Ich sehe was, was du nicht siehst

Farbpsychologie Rot bedeutet Zorn, Blau soll Harmonie sein: alles Quatsch. Die Wahrnehmung von Farben ist zuallererst ein physikalischer Vorgang. Unwichtiger wird sie deshalb aber nicht
Ausgabe 52/2013
Ich sehe was, was du nicht siehst

Foto: Majid Saeedi/ AFP/ Getty Images

Mit der Bedeutung der Farben ist es wie mit Horoskopen. Eines warnt die im Sternzeichen der Jungfrau Geborenen vor zu großer Freigiebigkeit, das andere rät, mal nicht zu knausrig zu sein – und zwar in derselben Woche. Auf der Webseite einer Physiotherapeutin steht etwa, die Eigenschaft der Farbe Grün sei die Harmonie. Auf der Homepage einer Druckerei heißt es dagegen, die Farbe der Harmonie sei Blau – was bei der Therapeutin für Nachlässigkeit steht. Man mag sich gar nicht ausmalen, welchen Streit es unter den selbst ernannten Farbexperten auslösen würde, wenn sich die Physiotherapeutin neue Visitenkarten drucken lassen würde.

Damit sind wir beim eigentlichen Problem: Farben bedeuten aus sich selbst heraus erst mal gar nichts. In der reinen Wahrnehmung des Roten steckt so wenig die Emotion von Zorn, wie sich Geschmack in niederländischen Treibhaustomaten findet. Die Wahrnehmung von Farben ist zuallererst ein physikalischer Vorgang. Punkt.

Bevor jetzt aber alle Farbpsychologen rot sehen und laut aufschreien: Natürlich können Farben in unserem Gehirn – wie alle anderen Sinneswahrnehmungen auch – beliebig komplexe Assoziationen hervorrufen. Ein Fußballfan wird Schwarz-Gelb mit Borussia Dortmund und dann wahlweise mit Harmonie oder Zorn assoziieren, ein Gartenfreund Grün vielleicht mit Vitalität. Das Wörtchen „vielleicht“ ist an dieser Stelle aber essenziell. Denn die Verbindung verschiedener Ideen, die man für gewöhnlich Assoziation nennt, passiert willkürlich und zufällig. Das schrieben bereits die Empiristen um John Locke im 17. Jahrhundert.

Psychoanalytiker haben dennoch immer wieder die Kraft der Assoziation nutzbar machen wollen, um unser Innerstes zu erkunden. Nachhaltige Wirkung hat hier Hermann Rorschach hinterlassen, der seinen Patienten bunte Tintenklecks-Bilder vorlegte. Welche Rolle unter anderem die Farben bei der Deutung der Bilder spielten, erlaubte dann angeblich tiefe Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Patienten. Vielleicht ist es ein Erbe des Rorschach-Tests, dass so viele Menschen fälschlicherweise glauben, Farben stünden mit unseren Emotionen, Wünschen oder Überzeugungen in einem wie auch immer gearteten, zwingenden Zusammenhang.

Das klingt zunächst ja auch plausibel: Denkt nicht etwa jeder bei der Farbe Schwarz an Trauer, empfindet sie daraufhin sogar? Das spräche dafür, dass Farben eine allgemeine physiologische Wirkung besitzen. Tatsächlich ist das aber falsch: Chinesen verbinden die Farbe Weiß mit Trauer. Und das spricht eher für starke Assoziationsketten, die in den verschiedenen Kulturen im Lauf der Jahrhunderte entstanden sind. Manche sind auch jünger: Vor 100 Jahren war noch Rosa die Farbe der Jungs, Blau die der Mädchen.

Was wir in Farben sehen, ändert sich also mit der Kultur und mit der Zeit. Man kann keine universell gültige Liste mit Farbbedeutungen erstellen und sie wie Gottes Tafel der Zehn Gebote vom Himmel fallen lassen. Hinter dem wissenschaftlichen Anstrich der Farbpsychologie steht oft der Wunsch, Details mit scheinbarer Bedeutung aufzuladen – um Geld zu machen oder Meinungen. So fand die Frauenzeitschrift Freundin für einen Bericht über Angela Merkels rote Blazer eine sogenannte Expertin, die sagte, die Farbe signalisiere, „dass man Ergebnisse erzielen will und diese am besten schnell“. Was für ein Unfug! Dass Rot für Gefahr steht, weiß ja nun wirklich jeder.

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Geschrieben von

Martin Schlak

Journalist und Physiker. Schreibt Geschichten über Wissenschaft. Beobachtet, wie Technologie unsere Gesellschaft verändert.

Martin Schlak

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