Liebe macht taub

Live-Musik Wenn man ein Konzert besucht, hängt seine Beurteilung meist davon ab, wie gut man die Band und ihre Musik vorher schon kannte. Ganz selten gibt es Ausnahmen
Emily Haines (Metric) singt sich in alle Herzen, nur nicht in meines
Emily Haines (Metric) singt sich in alle Herzen, nur nicht in meines

Foto: Carolin Buchheim

Als ich vergangene Woche nach dem Besuch des New-Order-Konzerts auf Facebook die Bemerkung las: "New Order: Hits, Windows Wallpaper und ein bisschen Krisselsound." habe ich mich geärgert. Wie konnte jemand aus meinem Bekanntenkreis es bloß wagen, so despektierlich über die Band und das Konzert zu sprechen? Dabei handelte es sich (vermutlich) einfach um eine Person, die mit den Liedern der Band und der Band an sich nicht viel verbindet, schon gar keine tiefen Gefühle oder bedeutsame Erlebnisse. Die Musik war in dem Fall kein Stellervertreter für ein – meinetwegen auch längst verflossenes – Lebensgefühl.

Gestern Abend besuchte ich das Konzert der Band Metric und ich war die Einzige meiner Freunde, die fast keines der Lieder kannte und die keinen Bezug zur Band sowie der Musik hatte. Recht schnell war ich deshalb gelangweilt und begann, mich darüber zu beschweren, dass man die eigentliche Stimme der Sängerin Emily Haines kaum hörte, weil zu viel Hall auf dem Mikrofon lag, und darüber, dass alles viel zu artifiziell klang. Selbst das Schöntrinken der Veranstaltung mit Hilfe von Bier änderte nichts an meiner Haltung und als es musikalisch sowie gesanglich endlich zur Sache ging, war für mich längst nichts mehr zu retten, ich hatte innerlich bereits mit dem Konzert abgeschlossen. Aber ich fühlte mich ertappt: Wäre ich Fan gewesen – so wie die meisten Besucher – hätte ich mit Wohlwollen über den Hall in der Stimme hinweggehört. Es hätte mir genügt, die Stücke live zu hören, die Performance anzusehen, Emily Haines zu verehren, mich der kollektiven Freude darüber hinzugeben und mich den mit den Stücken verbundenen Gefühlen auszuliefern. Die Stimmung war nämlich unglaublich gut, die Menge war begeistert.

Überraschungsmoment

Umso erstaunlicher ist es also, dass ich durchaus schon Konzerte mit gutem Ausgang besucht habe, obwohl ich keinen Bezug zu den Künstlern hatte, ja, manches Mal noch nicht einmal die Lieder kannte.

Dass man überhaupt zu solchen Konzerten geht, kommt vor, wenn man aus beruflichen Gründen Karten geschenkt bekommt und der Neugier wegen eben auch dorthin geht, wo man sonst der Veranstaltung fern blieb – abschreckende Beispiele seien hier die Darbietungen von Britney Spears (Frühphase), Modern Talking (Spätphase), Top of the Pops oder Bravo Supershow (beides egal welche Phase) –, oder wenn man sich auf Festivals eben einfach mal eine Band anschaut, weil sie gerade vorne auf der Bühne steht und spielt.

So ist es beispielsweise der mir seinerzeit nicht bekannten Band Maxïmo Park gelungen, mich bei einem kleinen Open Air Festival in Köln dergestalt zu betören, dass ich anschließend noch mehrere Konzerte aufsuchte und monatelang fast ausschließlich deren erstes Album hörte, so dass die Band heute noch auf last.fm in der Gesamtansicht die Liste meiner Top-Künstler anführt. Wer die Band je live gesehen hat – vor allem die irre Performance des Sängers Paul Smith – weiß vermutlich um die Gründe meiner damaligen Hingabe.

Nicht ganz so drastisch, dafür nachhaltiger, war meine Erfahrung Ende der Neunziger Jahre beim Konzert von Paul Weller, von dem ich zwar ein paar wenige Lieder kannte, der mir aber dennoch und trotz seiner Legendenhaftigkeit fremd war. Seither bin ich in seine Stimme verliebt und ich sehe heute noch vor mir, wie wir da begeistert in der hinteren linken Ecke des Kölner E-Werks standen.

Der penible Fan

Zuletzt möchte ich noch auf eine weitere Variante des Konzertgängers eingehen, die mir ganz und gar unsympathisch ist: den peniblen Fan, der alles besser weiß. Der, der seinen Künstler zwar liebt, aber deshalb um so kritischer dessen Auftritt wahrnimmt. Der Fan erwartet eine große Gegenleistung für seine Liebe und ist gekränkt, wenn beispielsweise der Ton schlecht war, der Dialog mit dem Publikum zu gering oder gar nicht vorhanden, wenn der Künstler 'nicht gut drauf war' oder er die Stücke 'nur runtergespielt hat', wenn das Lieblingslied nicht dabei war oder das Konzert einfach nicht so war wie das tollste Refrenzkonzert ever, bei dem der Fan einmal vor vielen Jahren gewesen ist und von dem er jedem immer wieder erzählt – mit dem Vermerk, so schön würde es nie mehr sein können und alle mitleidig belächelt, die nicht auch dort waren.

Im kommenden November gehe ich wieder einmal zu einem Auftritt der Band Apparat. Aber so gut wie das Konzert in Tokio wird jenes dann nicht sein. Nicht, weil die Band schlechter spielen wird. Es wird dieses Mal einfach nur am Ort liegen.

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Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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