Fehlalarm, sagt Petr Holub

Tschechien Im Land mit dem härtesten Lockdown Mitteleuropas schreibt ein Journalist Bücher gegen zu viele Corona-Dekrete
Ausgabe 47/2020
Leere Straßen in Prag. Seit Ende Oktober gilt in Tschechien eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr
Leere Straßen in Prag. Seit Ende Oktober gilt in Tschechien eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr

Foto: Gabriel Kuchta/Getty Images

Ich trete diese Fahrt nur ungern an. Das Land, das ich für seine originellen Radios und urwüchsigen Kneipen liebe, zählt in der zweiten Welle die meisten Toten. Tschechien hat 10,7 Millionen Einwohner, an einigen Herbsttagen starben mehr als 200 mit oder an Covid. Für jene, die auch mal was über Alternativen zur Politik der Corona-Dekrete hören wollten, war Tschechien im Sommer interessant: Die Debatte war ungewöhnlich frei. Der prominente Journalist Petr Holub kündigte ein Buch an: „Coronavirus – Fehlalarm“. Als es gedruckt war, wurde es vom rechtslibertären Echo-Verlag versteckt. Es gingen nämlich gerade die Neuinfektionen durch die Decke. Es sah aus, als hätte sich Holub tragisch geirrt. Ich will ihn fragen, wie er das heute sieht.

Ich komme in das Land mit dem striktesten Lockdown Mitteleuropas. Die Puffs im Grenzweiler Chvalovice sind verwaist, Betrieb ist nur im China-Shop. Rauf ins Hochland Vysočina, 137 Kilometer von Wien und 155 von Prag. Die Wurstbude mit gemauerter Räucherkammer wird ab Dezember schließen, denn da friert im Hochland das Klo ein. Mit Corona war nichts, sagt die Wurstbraterin: „Wir haben Slibowitz dagegen.“ Ich fahre weiter, Rádio Blaník spielt eine harte Mischung aus den „schönsten Bäumen im oberen Grantal“ und der rehäugigen Slowakin Kristína, dann noch Out of the Dark, Into the Light vom todesnahen Wiener Falco. Ich kämpfe mit den Tränen.

Holub geht mir im dunklen Prag entgegen. Er ist groß und gutaussehend, trägt sein Hemd weit aufgeknöpft, raucht Pfeife. Warum sieht er so viel jünger aus als 62? „Im Sozialismus war ich Müllmann“, erzählt er, „das war meine beste Arbeit.“ Die Wohnung liegt im Keller eines Zinshauses. Unten fordert mich der Corona-Skeptiker auf: „Setzen Sie die Maske doch ab!“ Seine zartgliedrige Frau bringt eine Halblitertasse Kaffee.

Es war Holub, der die Betrugsaffäre „Storchennest“ des Tschechien regierenden Oligarchen Babiš aufdeckte. Auch zum Schutz vor allfälliger Rache verkaufte er eine geerbte Immobilie in Budweis und kaufte sich ein billigeres Haus im österreichischen Hochland Waldviertel. Der knüppelharte tschechische Lockdown – Maskenpflicht im Wald! Ausreiseverbot! – riss das Paar im März auseinander. Sie war mit einer Katze im Waldviertel, er mit zwei Katzen in Prag. „Das war eine traumatische Erfahrung“, sagt er. „Eine Rückkehr in den Kommunismus“, sagt sie.

Ich gehe ihn an: „200 Tote täglich, ist Tschechien damit nicht schlimmer dran als Italien im Frühling?“ Holub sagt: „Unsinn“, „falsche Verwendung von Statistiken“. „Sie zählen alles, auch wenn ein Positiver von der Leiter fiel. In Italien war die Sterblichkeit während der schlimmsten Wochen um 70 Prozent erhöht, bei der tschechischen Grippe-Epidemie von 2018 um 25 Prozent, vorläufig sieht es hier nicht nach mehr aus.“ Er zeigt mir Zahlenkolonnen vom Statistikamt. „Die Totenzahlen werden immer erst sechs Wochen später gemeldet, wir werden es erst Anfang Dezember wissen.“

Dennoch, bohre ich weiter, warum griff das Virus gerade in Tschechien so rasant um sich? Er nennt als Gründe „einen zu harten ersten Lockdown, so hat die Bevölkerung null Immunität“, und „50.000 Tests täglich“. Die Durchseuchung Tschechiens schätzt er auf bereits 20 Prozent. In Anspielung auf ein Harvard-Szenario, das den tschechischen November-Peak richtig vorhersah und für Länder mit schwachem Gesundheitssystem sieben Lockdowns bis 2022 prognostiziert, sage ich: „Dann kommt Tschechien mit nur drei Lockdowns aus.“ Holub lacht: „Ja, weil wir viele Spitalbetten haben.“ Er schwört Stein und Bein, dass er im Gegensatz zu seinen neoliberalen Kreisen nie deren Abbau gefordert habe. „Wo sie das Gesundheitssystem privatisiert haben, ging es vor die Hunde.“

„Was wäre gewesen, wenn man nichts getan hätte?“, frage ich. Holub reagiert keineswegs verlegen: „Wenn wir so wie bei einer Grippe vorgegangen wären, ist es durchaus möglich, dass wir besser davongekommen wären.“

Es ist 21 Uhr, die Ausgangssperre beginnt. Hinaus auf die Straße ins richtig tote Prag. Ich fahre in der Nacht über die Vysočina zurück, die abgestellten Autos sind weiß gefroren, der Radioempfang bleibt aus. Holub bereut nichts. Ein weiteres Buch würde er „Fehlalarm 2“ nennen.

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