Wieder im Kino: DIE BLECHTROMMEL

Film und Kino Ein Meisterwerk der Filmgeschichte kehrte jetzt auf die Leinwand zurück.

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„Ich beginne weit vor mir. Als meine arme Mama ...“

Normalerweise bin ich kein Freund von eingesprochenen Monologen, die viel zu oft ein Stilmittel mangelnden filmischen Erzählkönnens oder Faulheit ist. Diese ikonische Worte leiten die brilliante Verfilmung des brillianten Romans DIE BLECHTROMMEL ein; sie leiten die absurdeste Vergewaltigungsszene und Kindszeugung der Filmgeschichte ein. Diese Worte brennen sich ins Gedächtnis.

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Meine bis dahin letzte Kinovorstellung war am 8. Februar. Im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt war ein Besuch von Mario Adorf geplant. Mein Päckchen mit DVDs zum Signieren – u.A. DIE BLECHTROMMEL – war gepackt. Mario Adorf musste wegen einer Erkältung absagen; der Besuch wurde auf die übernächste Woche verschoben und fiel dann wegen Corona/Covid19 aus. Seitdem vermisste ich das Kino abgesehen von solchen Ausnahmen nicht. Auf Superhelden-Comic-Terror, die immer gleichen Neuverfilmungen und Fortsetzungen, deutschen Komödienschund, Til-Schweigereien und französisches Wohlfühl-Gedudel kann ich verzichten.
Und im Frankfurter Filmmuseum sah ich in meier ersten Kinovorstellung nach der Schließung am Sonntag, den 21. Juni den Film, der meine Entwicklung zum Filmfanatiker so sehr beeinflusste wie kein anderer Film. Hier sah ich DIE BLECHTROMMEL zum ersten mal als Film auf der Leinwand.

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Als DIE BLECHTROMMEL in die Kinos am, war ich erst 12 Jahre jung, Zum ersten mal sah ich den Film 1984 bei der Fernseh-Erstsendung im ersten Programm bzw. als Videoaufnahme. Damals gab es übrigens nur drei Ferhsehprogramme. Wer richtig viel Glück hatte, empfang die Dritten Programme aus den Nachbarländern Rheinland-Pfalz und/oder Bayern. Ich war der erste Schuljunge in der Nachbarschaft, der einen Videorecorder besaß. Das Gerät kostete unfassbare 600,00 Deutsche Mark. Eine VHS-Leerkassette kostete 70,00 Deutsche Mark – ungefähr so viel wie heute heute ein halbes Netflix-Jahresabo. Eine meiner ersten Aufnahme war die Erstsendung der BLECHTROMMEL. Mit einem sehr guten Freund schaute ich DIE BLECHTROMMEL mehrfach. Wir analysierten den Film genau. Wir schauten bestimmte Szenen mehrfach. Wir schauten z.B. die Szene von Agnes Mazerath´s depressiver Spätphase, in der sie eine Dose Ölsardinen mit der Hand leer ist, mehrfach nacheinander. Das Zurückspulen zeigte absurderweise, wie sich Agnes, die Ölsardinen aus dem Mund pult, zurück in die Dose legt und die Dose verschließt. Wir begrüßten uns mit Alfred-Mazerath-Zitaten: „Isch kann doch zur Uniform keine Wickelgamaschen tragen.“ – „Keine Gans ohne Beifuß“. Bestimmte Situationen, die wir mit Freunden erlebten, kommentierten wir mit Dialog-Zitaten, aus der BLECHTROMMEL, die alle Anderen nicht verstanden. „Mit de Kaschuben kannste keene Umzüge nich machen.“ – „Komm Bubb, mer müsse weidä.“

2013 stellte Goldene-Palme- und Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff eine erweiterte Fassung der BLECHTROMMEL persönlich im Frankfurter Filmmuseum vor. Er ist übrigens ein sehr freundlicher und bescheidener Herr, der an diesem Abend viele Autogramme gab. Im Kino wurde diese erweiterte Fassung nicht regulär gezeigt und erschien im Heimkinomarkt. Auch an diesem Abend mit Volker Schlöndorff wurde 2013 eine Blue-Ray gezeigt. Auf meine Frage, warum keine reguläre Kinoauführung käme, in den USA sei es ein egenes Geschärftsmodell, alle paar Jahre neue ultimative Versionen von z.B. ALIEN, BLADE RUNNER oder E.T. ins Kino zu bringen, antwortete Volker Schlöndorff sinngemäß, das läge wohl daran, dass die Deutschen überwiegend fernseh-fixiert seien. In Frankreich, wo Schlöndorff lange lebte und arbeitete, hatte es eine reguläre Kinoauswertung der erweterten Fassung gegeben.

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So sah ich DIE BLECHTROMMEL allerdings zum ersten mal auf der Leinwand. Gezeigt wurde eine überwiegend sehr gut erhaltene 35mm-Fassung aus der Erstaufführungszeit mit wenigen Abnutzungen und ohne erkennbare Filmrisse; am Anfang des zweiten Aktes war das Bild ein, zwei Minuten etwas rotstichig. Die Atmosphäre ist aber selbst bei kleinen Mängeln viel besser als bei einer sterilen Digitalprojektion und das Kinoerlebnis ist wesentlich intensiver.
Der Freund, mit dem ich DIE BLECHTROMMEL einst auf Video analysierte, schaffte es leider nicht. Das Kino Filmmuseum war aber unter Covid19-Bedingungen fast ausverikauft. Jede zweite Reihe ist komplett gesperrt und in den freien Reihen sind jeweils zwei Plätze gesperrt, wobei Familien und Freunde zusammen sitzen könne. So war die maximale Zahl von 22 oder 24 Zuschauern*innen erreicht.

Im April war übrigens eine reguläre Wiederaufführung einer restaurierten Digitalversion in 4K geplant, die dem Virus zum Opfer fiel. Erfahrungsgemäß wäre der Film in kleinen Programmkinos und vielleicht den kleinen Kinos von Multiplexern gezeigt worden und hätte ohne das Virus James Bond und den einen oder anderen Superhelden als Konkurrenz gehabt. Da bin ich besonders froh, dieses Kinoereignis gesehen zu haben.

DIE BLECHTROMMEL

Regie: Volker Schlöndorff
Drehbuch: Jean Claude Carrière, Volker Schlöndorff, Franz Seitz und Günter Grass
Bildgestaltung: Igor Luther
Filmmusik: Maurice Jarre und Friedrich Meyer

mit David Bennent, Mario Adorf, Angela Winkler, Daniel Olbrychsi, Katharina Thalbach, Berta Drews, Heinz Bennent, Andrea Ferreol und Charles Aznavour

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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