Ein Hauch von Majestät

Italien Presseschau zum Wahlsieg von Angela Merkel und der CDU

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Wer sie in der Vergangenheit unterschätzt hat, wurde nicht nur brutal aus seinen Träumen gerissen, sondern blieb auch meistens schwer verletzt zurück. Daran erinnert der Soziologe Ulrich Beck in einem Interview für die Tageszeitung La Repubblica: „Kompliziert wird es, da Merkel ihren historischen Partner, die Neoliberalen verloren hat. Man ist sogar versucht zu sagen, dass sie alle ihre Koalitionspartner zerstört, sie sich zum Frühstück gönnt. Was uns zu der Frage führt: Wer ist der Nächste, der einverleibt wird?“

Etwas vorsichtiger der Chefredakteur des Blattes, Ezio Mauro, der für die per Video übertragene Redaktionssitzung den Titel gewählt hat „Merkel die Königin, die nun Europa gestalten muss“. Denn so sehr es einmalig sei, dass das Ergebnis von Parlamentswahlen ganz Europa „von den Menschen bis zu den anderen Staatskanzleien“ in Spannung versetzt habe, so wichtig sei es jetzt, „von der reinen Machtfrage zu der des Leaderships zu gelangen“.

Dass das Blatt der Auffassung zuneigt, der Wahlerfolg der CDU sei weniger ein politischer als vielmehr ein persönlicher der Kanzlerin und ihres Stils, zeigt sich auch am Interview mit Giovanni di Lorenzo. Der „ZEIT“-Chef wird mit den Worten zitiert, dass „bis vor 10 oder 15 Jahren niemand es für möglich gehalten hätte, dass eine Frau, zumal eine aus dem Osten und ohne Kinder, Kanzlerin werden könnte. Heute fragt niemand mehr danach. Mehr noch: Sie hat ein Establishment mit einem Menschen mit Handicap (Schäuble), mit einem Vizekanzler vietnamesischer Herkunft und einem homosexuellen Außenminister aufgebaut. Die Veränderung in der Wahrnehmung und im Stil“ sei, so di Lorenzo, „die einschneidendste Neuerung in der Gesellschaft“.

Wo es um die Inhalte geht und hier vor allem um die europäische Dimension, ist das Blatt dagegen höchst distanziert. Die Autorin Barbara Spinelli, die schon vor der Wahl die auswärtige Politik der Kanzlerin kritisch unter die Lupe genommen hatte (s. der Freitag, „Deutschlands Europa – Europas Deutschland“), sieht vor allem Ambivalenz am Werk. Wo sie sich zu Wort gemeldet habe, habe sie eine neo-nationalistische Klientel im eigenen Land bedient: Die Abwendung vom freien europäischen Markt hin zu einer nationalen Isolierung sei weniger Frucht besserer Einsicht, meint Spinelli, sondern Folge einer diffusen Angst: Sie wollen „Stabilität um jeden Preis. Und ‘keine Experimente‘ wie schon Adenauer sagte.“ Daran würden auch die Armut und 7 Millionen prekär Beschäftigte nur wenig ändern, die zu Mindestkonditionen arbeiten, die unter denen in Spanien liegen. „Es bedürfte schon, dass die Krise die Menschen härter anfasst, um sie aus ihren Vorstellungen zu reißen“, meint Spinelli, so wie es erst der Katastrophe von Fukushima bedurfte, um sich von der Atomenergie zu verabschieden.

Nicht weniger kritisch Il Fatto Quotidiano, der daran erinnert, dass die Rezeptur von Gerhard Schröder und seiner Agenda 2010 um aus Deutschland als kranken Patienten die Lokomotive Europas zu machen, mehr Schein als Substanz sei. Zwar seien numerisch die Arbeitsplätze vor allem mit dem Angebot an sog. Mini-Jobs und Teilzeitbeschäftigung erhöht worden. Tatsächlich aber habe sich das Arbeitsvolumen im Zeitraum zwischen 2000 und 2012 nur um 0,3% erhöht, so dass im Ergebnis, wie es die Linke Mitte August formuliert hatte, lediglich eine Umverteilung auf mehr Erwerbstätige stattgefunden habe.

Diese Entwicklung sei unmittelbar zu Lasten der Europäischen Nachbarn gegangen, meint Il Fatto weiter. Denn während die Binnennachfrage und der interne Konsum zurückgegangen seien, habe Deutschland mit der Einbremsung der Stückkosten (+3,9% zwischen 2000 und 2010; Italien +32,5%) eine Verbilligung der eigenen Produkte um rund 18,2% gegenüber den Europäischen Partnern erreicht und damit den Export in die Länder der EU angekurbelt, die diesem Kahlschlag nicht gefolgt sind. Das Blatt zitiert dabei einen Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der UNO vom Januar 2012, der dem deutschen Niedriglohnsektor eine Mitverantwortung an der Euro-Krise zugesprochen hat.

Der Artikel endet mit dem Satz des Sozialrichters Jürgen Borchert, wonach die soziale Marktwirtschaft am Ende angelangt sei, wenn die Ökonomie es nicht schafft, denen das Überleben zu sichern, die hart dafür arbeiten, während wenige unvorstellbare Reichtümer anhäuften.

Naturgemäß einen anderen Ton schlägt die Tageszeitung Corriere della Sera an. Das seit Monaten kurz vor der Insolvenz stehende, Unternehmerkreisen nahe stehende Blatt hat sich zunächst auf den Umstand konzentriert, dass die Alternative für Deutschland (AfD) nicht in den Bundestag eingezogen ist: „Es wird sich zeigen, ob sich hinter der Maske von Professoren eine Partei breit gemacht hat, die von rechts außer den Euro auch die Politik und das „System“ bekämpft.“ Kritische Töne gegenüber Merkel finden sich dementsprechend nicht.

Als atmosphärisch kann man den Beitrag bezeichnen, in dem von Italien nach Berlin Ausgewanderte die Vorzüge der deutschen Hauptstadt preisen („Abstimmen mit den Füssen ist unmittelbarer Ausdruck der eigenen Meinung zu einem politischen System, in dem man es einfach zugunsten eines anderen verlässt, das als besseres erkannt wurde“). Um sodann bei den Führungsqualitäten von Angela Merkel zu landen, die mit den Worten des Politologen Jan-Werner Müller so zusammengefasst werden: Das Geheimnis seien „ihre Popularität und ihr Stil, der an einen guten Manager erinnert. Vor allem aber hat sie es geschafft, sich und in gewisser Weise auch ihre Partei von den Problemen der Koalition zu lösen“, um den Liberalen „das gesamte Konfliktpotential und die Inkompetenzen der Regierung anzuhängen“.

Vielleicht hängt es damit zusammen, dass im Vorstand der Verlagsgruppe RCS, die den Corriere herausgibt, auch Kanzler-Berater Roland Berger sitzt: Aber der Wahlsieg in Deutschland weckt bei der Zeitung die Hoffnung, dass andere Länder weiter dem Beispiel von „Strukturreformen und Haushaltsdisziplin“ folgen werden, während Merkel ermuntert wird, die Politik „Schritt für Schritt“ zu akzentuieren – über reine Zahlungsbilanzen hinaus, in einer engeren Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank und einem Bekenntnis zu Hilfeleistungen für Griechenland und andere, die in Schwierigkeiten geraten sind oder könnten. Es sei an Merkel, zu bekennen, „was realistisch von der Europäischen Union in ihren Plänen übrig geblieben ist, da sie einen mehr ökonomisch-finanziellen Ton angenommen haben.“

Ganz im hetzerischen Ton dagegen Il Giornale, Tageszeitung der Familie Berlusconi, die den Sieg Merkels im Zeichen von „Rigorismus und Austerität“ sieht und Italien als „Geisel“: „Paradox die Situation Italiens, das weiter für andere zahlt als wäre das Land gesund und trotzdem Ohrfeigen einstecken muss, so als ob es sich zu rechtfertigen hätte, während die Augen der „Verbündeten“ begehrlich auf unsere letzten Reichtümer gerichtet sind“. Nichts anderes sei die deutsche Politik als „die eines Marders im Hühnerstall, voller dummer Hühner auf der Flucht vor dem Unbekannten, die nicht merken, dass sie von dem schlimmsten Feind aufgefressen werden, der sich bereits im Haus befindet.“ Es lohnt darüber nachzudenken, dass der Verfasser des Artikels Claudio Borghi Aquilini Professor für Wirtschaftsrecht an der Katholischen Universität zu Mailand ist und seit Längerem für einen euroskeptischen Kurs publiziert. Wer in dieser Strömung der italienischen Rechten ein Pendant zum AfD sehen will, wird sich seine Worte zu Herzen nehmen. MS

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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