Heinrich Heine hat in seiner berühmten Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland den angeblichen Mangel an Leben in der Biografie Kants mit dem ihm eigenen Humor gezeichnet. Klar, sagt Heine, da ist auf der einen Seite der revolutionäre Denker mit seinen „weltzermalmenden Gedanken“. Aber sonst, die Lebensgeschichte des Immanuel Kant sei schwer zu beschreiben. „Denn er hatte weder Leben noch Geschichte.“
Mit diesem Gerücht räumt Felix Heidenreichs neuer Roman gründlich auf. Der Stuttgarter Autor, dessen brillantes Debüt Ich erinnere mich noch (der Freitag 41/2022) noch gar nicht so lange her ist, legt nun mit Der Diener des Philosophen einen Roman über ebendiesen Philosophen und seinen Diener Lampe vor.
Das Buch ist eine
nicht so lange her ist, legt nun mit Der Diener des Philosophen einen Roman über ebendiesen Philosophen und seinen Diener Lampe vor.Das Buch ist eine sehr unterhaltsame Vorbereitung auf das große Kant-Jahr 2024, es umfasst 23 Miniaturen aus dem Leben Kants und seiner Freunde. Sie sind entweder in der Ich-Form verfasst, wenn Lampe über seinen Herrn sinniert, oder in der Er-Form, wenn der britische Unternehmer Green, zuständig für Kants Finanzen, oder der erste Biograf Kants, Ehregott Andreas Wasianski, ihren Auftritt haben. Nebenfiguren sind der Jurist und Popularphilosoph Hippel, ein Literaturkreis, ein Herzog und Kants große Liebe, Charlotte von Knobloch.Heidenreich präsentiert in seinem Roman das Kant’sche Universum der Philosophie, dessen Beschreibung ganze Bibliotheken füllt, einmal ganz anders: Es geht nicht um Erkenntnistheorie, Ästhetik, Moralphilosophie, Universitätstheorie oder Anthropologie, sondern um Kants Haushalt und seinen Diener Lampe. Es handelt sich um eine philosophiehistorische Homestory. Er schildert, wie es im Text heißt, das „System der Beziehungen“ mit Kant im Zentrum. Der Roman enthält historisch verbürgte Fakten und Anekdoten, teilweise sogar wörtliche Zitate aus Werken Kants. All das Bekannte verwebt Heidenreich aber zu einem Vexierspiel der aufklärerischen Kultur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dieses Spiel fasziniert nicht nur Philosophiehistoriker*innen, sondern richtet sich an interessierte Leser*innen, die hinter die Kulissen der Denkrevolution des 18. Jahrhunderts schauen wollen.Lachen befreitDie Geschichte kreist um die Beziehung von Kant und Lampe. Doch eigentlich müsste das Buch Die Diener des Philosophen lauten. Sowieso: Niemand um Kant herum erweist sich als devot und dienstbeflissen. Alle um Kant herum haben ihre versteckte Agenda, alle wollen etwas von ihm, der eigentlich nur philosophieren will. Sein Diener attestiert Kants Charakter ein „Nebeneinander von Scharfsinn und bodenloser Dummheit“, dessen kleines Ich glaubt, „gegen die Welt anvernünfteln“ zu können.Heidenreich präsentiert uns einen verschrobenen Kant, einen gewieften Diener, überehrgeizige Freunde und eine kleine Vorgeschichte der Bedeutsamkeit von Lieferdiensten für die Philosophiegeschichte. Wäre Humes Versuch über den menschlichen Verstand nicht in Königsberg bei Kant angekommen, wäre er nie, wie es im Text heißt, aus „seinem metaphysischen Schlummer erwacht“.Theorie, auch die theoretische Philosophie Kants, ist, wie Heidenreich mit Hans Blumenbergs Das Lachen der Thrakerin weiß, zunächst einmal exotisches Verhalten, das zwischen der Komödie des Denkens und der Tragödie der Philosophie hin und her oszilliert. Theorie ist also schon immer literaturfähig. Der sprichwörtlich gewordene Boden der Tatsachen, auf dem die Philosophie sich bewegt, ist versehen mit Stolperfallen, falsch stehenden Stühlen. Lachen befreit. Das Lachen, das sich unweigerlich auch bei der Lektüre von diesem Roman einstellt, befreit den/die Leser*in vom Ernst der Theorie und der Philosophie. Der Witz, so wussten es Kant und seine Zeitgenossen, ist gespannte Aufmerksamkeit für Situationen, in denen sich Abgründe offenbaren. Felix Heidenreich ist in diesem Sinne ein sehr gewitzter Autor.Placeholder infobox-1