse, vor allem dem Zweck, einen Abstand herzustellen zu jenen Partei- und Staats-Fraktionierungen, welche die Macht im NS-Staat unter sich aufteilten. Entsprechend veränderte sich auch die Zusammensetzung der Runde, die Hitler um sich gruppierte. Die Umgruppierungen ab 1930 dokumentieren sich auch in der sozialen Neuformierung des Kreises mit unmittelbarem Zugang zu Hitler. Zunehmend bestimmen gesellschaftliche Aufsteiger das Bild wie Albert Speer, der Fotograf Heinrich Hoffmann und der Leibarzt Karl Brandt sowie organisationsfähige Adlaten wie der Parteisekretär Martin Bormann.

Einigen illustren Berghof-Gästen und ihren Geschicken widmet Görtemaker vergleichsweise viel Raum: beispielsweise der britischen High-Society-Faschistin Unity Mitford und dem auf die Briten angesetzten Spionage- und Antichambrier-Duo Fritz Wiedemann und Stéphanie zu Hohenlohe. Ebenso auch jenen, welche sich bei ihrer Karriereplanung vergaloppierten: etwa dem Mitte der Dreißiger in Ungnade gefallenen Verleger und Kunsthändler Ernst Hanfstengl. »Edeka« im NS-Style: Mittels der – später als »Spaß« deklarierten – Drohung, ihn über spanischem Bürgerkriegsgebiet aus dem Flugzeug zu werfen, wurde Hanfstengl auf recht drastische Weise klargemacht, dass er an Hitlers Hof zur persona non grata avanciert war.

Im Endeffekt ist »Hitlers Hofstaat« vor allem ein eindrucksvolles Sittengemälde einer gesellschaftlichen Aufsteiger-Elite, deren bürgerlicher Habitus dem bürgerlichen Habitus heutiger Tage ähnlicher ist, als man gerne glauben möchte. Darüber hinaus hat Görtemakers Buch noch weitere Aha-Effekte in petto: Einen maßgebende Rolle in beschriebenem Milieu – und zwar nicht nur als weibliche Zierde, sondern durchaus als Einflussträgerinnen – hatten auch die Frauen im Hofstaat, allesamt überzeugte Faschistinnen: Margarete Speer, Anni Brandt, Magda Goebbels und andere. Insgesamt zeichnet Görtemaker das Bild einer Großclique, deren Bestand sich im Verlauf der Machtergreifung zwar deutlich veränderte, in ihrer Kontinuität jedoch vor allem von drei Faktoren geprägt war: grenzenlosem Fanatismus, ebenso grenzenlosem Opportunismus und skrupellosem Aufstiegswillen. Besonders drastisch zeigten sich die Konsequenzen dieses Wegs in den Biografien von Albert Speer und Karl Brandt. Brandt etwa intrigierte nicht nur nach Kräften gegen seinen Nachfolger, dem homäopathischen Methoden zugeneigten Theo Morell, sondern war auch einer der Hauptverantwortlichen des T-4-Euthanasieprogramms.

Ansonsten – eine weitere Erkenntnis, die dieses Buch vermittelt – war Brandt einer der wenigen Hofstaat-Kriegsüberlebenden, die für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurden. Im Zug des Ärzteprozesses zum Tode verurteilt, wurde er am 2. Juni 1948 in Landsberg hingerichtet. Für den Rest von Hitlers ehemaliger Entourage waren die – im dritten Buchteil, »Kreis ohne ›Führer‹« beschriebenen – Nachkriegsjahrzehnte zwar nicht durchgehend eitel Sonnenschein, rückblickend allerdings eine Ära, in der es sich ganz kommod leben ließ. Highlight hier ist sicher der Coup, mittels der sich der Historiker Joachim Fest, eingefädelt von Verleger Wolf Probst Siedler, den prominentesten NS-Überlebenden an Land zog und mit dafür sorgte, dass Hitlers Rüstungsminister Albert Speer zum Gesellschaftsdarling und – für ein bestimmtes juste milieu der noch jungen Bundesrepublik – NS-Rockstar der Sechzigerjahre avancierte. Andere verhielten sich plump-unbelehrbar (man kann auch sagen: ehrlicher) – beispielsweise die frühe Hitler-Fördererin und Richard-Wagner-Schwiegertochter Winifred Wagner, die ihre Sympathien für den NS bis zu ihrem Tod bekundete.

Westdeutsche Kontinuität – exakt der Sorte, die Willi Winkler in seinem 2018 erschienenen Buch »Das braune Netz« anschaulich beschreibt. Nicht zufällig klingt Heike B. Görtemakers Hofstaat-Sittenbild in einer Ära aus, in der auch Winkler einen vernehmlichen Cut ausmacht: Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger. Görtemakers legt mit »Der Hofstaat« ein eminent politisches Buch vor. Es zeigt nicht nur, dass – lange vor jenem Datum, als die 68er jenen Zusammenhang neu entdeckten – das Private höchst politisch ist (beziehungsweise politisch dramatische Folgen zeitigen kann). Erschreckend an ihrem Buch ist die Darstellung, wie eng das seinerzeitige bürgerliche Milieu mit dem Schrecken und Terror des NS-Staats verquickt war. Rechnet man diese Erkenntnis auf die heutige Zeit um, die ebenfalls von einer Zunahme rechten, sozialdarwinistischen und Ellbogeneinsatz-rechtfertigenden Gedankenguts geprägt ist, zeigt sich deutlich, dass der Stoff keinesfalls ausschließlich ein historischer ist.

Auch wenn (vermutlich) keine »Hofstaate« zu befürchten sind wie zu Hitlers Zeiten: Der Schoß ist nach wie vor fruchtbar.

Heike B. Görtemaker: Hitlers Hofstaat. Der innere Kreis im Dritten Reich und danach. C. H. Beck, München 2019, 528 Seiten, 28 Euro, ISBN 978-3-406-73527-1.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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