Hallo, Hanfkrusten!

Extinction Rebellion In Grantham warnte schon Margaret Thatcher vor der Erderwärmung. Ich treffe ihre Nachfolger im Geiste
Ausgabe 02/2020
Schon die Eiserne Lady warnte vor der Erderwärmung. Dabei hatte sie aber Anderes im Sinn als heutige Klimaschützer
Schon die Eiserne Lady warnte vor der Erderwärmung. Dabei hatte sie aber Anderes im Sinn als heutige Klimaschützer

Foto: Peter Summers/Getty Images

Extinction Rebellion, abgekürzt „XR“, rebelliert mit Verkehrsblockaden und apokalyptisch schöner Bildsprache „gegen das Aussterben“. Ich wollte die XR-Gruppe des biederen mittelenglischen Städtchens Grantham kennenlernen. Dort wuchs jene Politikerin auf, die schon in den 1980ern vor kohlendioxidbedingter Erderwärmung warnte, Margaret Thatcher. Die frühgrünen Bekenntnisse der Eisernen Lady stellen uns vor ein Rätsel: Warum verfocht sie die Schließung von Kohlebergwerken, begrüßte aber die Förderung von Öl? Ging es ihr darum, den streikenden Bergarbeitern mit einem zusätzlichen Hieb das Genick zu brechen? Wollte sie, wie ihr damaliger Energieminister Nigel Lawson heute behauptet, der Umweltbewegung „mit dem Argument der Kohlendioxid-Emissionen eine Falle stellen“? Oder fürchtete sie aufrichtig um den Planeten?

Samuel Asplin (26), ein hagerer Brillenträger, Liberaldemokrat und Grüner, Anglikaner und Quäker, holte mich vom Bahnhof ab. Er findet den Ansatz von „Birth Strike“ richtig, als Vorschullehrer „würde ich aber hoffen, ein Kind zu haben“. Sam kaufte mir zwei Bücher, eins von Greta Thunberg, die ihn „absolut inspiriert“ habe, und führte mich in die große gotische St.-Wulfram-Kirche. Dort werfen XR-Plakate der britischen Regierung „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor. Ins rechte Kirchenschiff ist eine Einbauküche hineingeschlagen, in die eine Gruftplatte aus dem Jahr 1369 hineinragt, mit dem Schild: „Hier bitte nichts abstellen!“

Ich trinke unter Kreuzrippen dünnen Kaffee, da erscheint Jonnie Parkin (46) mit Bart und regennasser Prophetenlockenpracht in Rot und Weiß. Da Boris Johnson XR-Aktivisten als „nicht kooperative, nach Hanf riechende Nasenring-Krusten“ beschimpft hat, nennt sich der anglikanische Pfarrer auf Twitter „nicht kooperative Kruste“ und verbindet mit „Birth Strike“ die „leise Sorge, dass die Idioten übrig bleiben“. Beseelt erzählt er von einer Londoner XR-Aktion im Oktober: „Umringt von Polizisten und mit einem Hubschrauber über mir spendete ich Brot und Wein. Ich gab einer Priesterin die Kommunion, kurz bevor sie verhaftet wurde.“ Pfarrer Jonnie hat sich jüngst für den Labour-Kandidaten seines Wahlkreises engagiert, doch in der ewigen Tory-Hochburg Grantham war die Wahl von vornherein entschieden. „Sowohl Kapitalismus als auch Sozialismus sind gescheitert“, sagt er, „wir brauchen ein neues Wirtschaftssystem.“ Er bestätigt meinen Eindruck, dass XR eine Sache der wohlhabenden, proeuropäischen Mittelschicht sei: „Im Moment ist das eine Bewegung privilegierter Leute. Sie handeln für die, die es nicht können.“

Clary Burn (17) hat Verständnis für Lehrer in Grantham, die Klimastreiks in der Unterrichtszeit ablehnen. Sie trägt eine Zahnspange in Türkis und hat eine verschmollt-vergrübelte Art. Nach dem Abitur will sie ein Jahr in Spanien leben und danach studieren, Philosophie oder Literatur. Clary wollte schon vor „Birth Strike“ keine Kinder, nennt es aber „ein machtvolles Statement, wenn eine Frau sagt, ich will keine Kinder in die Welt setzen“. Ihre Rebellion richtet sich gegen die Vernichtung der Erde, nicht die der Menschheit. „Würde die Menschheit auf einen Schlag ausgelöscht“, sagt Clary mit wegwerfender Geste, „wäre das keine große Tragödie. Aber all die unschuldigen Geschöpfe ...“ Ihren neun Monate alten Neffen liebt Clary wiederum abgöttisch: „Als Tante flippe ich aus, wenn ich denke: Wird er die Luft hier atmen können?“

Clary ist eine von drei Sprecherinnen der Mädchenschule, „in der auch Margaret Thatcher 1943 Schulsprecherin war“. Ich zeige ihr eine Rede Thatchers von 1990: „Die Bedrohung unserer Welt geht nicht nur von Tyrannen und deren Panzern aus. Sie kann heimtückischer, wenn auch weniger sichtbar sein. Die Gefahr der globalen Erwärmung mag bis jetzt nicht gesehen werden, aber sie ist real genug, dass wir Veränderungen und Opfer bringen müssen.“ Pfarrer Jonnie wischt das mit dem Verweis auf Thatchers Regierungshandeln weg, Clary sagt nach langem Nachdenken: „Ich kann sie respektieren. Ihre Ambitionen standen aber höher als ihre Überzeugungen.“

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