Natürlich brauchen wir ein #Böllerverbot!

#Silvester #Böllern #Silvester Das Jahr ist eine knappe Woche alt und die Debatte tobt und artet auch zu einer Migrationsdebatte aus.

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Feuerwerkskörper sind unkontrollierbare Waffen, mit denen teilweise absichtlich Menschen, Tiere und Gebäude geschädigt werden. Der unkontrollierte Verkauf muss verboten werden. Der Gebrauch gehört ausschließlich in die Hände erfahrener Profis.

Menschen beschießen sich gegenseitig absichtlich mit Feuerwerkskörpern, um sich zu erschrecken oder zu verletzen. Jedes Jahr sehen wir in den Nachrichten Szenen aus Fußballstadien, in denen Fans verschiedener Vereine Pyrotechnik anzünden und auf das Spielfeld oder in die gegnerischen Fanblöcke werfen.

1982 oder 1983 an der Schule

Ein Freund und ein anderer Klassenkamerad starten einen so genannten Heuler vom Fenster des Klassenraums in den Schulhof starten. Wir waren 15 oder 16 Jahre jung und an den Anlass erinnere ich mich nicht mehr. Ein Heuler macht beim Flug nur Radau und explodiert nicht. Der Heuler hat einen sehr undkontrollierten und wilden Flug, der ausgerechnet unter dem Rock unserer Klassenlehrerin endet, die ausgerechnet in diesem Moment um die Ecke auf den Schulhof kommt. Die Strupfhose ist vergokelt und die Lehrerin hat leichte Hautrötungen und kommt mit dem Schrecken davon. Die Schüler bekommen einen Eintrag ins Klassenbuch. Die Lehrerin bekommt die Strumpfhose ersetzt und zur Entschuldigung einen Blumenstrauß. Es ist ein Jungens-Streich. Heute passiert ganz Anderes beim Verfeuern von Böllern und Raketen.

Neujahrsnacht 2018 / 2019

Zwei mal feierte ich Silvester mit einem Freund auf einem Ausflugsschiff auf dem Main, zuletzt 2018. Wir werden von der Besatzung über Lautsprecherdurchsagen gewarnt, nicht offen auf dem Außendeck zu stehen, wenn wir unter Brücken durchfahren; wir sollten dann rein gehen oder uns unter dem Vordach unterstellen. Die Gefahr sei zu groß, von Flaschen, Steinen, Böllern oder Müll getroffen und verletzt zu werden, die absichtlich von der Brücke auf das Schiff geworfen werden. In einem Jahr davor seien sogar ein Computermonitor und eine alte Autobatterie auf dem Deck gelandet. Zum Jahreswechsel werden wir vom Ufer aus intensiv mit Raketen beschossen, die vertikal auf den Dampfer zufliegen und teilweise das Geschirr von den Außentischen abräumen. Es ist kein Versehen mit ein oder zwei Raketen, bei denen die Sektflasche umkippt und die Rakete seitwärts fliegen lässt. Es sind vorsätzliche und gezielte Angriffe mit 20 bis 30 Raketen. Auch Beschüsse auf entgegenkommende Silvesterschiffe können wir beobachten. Die Neujahrsstimmung ist dann im gesamten Schiff nicht mehr ganz so ausgelassen und fröhlich.

Neujahrsnacht 2021 / 2022

In der Neujahrsnacht bin ich mir dem Fahrrad auf dem Heimweg von einer sehr netten Silvesterfeier. Aus dem Gebüsch kommen drei primitive humanoide Lebensformen und bewerfen mich mit Böllern. Sie treffen mich nicht, aber vor Schreck bremse ich und verliere die Kontrolle über das Fahrrad, kippe seitwärts und falle von Fahrrad. Die drei jungen Männer sind scheinbar Deutsche oder West-/Mitteleuropäer – nach ihrer Staatsangehörigkeit oder ihren Ausweisen frage ich sie in dieser Situation natürlich nicht nicht. Sie entschuldigen sich nicht und helfen mir nicht sondern machen sich in akzentfreiem Deutsch über mich lustig. Einer filmt oder fotografiert mich mit dem Mobiltelefon. Danach verbringe ich einen Vormittag in der Notaufnahme und werde mit einer mehrfachen Rippen-, Schulter- und Handgelenksprellung insgesamt zwei Wochen arbeitsunfähig krank geschrieben. Der ausführliche Bericht ist hier.

Silvester / Neujahr 2022 / 2023

Bereits zwei Tage vor Silvester knallte es bis zu 14 Stunden am Tag bis in die Nacht im Minutentakt. Im Fernsehen und in Internetvideos sagen ausschließlich Männer in die Kamera, dass sie ihr gesamtes Monatsgehalt für Feuerwerkskörper ausgeben – teilweise inklusive der staatlichen Energiepauschale. Da kommt mir trotz aller Armut im Land und gestiegener Lebenshaltungspreise durch Inflation doch der Gedanke, dass manche Leute noch zu viel Geld haben.

Böllern ist Terror. Haustiere und Wildtiere werden in Angst und Schrecken versetzt, flüchten und werden teilweise überfahren oder sterben vor Angst an Herzversagen.

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Deutschlandweit und in Hessen kommt es zu hunderten von Einsätzen durch Polizei, Feuerwehr und Notfallsanitäter*innen, die auch mit Böllern, Flaschen, Steinen angegriffen werden. In mehreren Fällen stecken Straftäter – fast ausschließlich Männer, daher spare ich mir hier das Gendern - angezündete Feuerwerkskörper in geöffnete Wohnungsfenster und verursachen Wohnungsbrände. Die Bewohner*innen und Gäste können sich teilweise unverletzt in Sicherheit bringen oder erleiden teilweise Verletzungen. Wie krank im Kopf muss jemand sein, um brennende Feuerwerkskörper in Wohnungen zu werfen. Ohne Strafrecht oder Psychologie studiert zu haben – wer über die Pubertät hinaus ist und so etwas tut, gehört ins Gefängnis oder in die Psychiatrie; da stimmt etwas nicht im Kopf.

Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser nännt die Täter „Chaoten“ und kündigt harte Bestrafungen an. Nein, Frau Ministerin Faeser, wer den Schreibtisch nicht aufräumt und nichts wiederfindet oder Termine verpasst, ist ein Chaot. Wer Menschen und Tiere mit Feuerwerkskörpern, brennenden Gegenständen, Steinen oder Flaschen bewirft, ist ein Gewaltverbrecher

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Gewaltkriminalität und Migrationshintergrund?

Und so sicher wie die Tagesschau um 20:00 Uhr kommen Diskussionen um den Zusammenhang mit Herkunft und Kriminalität. Es tun sich AFD und CDU/CSU hervor, die teilweise Statistiken über die Vornamen potentieller Straftäter fordern.

Einen echten Knüller bringt die FDP-Bundestagsbgeordnete Katja Adler, die schreibt:

„Und wieder wird jeder Gedanke an eine kulturelle Überfremdung in die rechte, gar radikale Ecke geschoben. Ein Problem, das dem eigentlichen Problem verfehlter Migrationspolitik in nichts nachsteht.“

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Die Vokabel „Überfremdung“ wurde erstmals sehr öffentlichkeitswirksam von Propagandaminister Joseph Goebbels verwendet, um das Judentum zu diffamieren. Auch NPD und AfD verwenden die Vokabel „Überfremdung“ gerne. Frau Adler löschte den Kommentar später und ihr tat ihr „missverständlicher Tweet“ leid. Nein, Nazi-Sprech zu verwenden, ist nicht missverständlich sondern politisch unverantwortlich. Das Netz und seine Nutzer*innen vergessen so etwas nicht und so bleiben Abbildungen des Kommentars erhalten.

Aber bei Teilen der FDP waren sie ja auch der Meinung, Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit seien ein Schaden für die örtliche Wirtschaft und den Tourismus. Das passierte seit 1945 nicht so oft und 2022 bei der FDP in der Hessischen Rhön. Es tat ihnen dann auch leid, nachdem sie dazu heftig kritisiert worden waren.
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Inzwischen wird gemeldet, dass die Mehrzahl der in der Neujahrsnacht festgenommenen Personen Deutsche sind.

Aber kommen wir zum Thema Böllern zurück und bleiben noch ein bischen bei der FDP. Der Franktionsvorsitzende der bayerischen FDP posiert zum Jahreswechsel 2021/2022 mit seinem Feuerwerkssortiment stolz vor der Kamera und kündigt an, gegen das geltede private Böllerverbot zu verstoßen und sich so als Kämpfer für die Freiheit zu inszenieren. Wer in der FDP Gesetzesverstöße beim Gebrauch von Feuerwerkskörpern schnell und hart bestrafen möchte, kann gerne beim eigenen Parteifreund in Bayern anfangen.

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Diese pervertierte Verwendung der Vokabel „Freiheit“ wird dann auch entsprechend hämisch kommentiert, z.B. „Wir sagen Freiheit meinen Egoismus.“ Die Vokabel „Freiheit“ wurde unter solchen Umständen zu Recht vor wenigen Tagen zur Floskel des Jahres gewählt.

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Montag, 2. Januar

Um etwa 3:00 Uhr nimmt sich jemand die Freiheit, schon wieder herumzuböllern und ich wache auf, ohne wieder einzuschlafen.
Im Netz entdecke ich ein Video. Feuerwerks-Terroristen gießen auf einem Platz Benzin aus, legen einen Böller in die Benzinpfütze, stellen den gefüllten Benzinkanister auf den Böller und zünden alles an. Die riesige Stichflamme setzt einen Baum in Flammen. Als Reaktion ist begeistertes Johlen zu hören. Ich kann nur hoffen, dass die Verursacher ermittelt werden und wegen schwerer Brandstiftung verurteilt werden und im Knast landen. Das Video wurde kurz danach gelöscht.

Auf der Fahrt zum Arbeitsplatz höre ich dem Gespräch zwischen zwei Krankenschwestern zu, von denen eine in der Neujahrsnacht arbeitete. Sie berichtet ihrer Kollegin, dass nach Mitternacht in kurzer Zeit ein Herzinfarkt, ein angefahrener Fußgänger, ein 10- oder 11jähriges Mädchen mit schlimmen Verbrennungen am Bein, nachdem es mit einem Böller beworfen wurde, und ein 22jähriger Vollidiot mit einer Handverletzung eingeliefert worden waren. Der junge Vollidiot gewann kurz davor eine Mutprobe, wer den angezündeten Böller am längsten in der Hand behält, und verlor dabei zwei Finger. Die verantwortliche Notärztin erkennt auf den ersten Blick, dass die Finger des Vollidioten nicht zu retten sind. Die Gewebeschäden sind zu groß und es können nur noch die Reste amputiert werden. Aber sie haben zwei Menschen in Lebensgefahr und ein traumatisiertes Kind mit schlimmen Schmerzen. Die Notfallärztin entscheidet, dass der Vollidiot so lange wartet, bis die Anderen alle versorgt und außer Lebensgefahr sind – falls in der Zwischenzeit nicht weitere Notfälle eingehen, deren Versorgung eine höhere Priorität hat. Der 22jährige Vollidiot droht damit, die Klinik und die Ärztin zu verklagen. Ob die Schilderungen so stimmen, weiß ich nicht. Alles gebe ich aus dem Gedächtnis wieder.

Wer sich selbst mit Böllern verletzt und dadurch arbeitsunfähig ist, hat übrigens auch finanzielles Pech, wenn der Arbeitgeber richtig schaltet. Die sechswöchige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gilt nur bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit und nicht bei grober Fahrlässigkeit.

Mittwoch, 4. Januar

Zum ersten mal begegne ich am Arbeitsplatz einem Kollegen, der aus dem Irak stammt und vor dem Krieg nach Deutschland kam. Er ist top-integriert, spricht fast aktzentfrei deutsch und wundert sich immer sehr über die deutschen Neigungen zum Ballern. Er selbst ist eigentlich froh, dem ständigen Geballer in seinem Heimatland nicht mehr ausgesetzt zu sein.

Samstag, 7. Januar, ca. 9:00 Uhr

Während ich an diesem Beitrag tippe, wird draußen wieder geballert. Nach einer knappen viertel Stunde ist es vorbei, die Feuerwerksvorräte hoffentlich auch.

Tradition

Eines der unqualifiziertesten Argumente in der Böllerdebatte ist die Tradition. Traditionen, bei denen Menschen und Tiere bis zur Lebensgefahr geschädigt werden, gehören abgeschafft. In halb Europa gab es früher die Tradition der Hexenverbrennung. Diese Tradition gehört abgeschafft. In Spanien und Lateinamerika gibt es die Tradition des Stierkampfes, der kein gleichberechtigter Kampf ist sondern inszenierte Tierquälerei zur Publikumsunterhaltung. Diese Tradition gehört abgeschafft. Auf dem indischen Subkontinent gibt es die Tradition der so genannten Witwenverbrennung. Diese Tradition gehört abgeschafft.

Gift

Feuerwerkskörper enthalten giftige Chemikalien und Schwermetalle. Nach über einer Woche ist auf den Straßen, Gehwegen und Grünflächen noch die braun-rosa Pampe zu sehen, die von Böllern und herabgefallenen Raketenresten stammen. Diese Reste Die Luft wird beim Zünden mit Gift kontaminiert und der Müll am Boden wird durch Regen zersetzt, wodurch Boden und Grundwasser mit Gift belastet werden. Überall in Straßen, Gärten und Grünflächen liegt Plastikmüll herum.

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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