Trixie, trauere nicht!

Beatrix von Storch Beatrix von Storchs Chemnitz-Tweet war geschmacklos? Von wegen! Trixie trauert und benötigt jetzt vor allem Mitgefühl. Ein offener Brief

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Trixie, weine nicht!
Trixie, weine nicht!

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Liebe Beatrix,

oder darf ich "Trixie" zu dir sagen? Liebe Trixie, ich sah deinen Chemnitz-Tweet, ja: Ich sah deine Wut. Wie du dich grämtest und ärgertest und schnauftest. Gegen Merkel, gegen die tanzenden, lachenden Menschen von Chemnitz:

Ihr seid nicht mehr. Ihr seid Merkels Untertanen, ihr seid abscheulich- und ihr tanzt auf Gräbern.

Trixie, ich habe über deinen Tweet nachgedacht und ich glaube, dass ich dich verstehe. Es geht dir um Diskurshoheit. Das ist doch die Vokabel, die das neurechte Denken strukturiert? Einige eurer klugen Provinz-Boys, drüben in Schnellroda und anderswo, wo die Welt ein bisschen langsamer dreht, haben die Vokabel bei Antonio Gramsci ausgegraben, dem kommunistischen Denker, der durchdrungen hat, was Ideologie wirklich ist. Dass man sie nicht einfach als Verblendungszusammenhang betrachten kann. Dass Gesellschaft von widerstreitenden Ideologien bewegt wird, dass der Diskurs, einem Betonmischer gleich, Ideologien durchwälzt bis sich eine zur vorherrschenden Ideologie verfestigt. Und wie erreicht man das? Indem man Diskurshoheit gewinnt, dem Diskurs seinen Stempel aufdrückt. Das habt ihr geschafft. Und wie! Seit Jahren treibt die AfD die bundesdeutsche Politik vor sich her, als hätte sie anstelle von 12,6 Prozent der Wählerstimmen eine absolute Mehrheit errungen. In euren Köpfen wart ihr längst die Mehrheit, und in den Medien sowieso. Ihr wart ein bisschen mehr von allem: Mehr Populismus, mehr Hetze, mehr Hass. Das stand euch nicht gut zu Gesicht, ergab eine ziemlich hässliche Fratze, aber das rechtfertigte noch lange keinen Tortenwurf, liebe Trixie! Denn der machte offenkundig, was viele Linke bereits ahnten: Dass wir eurem Treiben machtlos zusehen mussten, kein wirksames Mittel gegen eure Diskurshoheit fanden, sie gar weiter zementierten. Tortenwürfe sind was für Kinderparties, Trixie. Aber das hier ist ernst.

Es war deshalb so ernst, weil ihr die Kunst des Framings so brillant beherrscht. Das ist keine Gramsci-Vokabel, obgleich auch er verstand, was sie bedeutet. Es handelt sich um einen Begriff aus der Linguistik: Sprache strukturiert das Denken. Worte rufen Deutungsrahmen auf (Frame = Rahmen). „Flüchtlingswelle“ ruft den Frame „Naturkatastrophe“ auf, lässt an Bedrohung und Krise denken. Oder nehmen wir „Sozialschmarotzer“. Einer euer Lieblingsframes! Oder „Asyltouristen“. Ach halt, den mag auch Markus Söder. Der Frame jedenfalls trägt maßgeblich zu unserer Beurteilung der Dinge bei. Deine alliterationsaffine Partei schuf wirkmächtige Frames: Massen- und Messermigration (Markus Frohnmaier) beispielsweise. Selbst wenn man den Frame zurückweisen will, muss man ihn aufrufen – und bewegt sich damit wieder in eurem Deutungsrahmen. Geschickt ist das.

Vielleicht glaubtet ihr euch deswegen schon am Ziel? Nach den Vorfällen von Chemnitz stimmten viele Facebook- und Twitter-User, ob links oder rechts, eurem Claim zu: Ihr seid das Volk. Für Linke hieß das: Die Chemnitzer Pöbler und Schläger stehen für alle Chemnitzer, für alle Sachsen. Sie sind das Volk. Eure Propaganda wurde also Teil des bürgerlichen Bewusstseins. Weil aber auch AfD-Gegner sich als Teil des Volkes begreifen, muss folglich von einer Spaltung des Volkes ausgegangen werden. Auch diese Lesart spielt euch in die Hände: Hier die informierten, kritischen Bürger (ihr), dort die dummen Schafe und Mitläufer, die im Untertanengeist ihrer Führerin (Merkel) folgen. Genau das will dein Tweet ja bedeuten.

Das Problem ist nur: Du hast Nerven gezeigt. 65.000 Menschen, die mehr sein wollen als Hass und Niedertracht, machten dich wütend, verständlicherweise. So viel mehr sein wollten die Menschen, die sich in Chemnitz versammelten, dass sie von weit her anreisten. Aus Berlin. Aus Hamburg. Nach Chemnitz! Wir sind mehr – das heißt: Wir sind zahlenmäßig mehr als ihr. Das heißt aber auch: Wir sind eine pluralistische, bunte Gesellschaft, nicht der einheitlich-arische Volkskörper, den du in deinen BDM-Träumen herbeifantasierst.

Trixie, weine nicht! Ich habe einen Trost für dich. Was du durchmachst, ist eine ganz natürliche Phase der Trauer. Du weißt schon: Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Trixie, nicht mehr lange und du wirst akzeptieren, dass das einzige Grab, auf dem die Chemnitzer und der Rest der Mehrheit dieses Landes nur allzu gerne tanzen werden, das AfD-Parteigrab ist.

Aufrichtige Grüße

Deine Marlen

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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