Die Geschichte vor der Tat

Femizide Laura Backes und Margherita Bettoni analysieren die Muster von Frauenmorden. Ihr Buch sollte Pflichtlektüre für Innenminister sein
Ausgabe 28/2021

Vor etwas mehr als 25 Jahren wurde meine Deutschlehrerin von ihrem Ehemann getötet. Sie wollte sich von ihm trennen. „Eifersuchtsdrama“, schrieb die Presse, den Prozess begleiteten viele Medien. Vermutlich war das Interesse so groß, weil der Täter, ihr Mann, von Beruf Richter war. Das Urteil fiel mild aus, niedrige Beweggründe wollte das Gericht nicht sehen. Es kannte nur seine Version des Tathergangs und seine Sicht auf „seine“ Frau. Beim Lesen der Prozessberichte konnte ich das Bild, das von ihr gezeichnet wurde, nicht zusammenbringen mit der Lehrerin, die mit uns Goethes Wahlverwandtschaften, Essays von Susan Sontag und Ingeborg Bachmanns Malina gelesen hatte. Mit dem Wissen von heute würde ich sagen: Es war ein Femizid.

Zu diesem Wissen tragen Bücher wie Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen von Laura Backes und Margherita Bettoni bei. Der Titel verweist auf die Kriminalstatistik. An jedem dritten Tag wird hierzulande eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, und jeden Tag versucht ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringen. Die Zahlen sind seit Jahren hoch, trotz der Istanbul-Konvention. Das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ ist in Deutschland seit 2018 in Kraft. Die Kriminalistik spricht von Trennungstötung oder Partnerschaftsgewalt, Wörter, bei denen ein „essenzielles Detail“ fehlt, betonen Backes und Bettoni: „Die Opfer sind in der Regel Frauen, die Täter meistens Männer.“

Der Begriff „Femizid“ – also die Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts oder wegen bestimmter Vorstellungen von Weiblichkeit – ist bei uns, anders als in Spanien, Frankreich oder Lateinamerika, kaum verbreitet. Wenn an jedem dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet wird, ist das ein systemisches Problem, kein Einzelfall. Die Autorinnen wollen Aufklärungsarbeit leisten, Femizide werden „zu wenig thematisiert, geschweige denn strukturell analysiert“. Diese Einschätzung hat die Innenministerkonferenz im Juni noch mal bestätigt. Straftaten gegen Frauen müssten aus dem „Dunkelfeld“ herausgeholt werden, sagte ihr Vorsitzender Thomas Strobl (CDU). Die Minister wollen nun solche Straftaten genauer in den Polizeistatistiken erfassen. Jetzt erst? Bei diesem Tempo wird es lange dauern mit einer systematischen Präventionsstrategie, die mehr als Gefährder-Ansprachen und Platzverweise zu bieten hat. Alle drei Tage sollte Pflichtlektüre in den Innen- und Justizressorts der Republik werden, die Spiegel-Redakteurin Backes und die Investigativjournalistin Bettoni demonstrieren darin eindrucksvoll, was Mustererkennung bedeutet. Gewalt in der Beziehung gilt als Risikofaktor für einen Femizid, kontrollierendes Verhalten des (Ex-)Partners bis hin zum Stalking ebenso. Auffallend ist bei vielen Tätern auch ein regelrechter Besitzanspruch, den sie auf „ihre“ Frauen erheben. Man weiß schon lange, dass eine Trennung die Gefahr für einen Femizid erhöht. Der italienische Psychiater und Soziologe Paolo Crepet spricht bei Femizidtätern von einer „männlichen Kultur, die nie gelernt hat, zu verlieren“.

Der Vernichtungswille

Die Autorinnen stellen die Frauen in den Mittelpunkt, nicht die Täter. Sie haben Jurist:innen und Mitarbeiter:innen von Frauenhäusern interviewt, mit Angehörigen geredet, die ihre Mutter, ihre Schwester verloren haben. Und sie haben mit Frauen gesprochen, die einen Femizidversuch überlebten. Es sind Frauen, die kein Glas mehr greifen können, weil Nerven und Sehnen mit Messern und Macheten zertrennt wurden, die vom Täter mit Benzin übergossen und angezündet wurden. „56 Operationen seit der Tat“, solche Zahlen vergisst man nicht. Das Buch hat wegen der Gewaltschilderungen eine Triggerwarnung, doch der absolute Vernichtungswille, im Fachjargon overkilling, zählt zu den Merkmalen von Femiziden. Die Gespräche mit den Überlebenden wurden protokolliert und rekonstruieren neben der Tat ihre Vorgeschichte. Sie wechseln sich ab mit analytischen Kapiteln, in denen es um die Rolle von Medien und Gerichten geht. Manchmal wirkt es, als habe sich in 25 Jahren wenig geändert. Die Frage bleibt: Was kann man tun, um häusliche Gewalt und Femizide zu verhindern? Bei patriarchalen Weiblichkeitsbildern sind wir alle als Gesellschaft für die Präventionsarbeit gefragt. Polizei, Justiz und Politik hingegen muss mehr einfallen als Frauenhausplätze und Platzverweise. Das sind Notfallmaßnahmen, es ist keine Prävention.

Info

Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen Laura Backes, Margherita Bettoni DVA 2021, 208 S., 20 €

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