Stuckrad-Barre als "Bilse" oder was ist ein Schlüsselroman?

Noch wach? Es ist schon schwer mit dem Leben und der Literatur. Sie durchdringen sich und oftmals ringen die Literaten mit dem Leben, vor allem mit den Personen, die das Leben bevölkern und sich in einem Buch wiederfinden und....

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

natürlich - sooooo nicht sein wollen.

Sie beschweren sich dann oder - wenn sie bereits tot sind - werden neu eingeordnet und abgelegt. Dagegen können sie wenig machen. Das neue Buch von Stuckrad-Barre scheint auch auf diese Effekte zu haben. Das ist der Zeitgeist - oder auch das Zeitgespenst, das diese Geschwindigkeiten erzeugt. Gestern noch realer Skandal heute fiktional-real.

Der Hunger-nach-der-Wirklichkeit

Das schrieb ich vor Jahren mal über diesen Trend, sich vom “Erfundenen” zu entfernen und das eigene Leben literarisch zu verarbeiten.

"Panikherz" war bewegend

Nun also Stuckrad-Barre. Der Roman “Panikherz” - vor einigen Jahren erschienen - über seine schreckliche Sucht und wie er ihr entkam. Das ist sehr beeindruckend. Als ich den Titel seines neuen Buches über die ganze Springer-Metoo-Geschichte las “Noch wach”? dachte ich an die entsetzlichen Nächte des Autors, der mit den Dämonen der Drogen ringt. Das ganze Theater drumrum ist eben so, wie es heute ist. Und die Beschwerdeführer marschieren schon am Horizont auf.

Thomas Mann: "Ich schreibe keine Schlüsselromane"

Aber neu ist das nicht. Thomas Mann war einst schwer gekränkt, als er - der in den Buddenbrooks so viele brave Bürger seiner Stadt erschreckt und verärgert hatte - mit einem Skandalschriftsteller namens Fritz Oswald Bilse in einen Topf geworfen wurde.Er schrieb darob auch gleich einen Essay Bilse und ich“, in dem er das energisch zurückwies. Er schriebe keine Schlüsselromane, erklärte er, sondern sah sich in einer Linie mit den großen Gestalten der Literatur. Das Resümee eines Skandalautor ist: Ich erzähle was Aufregendes. Was sagt Ihr dazu? Ein großer Schriftsteller aber meint, wenn er über die Gestalten schreibt, die er schilderte: Ich schreibe von mir.

Wobei Oswald Bilse mit seinen Enthüllungen durchaus interessant sind. “Aus einer kleinen Garnison” ist der Titel eines Buches, in dem er seine Beobachtungen niederlegt und eine harsche Kritik am preußischen verkommenen Offizierskorps hinlegt. Bestimmt ganz gut zu lesen. Aber die Rache folgte auf dem Fuße. Es gab Gerichtsprozesse. Das ist Thomas Mann nicht passiert, der immer von sich selbst schrieb .

Ingeborg Bachmann und Max Frisch

Ganz realistisch wird im jetzt veröffentlichten Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch mitten durch die Rabatten gelebten Lebens wird im Briefwechsel zwischen Max Frisch und Ingeborg Bachmann getrampelt. Es gehört sich eigentlich nicht und genau deshalb habe ich es mit Grausen und voyeristischer Aufregung gelesen. Ich stelle fest: Auch wenn die Rezensent:innen meinen, dass Max Frisch jetzt mehr Gerechtigkeit zuteil werde, er ist trotzdem furchtbar mit seiner Pfeife und ein fast inquisitorischer Fragesteller. Natürlich war es kein Mord, wie in Bachmanns Malina beklagt und natürlich hat er ihr das Manuskript vom Gantenbein vorher zugeschickt, bevor er sie als Romanfigur verwendete. Aber sein inquisitorischer Ton, auf den sie oft elegant ausweichend antwortet, geht einem schon auf die Nerven. Die ganze Wahrheit ist das auch nicht, schon deshalb nicht, weil gar nicht alle Briefe vorliegen.

Schlüsselromane nehmen dieser Tage auch deshalb rasant zu, weil sich diese Mesalliancen zwischen dem Leben und der Literatur so gut verkaufen und weil so viele Leute an Schlüssellöchern hängen. Was ist da noch toll an Ausgedachtem, wenn man nicht darüber sinnieren kann, wer wohl dahintersteckt?



Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden