Die SPD am Scheideweg

Landtagswahlen Meine Erklärung zur Situation der SPD und zu den SPD-Ergebnissen der Landtagswahlen vergangene Woche.

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Die Ergebnisse der SPD bei den Landtagswahlen sprechen eine deutliche Sprache. In zwei Landtagen ist die Volkspartei SPD nahezu marginalisiert worden. Da gibt es nichts zu beschönigen und es wäre fahrlässig, den Vertrauensverlust nur auf die momentane Stimmungslage und die Debatte über die Flüchtlinge zu verkürzen. Dies zeigt auch das Ergebnis von Malu Dreyer und der rheinland-pfälzischen SPD, die sogar dazugewinnen konnte, auch wenn sie eine klare, humane Flüchtlingspolitik vertreten hat. Alle Analysen zeigen seit längerer Zeit, dass die abnehmende Bindekraft und die Wahlergebnisse der SPD in erster Linie mit der Entfremdung von ihrer Stammwählerschaft und der schwindenden Kernkompetenz „soziale Gerechtigkeit“ verbunden sind.

Klares Profil zeigen

Die SPD wird gebraucht, wenn sie ein klares sozialdemokratisches Profil hat. Wir müssen den 2009 begonnenen Erneuerungsprozess fortsetzen und selbstbewusst unsere Positionen zurückgewinnen. Eine schonungslose Analyse und eine Neuausrichtung der SPD sind für uns unerlässlich. Ich bin der Meinung, dass es gerade als Koalitionspartner in einer Großen Koalition wichtig ist, mehr Profil zu zeigen und den Mut zu haben, bei zentralen Themen unsere klare Gegenposition zu CDU oder CSU deutlich zu machen. Neben der Verteilungsfrage sind dies beispielsweise Positionen zur Vorratsdatenspeicherung, zur Flüchtlingspolitik, zu den Freihandelsabkommen sowie zu Fracking.

Ungleichheit verringern

In Deutschland besitzt die untere Hälfte der Bevölkerung 1,4 % des Vermögens, die oberen 10 % der Bevölkerung hingegen 66 % des Vermögens und auch der Anteil der Arbeitnehmer*innen am Volkseinkommen sinkt. Die statistisch definierte Mitte der Gesellschaft ist zwischen 2000 und 2011 von 58 % auf 50,6 % geschrumpft. Es ist nicht hinnehmbar, dass die größten Vermögensunterschiede ausgerechnet in Deutschland zu finden sind. Wir müssen diesen Trend umkehren. Zentrale Aufgabe muss es sein, die soziale Dimension in Deutschland und Europa zu stärken. Es darf nicht sein, dass innerhalb der EU einige Länder die Solidarität aufkündigen und diese damit immer stärker zu einem reinen Wirtschafts- und Währungsgebiet verkommt.

Gerade im Ruhrgebiet sind viele Kommunen unter Druck geraten. Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit haben sich verstetigt. Deshalb sind immer mehr Menschen in der Region von Armut bedroht. Laut den neusten Zahlen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gilt im Ruhrgebiet jeder Fünfte als arm. Die Förderung der öffentlichen Beschäftigung ist deshalb oberstes Gebot. Die SPD hat die Kommunen immer gestärkt. Diese Unterstützung muss für das Ruhrgebiet deutlich ausgebaut werden.


In die Offensive gehen

Die Verteilungsungerechtigkeit ist eine zentrale politische Zukunftsfrage, der wir uns stellen müssen. Es geht nicht nur um die Konzentration privaten Reichtums, sondern um die Abnahme der Durchlässigkeit und um die Demontage der Chancengleichheit. Die Mittelschicht schmilzt und immer mehr Haushalte haben kaum noch eine Chance, der Armut zu entgehen. Es ist also nicht nur eine moralische, sondern zunehmend eine wirtschaftliche Notwendigkeit, einzugreifen. Die reichsten 10 % reinvestieren ihre Gewinne nicht komplett und alle anderen haben immer weniger, um zu investieren oder Geld auszugeben. Kommunen und Regionen bluten aus und werden den sozialen Frieden immer weniger aufrechterhalten können. Rechtspopulisten werden diese Entwicklung mit dem Flüchtlingsthema verknüpfen und einen noch größeren Nährboden finden.
Schluss mit dem Schlingerkurs als scheinbarer Dauerjuniorpartner der Union! Wir brauchen ein neues Selbstbewusstsein. Wir sind die Partei, die für ein gerechteres Gesellschaftsmodell stärker in die Offensive gehen muss.


Einige erste kurze Kerngedanken habe ich in Stichworten aufgelistet. Diese möchte ich in den folgenden Wochen präzisieren, ergänzen und nach Gesprächen mit Experten aus verschiedenen Bereichen kampagnenfähig machen.
• Wir brauchen eine Stärkung der Binnennachfrage. Die einseitige Exportausrichtung ist mittelfristig problematisch. Mit einer deutlichen Lohnsteigerung in der öffentlichen Beschäftigung würde ein Signal an die gesamte Wirtschaft gesendet werden.
• Ich plädiere für ein neues Zukunftsinvestitionspaket. Die Politik der Schwarzen Null muss ein Ende haben. Öffentliche Investitionen – vor allem in die Infrastruktur und zur Integration der Flüchtlinge – müssen angekurbelt werden. Vor allem belastete Kommunen brauchen die Unterstützung des Bundes, um ihren Aufgaben gerecht werden zu können.
• Wir müssen den Sozialen Wohnungsbau massiv ausbauen. Auch der Immobilienbesitz (gerade für kleinere und mittlere Einkommen) sollte gefördert werden, z.B. durch Genossenschaftsmodelle oder durch Staatsfonds.
• Wir müssen auf dem Arbeitsmarkt nach dem Mindestlohn nun unbedingt die Zeit - und Leiharbeit, Minijobs und Werkverträge eindämmen. Equal Pay und ein ausgebauter, geförderter und sozialer Arbeitsmarkt gehören für mich genauso dazu, wie Solo- Selbstständige zu unterstützen und die Mittelschicht zu stärken.
• Wir brauchen ein gerechtes Steuersystem, welches untere und mittlere Einkommen entlastet und große Einkünfte und Vermögen belastet. Dazu müssen die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge wieder abgeschafft und die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden. Die Erbschaftsteuer muss so ausgestaltet werden, dass große Betriebsvermögen nicht annähernd steuerfrei übertragen werden können. Ein höherer Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer könnte zu einer Reduzierung der anderen Steuersätze genutzt werden.
• Wir müssen die gesetzliche Rente stärken. Das Rentenniveau darf nicht weiter absinken. Die Erwerbsminderungsrente muss armutsfest ausgestaltet werden. Die Riesterrente ist ineffektiv und teuer und muss abgeschafft werden. Wir brauchen eine Solidarrente (Lebensleistungsrente), die Angleichung in Ost und West und den Ausbau der Arbeitslosenversicherung zu einer echten Arbeitsversicherung mit der Absicherung von insbesondere Selbstständigen.
• Auf europäischer Ebene ist die zentrale Frage die wirtschaftspolitische Frage. Es wird endlich Zeit, die Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene umzusetzen. Große Konzerne müssen endlich angemessene Steuern zahlen – „Exit-Steuern“ und der Wegfall von Steuerbefreiungen sind der Anfang.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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