Philip fand auf einmal den Gedanken reichlich versöhnlich, dass er, ein grundehrlicher Hysteriker, schließlich nicht einmal seinen eigenen Tod von einer Einbildung unterscheiden könnte.
Philip ist der Held der Ezählung Knoblauch am Kamin von Gabriele Wohmann. Er ist ein schrulliger Lebensschwächling, ein Schöngeist und ständiger Zauderer und Grübler. Er denkt gerade darüber nach, warum ihn in manchen Augenblicken eine solche Furcht und Leere überfallen, dass er denkt, er sinkt dahin in die Nichtexistenz.
Ich liebe Philip und seine ständigen Bemühungen, am Ende doch am Leben zu bleiben. Und ich liebe Gabriele Wohmans Bücher mit ihrer ironischen, betulichen – immer den gleichen Bogen abschreitenden – Prosa. Sie begleiteten mich durch lange Strecken meines Lebens.
Eine sehr fremde Welt
Warum sie in der DDR – beim Aufbau Verlag – einige Romane und Erzählungen von ihr verlegten, ist mir noch heute ein Rätsel, denn die Welt der bundesdeutschen Bildungsbürger, die sie beschreibt, war mir so fern wie nichts. Dass sie in vielem wohl doch deren Befindlichkeiten getroffen hat und das nicht immer freundlich, erkannte ich später daran, dass westdeutsche Leser die Wohmann nicht so mochten. Die meisten ihrer Helden rührten mich, sind anfechtbar, haben allerlei fixe Ideen, sind oft Kulturschaffende und plagen sich mit Hypochondrien und Ängsten aller Art.
Philip zum Beispiel arbeitet in einem Kulturarchiv. In der Anthologie Paarlauf trifft er eine Dame, die sich bemüht, das Elend der modernen Menschheit als Psychologin zu mildern. Es geht alles ein bisschen schief in der Erzählung, aber nicht ganz. Es geht bei ihr nie ganz schief, es ist immer eine heikle Durchwurstelei.
Eine Lebenskrise
stilvoll absolvieren
Andere Helden, wie der Komponist Hubert Frey im Roman Frühherbst in Badenweiler, sind bemüht, sich in einem Kulturbetrieb zu behaupten, der ständig neue Talente hervorbringt und in der die nächste Schaffenskrise auch das Ende aller Bedeutung sein kann. In einer solchen Schaffenskrise befindet er sich und entschließt sich darum, im eleganten Badenweiler seinen längst fälligen Zusammenbruch zu absolvieren. Er quartiert sich nobel ein und muss feststellen, dass er trotz allen Grolls auf seine Frau, auf sein Leben im bundesdeutschen Kunstbetrieb doch ganz gut zurechtkommt. Das irritiert ihn, denn eigentlich will er den Ursachen seines Krisengefühls auf die Spur kommen. Dauernd sendet er fiktive innere Botschaften an die Familie, an die Verwalter des kulturellen Lebens, an die Kreativen, die ihm Konkurrenz machen. Der Zusammenbruch bleibt aus und das Leben hat ihn wieder.
Tröstliche Lektüre
Diese Nachrichten aus einer Welt, die so normal und durchschnittlich scheint aber die immer auch „letzte Dinge“ behandeln, habe ich als tröstlich empfunden. Warum: Weil Wohmann ihre Helden – so ironisch sie sie schildert – immer ernst nimmt in ihrem Kampf mit der Welt, mit den Tücken des Alltags und den immer wieder hereinbrechenden Entsetzen darüber, dass wir alle alle sterblich sind.
Gabriele Wohmann ist gestern nach langer Krankheit in Darmstadt gestorben.
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