Die "jüdische Greiferin"

Stella . Ein Leben Ein Film, der manchmal unter die Haut geht, manchmal den "Untergang" feiert.

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Über Stella Goldschlag - die jüdische Greiferin gibt es einige Bücher. Hier im Freitag wurden Peter Wydens Buch und das über die Maßen hochgepriesene 2019 erschienene von Takis Würger besprochen.
Nun ist auch der Film - Regie Kilian Riedhof - zur Geschichte erschienen.
Es ist ein schrecklich lauter Film. Lebenshunger und Liebesgier "feiern" dämonische Feste in Zeiten des Unterganges. Aber manchmal ist in dem Film zu viel Freude an diesen Inszenierungen: Eine während des Luftalarmes verlassene reichhaltige Tafel in einem Hotel wird geplündert, es wird getanzt und geliebt und rings umher schlagen die Bomben ein. Wo Folter und Bedrohungen zu zeigen waren, wurde das Ganze so exzessiv dargestellt, dass man manchmal die Augen schließen musste. Und kurz nach diesen Attacken floh Stella mit gebrochenen Rippen und schweren Prellungen im Marathonlauf aus einer Arztpraxis. Auch die Todesangst macht diese Szenen nicht glaubhafter.

Die Sprache der Gegenwart für die Schrecken von einst

Und dann die Sprache: Niemand von der Gestapo hätte "Judenfotze" gesagt, diese Art von Schimpf gab damals gar nicht. Niemand hätte eine Nachfrage mit den Worten "Sagt wer?" begonnen. Es hieß damals: Wer sagt das".
Fantastisch ist Paula Beer, denn ihr gelingt es, die Wandlung der überwältigten, gefolterten Stella, die unter Druck der Ereignisse von der gezwungenen "Greiferin" zur willigen Dienerin der Macht wird, glaubhaft zu zeigen. Im Schutz der Macht kann sie unbedroht leben, der Preis ist das Leben der vielen vielen anderen. (Anmerkung: In Szczypiorskis Buch "Die schöne Frau Seidenmann" ist es der jüdische Spitzel Bromek, der die Frau an die Gestapo verrät. Sie versucht, ihn zu bestechen, aber er erklärt, das ginge nicht, denn er habe sein "Kontingent" noch nicht erfüllt. )
Der Schluss zeigt eine Stella, die sich in ihren eigenen Illusionen und Selbstbetrug eingerichet hat, die das Judentum hasst, weil sie es von sich abspalten muss, um seelisch zu überleben.
In der Gerichtsszene am Schluss des Flmes hat sie bereits 10 Jahre Lagerhaft in sowjetischen Lagern hinter sich. Die wurden ihr nach einer erneuten Anklage "angerechnet" und sie blieb auf freiem Fuß.

Bizarre Versuche der "Rechtfertigung

Stella Goldschlag tauchte immer mal wieder in den Medien auf, sie gab auch ein Interview und fand bizarre Begründungen und Entschuldigungen für ihr Verhalten. Sie war Opfer und Täterin. Mir ist aber die Faszination, die dieser schönen und auch talentierten Frau entgegengebracht wird, doch verdächtig. Sie bedient manche "Ressentiments: Die Juden waren auch Verräter, sie sind nicht besser als andere. Und dann noch diese weibliche Form, die gern mit "dämonisch" Hand in Hand" geeht
Das Leben Untergetauchter Jüdinnen und Juden wurde oft dokumentiert. Ich kann empfehlen.
Das ist die Mutter Hermann Simon (von 1988 bis 2015 Direktor der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“)
Schonungsloser und realistischer habe ich es - bisher - noch nie gelesen. Eine der Währungen in dieser Zeit übrigens war bei Frauen "Sex gegen Unterkunft".

Erinnerung an einen mörderischen Konflikt

Welchen mörderischen Konflikten Menschen ausgesetzt sind, habe ich in der eigenen Familie erfahren. Auch da ging es um Leben und Tod.
Meine Mutter wurde 1944 noch von der Gestapo verhaftet, weil sie Auslandssender abgehört und Nachrichten darüber verbreitet hatte.
Ich kann hier aus den Erinnerungen, die meine Mutter hinterlassen hat, zitieren.

"Ich wurde früh, als ich in unsere Abteilung kam, gegen 9.00 Uhr von der Gestapo abgeholt. Es waren zwei Beamte, die mich mit dem Auto in die Auenstraße brachten. Das ging alles sehr ruhig und ohne viel Aufhebens vonstatten. In der genannten Straße waren damals das Gebäude und die Büros der Gestapo untergebracht.

Nun setz Dich mal hin, Du kleines gefährliches Biest, da geht aber der Kopf runter und Deine unschuldige Fresse wirst Du nie wieder aufmachen können. So begann er mit dem Verhör. Er schlug unbarmherzig auf mich ein. Die Brille fiel auf die Erde und ich konnte mich auf seine Fragen gar nicht richtig konzentrieren.

„Du hast ja selbst kein Radio und nun sag uns, wo Du die Sendungen gehört hat, gib uns die Adresse an, wo die Leute wohnen“! Ich habe mich hartnäckig geweigert, eine Auskunft zu geben. Er hat mich nicht mehr geschlagen, aber dann stellte er eine furchtbare Bedingung. „Ich gebe Dir eine halbe Stunde Zeit zum überlegen, nennst Du uns nicht die Adresse, dann muss Dein Kind dran glauben. Ein Ferngespräch an unsere Dienststelle in Lörrach und Dein Junge wird das zweite halbe Lebensjahr nicht mehr beginnen. Da machen wir kurzen Prozess und sein Lebenslichtlein wird ausgepustet!“

Es ging um meinen Bruder, Kind eines Zwangsarbeiters, der einige Monate alt war und in Lörrach in Pflege war.
Meine Mutter gestand, dass sie das Radio bei Bekannten genutzt hatte und diese wurden sofort verhaftet. Nach einigen Tagen wurde meiner Mutter einem Untersuchungsrichter vorgeführt und der baute ihr "Brücken". Er legte ihr nahe, dass sie diese Sender doch auch in Abwesenheit dieser Bekannten hören konnte und ob es nicht so gewesen sei. Meine Mutter stimmte erleichtert zu und erklärte, sie habe dort oft das Haus gehütet, wenn diese unterwegs waren. Und so gelang es, diese Bekannten noch am gleichen Tag zu entlassen.
Der Hintergrund ist sicherlich, dass im Jahr 1944 die Leute ahnten, dass der Krieg "verloren" war und auch sie bald würden Rechenschaft ablegen müssen. So kamen sie davon.
Meine Mutter wurde zu fast 3 Jahren Zuchthaus verurteilt, die sie auf dem Transport durch viele Gefängnisse des Landes "absaß". In Bremen Oslebshausen wurde sie von den Briten befreit.
Aber die Sache mit ihren Bekannten verfolgte sie durchs Leben, genau so intensiv wie die eigene Hafterfahrung.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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