Austerität, aber in olivgrün: Ampel will überall kürzen, außer beim Militär
Haushalt 2024 Die Ampel und Finanzminister Christian Lindner wollen im Haushalt 2024 überall sparen, nur nicht beim Militär. Das ist eine schlechte Idee! Dabei gäbe es mehrere gangbare Alternativen
Finanzminister Christian Lindner liegt falsch, wenn er die Schuldenbremse zur Inflationsbremse erklärt
Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images
Noch immer streiten die Ampelminister über den Haushalt für 2024, der Haussegen der Koalition hängt längst schief. Der Finanzminister hat zuletzt Briefe mit klaren Kürzungsvorgaben an die Minister verschickt, um den ohnehin verspäteten Haushalt endlich zusammenzuzimmern. Wer entgegen der Vorgabe nicht kürzen will, muss Christian Lindner (FDP) zum Dreiergespräch mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) begleiten. Wie zwei zankende Grundschüler auf dem Pausenhof, die dann zusammen zum Streitschlichter müssen. Ja, so albern geht es mittlerweile in der Regierung zu.
Nun könnte man meinen: Sollen die sich halt albern zanken, nur das Ergebnis zählt. Das Ergebnis ist aber genauso albern wie das Verfahren. Kürzen, kürzen, kürzen, nur n
könnte man meinen: Sollen die sich halt albern zanken, nur das Ergebnis zählt. Das Ergebnis ist aber genauso albern wie das Verfahren. Kürzen, kürzen, kürzen, nur nicht beim Militär, so das Credo. Verteidigungsminister Bois Pistorius (SPD) ist der einzige, der keinen Brief von Lindner bekommen hat. Sein Budget soll um zwei Milliarden steigen, die der anderen fallen. Etwa das von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der Milliardenlöcher in der Kranken- und Pflegekasse nun mit Beitragserhöhungen statt mit Haushaltsmitteln kitten muss. Das wiederum trifft Normalverdiener schmerzlich, Topverdiener aber kaum, weil Beiträge nur auf das Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze von etwa 5.000 Euro pro Monat fällig werden, darüber nicht mehr. Wie so häufig belasten Kürzungen eher die Mehrheit der schmalen als die Minderheit der dicken Geldbeutel. Nicht nur das Verfahren, auch der Haushalt selbst ist albernUnd zu welchem Zweck das ganze Kürzungstheater? Um die Schuldenbremse wieder einzuhalten und die Inflation zu stoppen, wie Lindner, Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) und Scholz im Gleichklang regelmäßig betonen. Lindner erklärt die Schuldenbremse einfach zur Inflationsbremse. Habeck nennt den Ansatz „transformative Angebotspolitik“, eine Kombination von neoliberaler Kürzungspolitik und grüner Ordnungspolitik, ein bisschen Maggie Thatcher, ein bisschen Robert Habeck. Regierungssprecherin Christiane Hoffmann wiederum erklärte jüngst in der Bundespressekonferenz jüngst, der Haushalt sei ein „Landeanflug auf die Normalität“, die Zeit der Ausnahmen sei eben vorbei.Albern ist das, weil die Schuldenbremse auch 2023 schon formal eingehalten, de facto aber milliardenschwer ausgetrickst wurde. Allein über das Sondervermögen Bundeswehr und den Doppelwumms sind grob 50Milliarden Euro an der Schuldenbremse vorbeigelaufen. Man kann nicht glaubwürdig einerseits die Schuldenbremse sakrosankt erklären und dafür dort kürzen, wo es viele Bürger schmerzt; und andererseits die Schuldenbremse selbst hintergehen.Albern ist es auch, lehrbuchmäßig darauf zu verweisen, die Inflation mit Kürzungen bekämpfen zu wollen. Die derzeitige Inflation ist eben keine klassische Inflation aus den Lehrbüchern, sondern ein historischer Preisschock bei Energie und Rohstoffen – ausgelöst durch Krieg und Pandemie. Diese Preise lassen sich nicht senken, indem man Lauterbach Mittel für die Krankenkasse streicht. Die Inflation kommt eben nicht von einer überhitzten Wirtschaft, in der die Konsumenten mit vollen Händen das Geld ausgeben, sondern eher von einem knappen Angebot an günstiger Energie. Die bekommt man aber nicht durch Kürzungen. Dafür muss der Staat mehr Geld ausgeben, mehr investieren und subventionieren. Christian Lindner liegt also falsch, wenn er die Schuldenbremse zur Inflationsbremse erklärt. Die Schuldenbremse hat gar die Inflation erst ermöglicht, weil ihretwegen Investitionen in erneuerbare Energien und die Wärmewende verschleppt wurden.Drittens ist es albern, mit einem Haushalt in einer „Normalität“ landen zu wollen, die es gar nicht gibt. Der Krieg wütet weiter, die Alterung der Gesellschaft stellt Arbeitsmarkt, Schulen und Rentensystem vor einen Berg an Herausforderungen, und wir befinden uns mitten in der Klimakrise. Mit Normalität hat das nichts zu tun. Noch schlimmer: die alte Haushaltsnormalität hat uns viele Probleme gar erst eingebrockt, etwa einen gewaltigen Investitionsstau oder eine Flut an klimaschädlichen Subventionen. Der „Landeanflug auf die Normalität“ ist eher eine Drohung als eine Rechtfertigung.Und zuletzt ist es noch albern, weil Deutschland mittlerweile auch offiziell in der Rezession ist. Im letzten Quartal 2022 ist die Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent gefallen und im ersten Quartal dieses Jahres wieder um 0,3 Prozent. Vor allem beim Konsum lief es schlecht. Jeder VWL-Erstsemester weiß: Wenn alle sparen, darf nicht der Staat auch noch sparen. Als Staat mitten der Krise zu kürzen, verschärft das Problem nur. Was Scholz während der Corona-Krise noch anders machte, damals zückte er die Konjunkturbazooka, trägt er als Kanzler heute mit. Im Wahlkampf wollte Scholz noch Klimakanzler werden – man fragt sich, ob damit gemeint war, der deutschen Wirtschaft eine Schrumpfungskur zu verpassen? Wohl kaum.Ironisch ist ferner: Lindner schließt jede Steuererhöhung aus, weil das die Konjunktur gefährde, bedenkt aber nicht, dass Kürzungen das auch tun. Jeder Euro weniger Förderung beim Heizungstausch fehlt den Menschen an anderer Stelle; jeder Euro mehr Krankenkassenbeitrag ebenso. Wie sich der Streit gesichtswahrend lösen ließeGenug genörgelt. Was machen? Nun, natürlich wären die Spielräume am größten, würde die Bundesregierung die Notfallklausel der Schuldenbremse mit Verweis auf die Klimakrise und den Krieg wieder aktivieren. Bremen hat das zuletzt für seinen Länderhaushalt gemacht, allerdings ist das mit Christian Lindner wohl auszuschließen. Für ihn ist die Schuldenbremse keine nervige Blockade, sondern politisches Marketingtool. Unter Liberalen ist staatliche Sparsamkeit eine Tugend. Deshalb führt an der formalen Einhaltung der Schuldenbremse kein Weg vorbei. Selbst dann ließe sich ein echter Kürzungshaushalt allerdings mit ein paar Kniffen vermeiden.So wie Lindner zehn Milliarden für sein Generationenkapital (aka Aktienrente) bekommt, könnte die Bauministerin auch zehn Milliarden für eine Sozialbauoffensive oder Wissing zehn Milliarden für den Schienenausbau der Bahn bekommen. Wenn der Bund Beteiligungen kauft, gilt das als finanzielle Transaktion und ist von der Schuldenbremse ausgeklammert. Statt über einen öffentlichen Fonds Aktien zu kaufen, könnte man die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) oder die Deutsche Bahn auch mit zehn Milliarden mehr Eigenkapital ausstatten.Die Ampel könnte auch die Buchungsregeln beim Verkauf von Staatsanleihen ändern. 2024 fallen die Zinskosten höher aus, weil Lindner zinslose Anleihen mit großem Verlust an Banken verkauft – und der Verlust in voller Höhe in den Haushalt 2024 gebucht wird. Würde Lindner Anleihen mit höherem Zins verkaufen, oder die Verluste über die Laufzeit der Anleihen verbuchen, würden im Haushalt nächstes Jahr rund zwölf Milliarden Euro frei.Das Mindeste aber wäre, die Milliarden aus dem Doppelwumms umzuwidmen, die nicht mehr für die Strom- und Gaspreisbremsen gebraucht werden. Da viele Verbraucher günstigere Verträge haben, greifen die Bremsen vielfach nicht, die Regierung spart wohl zwischen 15 und 30 Milliarden. Diese Gelder ließen sich einfach umwidmen, etwa für einen rabattierten Industriestrompreis, den Habeck sich wünscht.Fest steht: Die Ampel sollte sich um Lösungen, statt um alberne Rechtfertigungen kümmern. Wo ein Wille, da ein Weg – selbst mit der Schuldenbremse.