Keine Zivilcourage in der Tram

Rassismus Manchmal sind wir alle ein bisschen gaga.

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Kürzlich fuhr ich gemeinsam mit meinem Mann mit der Straßenbahn zum Pankower Zentrum.

Wir setzten uns hinter einen recht kräftigen, stiernackigen jungen Mann, der sich umdrehte und mich mit Blicken durchbohrte, weil ich mich am Griff seines Sitzes kurz festgehalten hatte, als ich mich in die Sitzreihe zwängte. Mein Mann setzte sich widerwillig daneben. Er hätte den jungen Mann lieber gemieden. Es war recht leer in der Tram.

Eine Station später stiegen zwei junge, gutaussehende Männer mit einem kleinen asiatisch aussehenden Kind ein, das einen recht dunklem Teint hatte. Der Junge war vielleicht so um die sechs Jahre alt. Beide unterhielten sich laut und anregt miteinander und dem Kind. Es ging um eine Geige, die irgendwo abgeholt werden sollte oder so.

Aber schon beim Einsteigen hatte der ungehobelte junge Fahrgast vor uns was gemurmelt von „Negerkind" und Störung und Gequatsche. Das wollten die jungen Männer nun klären und deshalb trat der eine neben den Sitz des Störers und fragte nach, was das soll und ob er nicht gesehen hätte, dass das gar kein „Neger“ sei, sondern ein asiatisches Kind mit einem deutschen Pass. „Ich bin auch Deutscher“, antwortete der junge Mann aggressiv-mürrisch. Ich machte beschwichtigende Gesten , weil ich zu erkennen meinte, dass der Fahrgast vor uns – außer Streit – nichts suchte. Und weil jetzt den Zugestiegenen widerfuhr, was mir auf etwas leisere Art auch widerfahren war.

Daraufhin wurde ich zurechtgewiesen: Wieso ich hier andauernd versuchte, eine offensichtlich rassistische Anmache zu ignorieren. „Ach“, dachte ich bei mir, „er vermisst Zivilcourage“. Ich hatte keine, ich sah niemanden gefährdet und fühlte mich selbst gerade wenig verteidigungsbereit. Ich hatte Angst, in eine Schlägerei zu geraten, denn der junge Mann mit dem Aufklärungsimpetus war auch in Kampfesstimmung.

Der kleine Junge war mit dem Begleiter abgelenkt und plauderte munter. Ich hatte Sorgen anderer Art, Kreislauf - und Zahnprobleme. Mein Mann hatte bis dahin gar nichts gesagt, verwies aber auf ein Label an der Jacke des jungen Mannes. Northern Faces stand drauf. Das sei doch völlig o.k. meinte der junge Mann. Also keine Nazijacke.

Inzwischen wurde deutlich, dass der junge Mann geistig leicht behindert war, eigentlich gestört. Er murmelte was von „betreutem Wohnen“ und war auf dem Rückzug. Ich weiß, dass es in der Nähe eine solche Einrichtung gibt.

Wir stiegen mit den beiden jungen Männern und dem kleinen Jungen aus. Der Wortführer der beiden erzählte noch, er lebe in Wien und da seien seine Erfahrungen noch schlimmer.

Uns beschäftigte im Weitergehen lange die Frage, warum den jungen Gast aus Wien nun ganz besonders die Feststellung, das sei kein „Negerkind“ so am Herzen lag. Gibt es einen Rassismus im Antirassismus? Sind wir alle ein bisschen gaga, was das Thema angeht? Ich – in reduziertem Zustand – eine Beschwichtigerin rassistischer verbaler Übergriffe, mein Mann ein Ignorant in Modelabels und unkämpferisch. Ein junger Mann mit einer leichten Störung und etwas dusslig, ein anderer junger Mann mit hohem Bedürfnis, umfassende Klärung herbei zu führen wo ein kurzes „ Halten Sie Ihren Mund“ besser gewesen wäre?.

Der einzige Normale schien das Kind gewesen zu sein. Hoffentlich hat es gut Geige gespielt.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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