DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM

Filmklassiker neu gesehen Am vorletzten Samstag wurde die durch Corona/Covid19 unterbrochene Mario-Adorf-Retrospektive fortgesetzt.

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Etwas verspätet – man kommt ja zu nichts mehr – möchte ich doch noch auf die Rückkehr diesen Klassiker des deutschen Politkinos auf die Leinwand zurückblicken: DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM

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Im Februar war ein Besuch des europäischen Weltstars Mario Adorf im Frankfurter Filmmuseum geplant; er musste aus Krankheitsgründen abgesagt werden. Am 29. März sollte der Besuch nachgeholt werden. Mein Täschchen mit den DVDs zum Signieren – u.A. DIE BLECHTROMMEL – war schon zum zweiten Mal gepackt. Inzwischen hatte Corona/Covid19 auch den Kulturbetrieb still gelegt und die Veranstaltung fiel aus.

Seit Juni ist das Deutsche Filmmuseum am Frankfurter Mainufer wieder geöffnet und die Mario-Adorf-Retrospektive wird fortgesetzt. Am Samstag, den 27. Juni wurde DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM gezeigt.

Inhaltsangabe (Quelle: Filmportal):

Nach einer ausgelassenen Karnevalsfeier verbringt die junge, attraktive und alleinstehende Haushälterin Katharina Blum die Nacht mit einer Zufallsbekanntschaft. Am nächsten Morgen stürmt ein SEK der Polizei ihre Wohnung, auf der Suche nach dem Mann, der als mutmaßlicher Terrorist gesucht wird – doch der Gesuchte ist bereits verschwunden. Durch diesen Vorfall gerät Katharina Blum ins Visier von Polizei und Medien. Der ermittelnde Kommissar nimmt sie in die Mangel, sie verliert ihre Arbeit, wird von Nachbarn angefeindet, und der zynische Reporter eines großen deutschen Boulevardblattes zieht ihr gesamtes Leben in den Schmutz. Als der psychische und menschliche Druck aus Vorurteilen, Verunglimpfungen und offenem Hass immer unerträglicher wird, greift Katharina zur Waffe, um den letzten Rest ihrer Ehre zu retten.

Der Film ist ein hochinteressantes Zeit- und Gesellschaftsbild der 70er Jahre. Die Spießigkeit der Zeit kommt bereits sehr gut durch die Darstellung der Karnevalsfeiern am Anfang zur Geltung und wird optisch durch die trüb-grauen Februarbilder verstärkt. Die bedrückende Atmosphäre bei Polizeiverhören und den Nachstellungen der Presse ist hervorragend geschrieben und gefilmt. Die Rolle der alleinstehenden unabhängigen Frau wird sehr kritisch aufgearbeitet; in Dialogen hören wir mehrfach Vorwürfe an Katharina Blum, sie würde sich sehr schnell mit Zufallsbekanntschaften ins Bett legen.
Im letzten Drittel des Films entwickelt sich Katharina Blum nach sehr demütigenden Polizeiverhören und Begegnungen mit der Presse zu einem ambivalenten Charakter. Ein Telefonat mit dem mutmaßlichen Terroristen Ludwig Götten und eine Begegnung mit ihm kurz vor Schluss des Filmes lassen die Vermutung zu, dass sie sich doch schon länger gekannt haben könnten.

Angela Winkler als Titelfigur Katharina Blum und Mario Adorf als leitender Kommissar Beizmenne spielen großartig und intensiv, bevor sie einige Jahre später als Ehepaar Matzerath in der BLECHTROMMEL brillierten – wieder unter der Regie von Volker Schlöndorff. Den Zeitungsreporter, der über Schicksale und Menschenleben geht, spielt der vor einigen Monaten verstorbene Dieter Laser. Zurückhaltend als mutmaßlicher Terrorist spielt Jürgen Prochnow, bevor er einige Jahre später als U-Boot-Kommandant vorübergehend zum Weltstar wurde. Die fotografische Leitung hatte Jost Vacano, bevor er einige Jahre später für DAS BOOT eine OSCAR-Nominierung bekam und in Holland und in Hollywood mit Paul Verhoeven (SPETTERS, ROBOCOP, STARSHIP TROOPERS) arbeitete. Seine Bildgestaltung trägt sehr viel zum bedrückenden Klima des Films bei. In einer Szene gibt es allerdings eine Panne; als Zeitungsredakteur Tötges (Dieter Laser) in von einer Telefonzelle mit seiner Redaktion telefoniert und den Text für den nächsten Verleumdungsartikel diktiert, ist in der Scheibe der Telefonzelle kurz die Reflektion des Kamerateams zu sehen.

Die Zeitung heißt im Film ganz einfach „Die Zeitung“, ist aber ganz klar durch das destruktive Agieren der BILD-Zeitung inspiriert. In Heinrich Böll´s Romanvorlage und im Abspann des Films heißt es:

„Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“

Bereits im Oktober 2017 wurde DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM im Frankfurter Filmmuseum im Rahmen einer Reihe von Heinrich-Böll-Verfilmungen gezeigt; Heinrich Böll, der oft als angeblicher Terroristensympathisant denunziert wurde, wäre damals 100 Jahre alt geworden. Heinrich Bölls Sohn Rene Böll war anwesend. In der Einleitung berichtete er, wie seine Familie von der Presse – hauptsächlich von der Springer-Presse und vom SPIEGEL terrorisiert wurde.

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Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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