Moldau: Das Traumschloss der Neureichen durfte Europas Gastgeber sein
Europa transit Moldaus prowestliche Präsidentin Maia Sandu empfing unlängst geballte europäische Regierungsmacht auf dem Terrain einer einstigen Wein-Kolchose. Was deren Nachbarschaft über „Schloss Mimi“, Europa und Moldaus Zukunft zu sagen hat
Die geballte Regierungsmacht Europas landete in einem Ländchen, dessen multiethnische Bevölkerung das Regierungsziel eines EU-Beitritts nach einem harten Winter zwar noch zu 59 Prozent mitträgt, einen Beitritt zur NATO aber zu 53 Prozent ablehnt und sich bezüglich des Krieges an der Grenze zu 52 Prozent für einen raschen Frieden ausspricht, selbst um den Preis, dass die Ukraine Territorium an Russland abgeben müsste.
Maia Sandu, d
n ausspricht, selbst um den Preis, dass die Ukraine Territorium an Russland abgeben müsste.Maia Sandu, die in Harvard ausgebildete Präsidentin, rief zwei schul- und arbeitsfreie Feiertage aus und empfing Rishi Sunak, Olaf Scholz, Emmanuel Macron, Giorgia Meloni und Wolodymyr Selenskyj in einem bis dahin unbekannten Schloss mit umrankter Pergola – im „Castel Mimi“. Dort traf man auch die Chefin des gleichnamigen Weinguts, Cristina Frolov. Sie erzählte, ihr Vater habe den Wein noch nach Russland verkauft, die Kunden dort hätten ihn jedoch – verschärft durch die schon vor dem Ukraine-Krieg auch für moldauischen Wein verhängten Russland-Sanktionen – geprellt. Nun sei ihr die Umstellung auf den europäischen Markt gelungen.Diesel verkostenDa die Route R2, die horizontale Hauptarterie Moldaus, auf den 30 Kilometern zwischen Flughafen und Bulboaca hermetisch abgeriegelt war, näherte ich mich von Süden her, zum Teil über Staubpisten durch bukolische Dörfer. Als meine Tankanzeige aufleuchtete, wurde ich nervös und hielt bei einer Autowerkstatt im einzigen stadtähnlichen Ort Căinari. Ein Mitarbeiter mit mehrfach gespaltenem Daumennagel steckte einen Schlauch in einen Dieselkanister, kostete kurz gurgelnd und betankte mein Auto.Der rumänischsprachige Meister und seine das Büro leitende Tochter waren fantastisch über den Europa-Gipfel informiert, „aus San Marino ist keiner da“. Sie kreideten Maia Sandu an, dass ein „neutraler“ Sender namens „Horizonte“, den sie selbst nicht schauten, keine Akkreditierung bekommen hatte. Sie nannten sich selbst „neutral“ und zitierten aus der Moskauer Propagandasendung 60 Minuten, die sie illegal im Internet schauten. Hätte die Ukraine das Minsker Abkommen erfüllt, meinten sie, dann hätte Putin keinesfalls einen Krieg begonnen.Ich fuhr weiter, durch Dörfer mit ukrainischen, bulgarischen und russischen Minderheiten oder auch Mehrheiten, im zu 62 Prozent ukrainisch besiedelten Troița Nouă hielt ich an. Der „Igumen“ der ukrainisch-orthodoxen Pfarrei, ein schattiger Typ mit der Aura eines haftentlassenen Junkies, hatte lange in der Zentralukraine gelebt. Er war auf meiner Fahrt der Einzige, der eine militant proukrainische Haltung vertrat.„EU-Gipfel!“, faucht sie auf RussischIn der Bezirksstadt Anenii Noi, gegenüber von Bulboaca an der R2 gelegen, war Schluss. Ausgestorbene Straßen, und alle waren schlechter informiert als der Automechaniker von Căinari. Auch der Polizist, den ich an einer Supermarktkasse ansprach, lag mit seiner Einschätzung der Einsatzdauer vollkommen daneben. Eine bärbeißige Mutter fauchte ihren maulenden Halbwüchsigen auf Russisch an: „Na, weil EU-Gipfel ist!“ Bereits um 21 Uhr wurde dann aber die R2-Sperrung aufgehoben, unzählige Polizeiautos strömten in den Rest des Landes zurück.Ungehindert, wenn auch von zwei Radpanzern gekreuzt, fuhr ich nach Bulboaca rein. Vor dem „Castel Mimi“ zog ein schwarz gekleideter Security-Trupp ab, wohl aus Gewohnheit im Laufschritt, und ein Sonderzug mit weiß drapierten Kopfstützen wartete auf die 700 akkreditierten, großteils schon verschwundenen Journalisten. Der das Schloss gegen das Dorf abschottende Mauerwall war so massiv und makellos, dass ich annahm, er wäre eigens zur Sicherung des Gipfels errichtet worden. Das erwies sich als Irrtum.Ich wollte mit Bulboacern über Europa reden. Sie hatten untertags nicht rausgedurft und wussten noch nicht, dass der Spuk vorüber war; einige glaubten sogar, die 45 Staatschefs würden im Schloss übernachten. Auf der Anhöhe hinter dem Schloss fand ich eine kleine Plattenbausiedlung. Sie war heruntergekommen, aber von einem artenreichen, rosenduftenden Dschungel überwuchert, sogar die nüchternen Sowjetgaragen waren von Weinlauben und anderer Flora umrankt. Eine dieser Garagen stand offen, drei ältere Rumänischsprachige feierten im warmen Licht dünner Kerzen, wie man sie in orthodoxen Kirchen anzündet. Ich gesellte mich dazu. Sie saßen nicht aus romantischer Veranlagung bei Kerzenlicht, sondern „weil man uns nicht erlaubt hat, ein Stromkabel aus dem dritten Stock des Wohnblocks herunterzuziehen“. Ich nippte an ihrem picksüßen Hauswein.Prorussisch wählen, proeuropäisch argumentierenIn der Garage waren drei Schicksale versammelt: Der einst wohl fesche Mann war auf eine harmlose Weise verblödet; die alte Frau war 1991, als ihr im Sommer der Unabhängigkeit Moldaus der Schwanz einer Kuh ins Gesicht schlug, erblindet. Die blonde 52-jährige Gastgeberin war Oberhaupt eines Clans von Altenpflegerinnen, die in Italien arbeiten, und zog das Baby einer Tochter schon seit dem Alter von vier Monaten allein in Bulboaca auf.Ihren Jugendjob in Wladiwostok hatte sie genossen, die Akkordschinderei in einer polnischen Fischkonservenfabrik hatte sie gehasst, nun wartete sie darauf, dass ihr dreijähriger „Deport“ aus Italien ablaufen würde. Sie mochte Italien, später einmal wollte sie zusammen mit Töchtern und Enkeln in Italien bleiben. Sie war für einen EU-Beitritt Moldaus, dies aber aus rein arbeitstechnischen Gründen. Ansonsten wählte sie wie viele hier die prorussischen Sozialisten. Unter deren Regierung seien die Preise nicht so explodiert wie unter der prowestlichen Präsidentin, die sie wie Selenskyj einfach nur „Maia“ nannte. Die Ausrichterin der Garagenparty räumte gerechterweise ein, dass sich ihre Gasrechnung im Winter zwar auf unleistbare 6.000 Lei monatlich vervierfacht habe, dass ihr „Maia“ aber dank der vielen auf dem Antragsformular angegebenen Haushaltsmitglieder eine Kompensation von 4.000 Lei monatlich ausgezahlt habe.Zehn Cent für ein Kilo WeintraubenIch erfuhr, dass die Plattenbauten für die Bulboacer Weinbaukolchose errichtet worden waren, alle meine Gesprächspartner hatten einst dort gearbeitet. Und dass das „Schloss“ auf dem Areal der längst abgewickelten Kolchose liege und in Wahrheit ein nur wenige Jahre alter, aus unbekannten Quellen finanzierter Neubau sei. Ihre „Kindheit auf Castel Mimi“, von der Cristina Frolov dem Spiegel erzählt hatte, kann durchaus stattgefunden haben, gewiss aber nicht in dem Pseudo-Versailles, das Olaf Scholz am 1. Juni zu sehen bekam.Arbeitsplätze bot das hochpreisige Weingut kaum noch, und die zehn Eurocent, die das „Castel Mimi“ 2022 für das Kilo Weintrauben gezahlt hatte, wurden als Verhöhnung empfunden. Die Schlossherrschaft hatte keiner je persönlich gesehen: „Die wollen auch nicht gesehen werden, darum haben sie diesen Wall hochgezogen“, hörte ich. Vielleicht sollte das jemand dem Spiegel sagen: Europa wird hinter „Schloss Mimi“ als Ort wahrgenommen, an dem die Reichen unter sich bleiben.Placeholder authorbio-1