"MANN BEISST HUND"

Filmklassiker neu gesehen 1992 nimmt „Mann beißt Hund“ vieles von dem vorweg, was uns heute als Scripted Reality peinigt

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"MANN BEISST HUND"

Bild: Presse

Schwarz-weiß, sehr grobkörnig. In einem fahrenden Zug packt ein Mann ein Frau am Hals, zieht sie in ein leeres Abteil und stranguliert sie langsam und qualvoll mit einer Schlinge. In der nächsten Szene erklärt er, wie welche Leichen mit welchen Gewichten beschwert und in welchen Gewässern versenkt werden müssen.

Wir werden Zeuge einer angeblichen Reportage eines Dokumentarfilm-Teams, das den Berufsmörder bei der Arbeit begleitet. Da werden Siedlungen ausgekundschaftet um die wohlhabendsten Rentnerinnen unbemerkt umbringen und ausrauben zu können. Briefträger werden in engen Seitengassen umgebracht und um die wertvollsten Sendungen erleichtert. Die Beute wird in einem verlassenen Abbruchhaus versteckt. Zwischendrin werden Freunde besucht und es wird in der Stammkneipe ausgelassen gefeiert. Als Opfer werden die Kleinen und Unauffälligen bevorzugt, weil sich um sie niemand kümmert. Villen mit reichen Opfern werden bewusst verschont, um kein Aufsehen zu erregen.

Ben, der Berufsmörder, ist dabei oberflächlich ein kultivierter Mensch, der mit seiner Freundin musiziert und Kunstaustellungen besucht. Näher betrachtet ist er dagegen ein unangenehmer Prolet, der zu viel säuft und die Menschen in seinem Umfeld permanent respektlos behandelt und herab setzt.

Eingebetteter Medieninhalt

Das Filmteam hält zunächst noch die notwendige Distanz und beschränkt sich aufs Beobachten und Fragen Stellen. Später helfen sie beim Einfangen von Opfern, Beseitigen von Leichen und auf dem moralischen Tiefpunkt nehmen sie an der gemeinsamen Vergewaltigung und Ermordung eines Ehepaares teil. Nach und nach geraten Ben und das Filmteam in eine Konfliktsituation mit einer feindlichen Verbrecherbande.

Der gesamte Film ist aus Perspektive der dokumentarischen Filmkamera gedreht.

Fazit

MANN BEISST HUND nimmt Vieles von dem vorweg, womit wir seit einigen Jahren als Zuschauerin / Zuschauer so genannter Scriptet Reality gepeinigt werden – Möchtegern-Dokumentationen nach einem rudimentären Drehbuch mit zeigefreudigem Laiendarsteller-Personal. Im Gegensatz dazu sind die Macher und Darsteller von MANN BEISST HUND überzeugend und grauenhaft gut. Dem Film gelingt es, auf sehr kontoverse Art zu unterhalten, zu schockieren und sehr nachdenklich zurück zu lassen.

Wir bedanken uns erneut beim Frankfurter Filmmuseum, das diesen Prototyp der – neudeutsch - Fake-Dokumentation oder Mockumentary im März in einer Reihe von Filmen über künstliche und manipulierte Realitäten in einer sehr gut erhaltenen 35-mm-Kopie zeigte.

Co-Regisseur, Co-Autor und Hauptdarsteller Benoît Poelvoorde ist seit diesem spektakulären Debut gut im Geschäft im französischsprachigen Kino. Er spielte u.A. den belgischen Zollbeamten in der Grenzkommödie NICHTS ZU VERZOLLEN von Dany Boon („WILLKOMMEN BEI DEN SCH’TIS“) und zuletzt den Bademantel-tragenden Gott in DAS BRANDNEUE TESTAMENT. Sein Regie-, Autoren- und Darstellerkollege Remy Belveaux nahm sich leider 2006 mit nur 39 Jahren das Leben.

Der deutsche bzw. englische Titel MANN BEISST HUND bezieht sich auf eine Redensart im Journalismus. Ein Hund, der einen Mann beißt, ist keine Nachricht wert. Ein Mann, der einen Hund beißt, dagegen schon.

(C’est arrivé près de chez vous) Belgien 1992, von und mit Benoît Poelvoorde, Rémy Belvaux, André Bonzel, mit Nelly Pappaert, Hector Pappaert Malou Madou, 95Minuten, 35mm

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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