Sinkende Inflation: Der Preisschock vergeht. Wer hat's erreicht? Und zu welchem Preis?

Teuerung Es war absehbar: Die Preise sinken wieder, die Zentralbanker klopfen sich selber auf die Schulter. Doch die hohen Zinsen hatten und haben fatale Folgen für die Wirtschaft
Den Rückgang der Inflation kann sich Wirtschaftsminister Robert Habeck auf die Fahne schreiben, nicht aber die EZB
Den Rückgang der Inflation kann sich Wirtschaftsminister Robert Habeck auf die Fahne schreiben, nicht aber die EZB

Foto: Imago/Metopi Popow

Niemand mag Klugscheißer und Rechthaber, ich weiß. Um der Politik auf die Finger zu schauen, sind sie aber manchmal nützlich, hoffe ich. Denn: Was ich gleich schreibe, fällt in die Kategorie „Hab ich doch gesagt!“ Und zwar: Dass der Preisschock bald wieder verschwindet, dass die Erzeugerpreise bis zum September stark fallen und die Zentralbank die Wirtschaft mit den Zinserhöhungen crasht. So geschehen Ende März im Interview im Freitag.

Die Preise fallen – die EZB hat nichts dafür getan

Gas und Strom sind an der Börse heute wieder so günstig wie im Frühjahr 2021, bevor der ganze Preisauftrieb begann. Ein Jahr, nachdem Putin die Gasleitung Nordstream 1 abdrehte und damit die Börsenpreise auf Rekordhöhen katapultierte, ist der Schock ausgestanden. Und weil Strom und Gas wieder günstig sind, fallen allmählich auch alle anderen Preise. Die Statistiker meldeten deshalb zuletzt: Importpreise im August 16,4 Prozent niedriger als im Vorjahresmonat, Erzeugerpreise immerhin 12,6 Prozent.

Zugegeben: Bei den Verbrauchern ist das noch nicht vollständig angekommen. Ein neuer Gasvertrag kostet gerade rund 9 Cent pro Kilowattstunde, das sind noch immer 50 Prozent mehr als im Frühjahr 2021. Aber: Immerhin auch nicht mehr 30 Cent wie zu Höchstständen im September 2022. Geben die Gasversorger die günstigen Börsenpreise also nicht weiter? Doch, offensichtlich schon. Man muss aber bedenken, dass das Gas, das heute geliefert wird, nicht gestern günstig an der Börse gekauft wurde, sondern zu höheren Preisen in der Vergangenheit. Bleibt es aber an der Börse günstig, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Preise für Verbraucher wieder fallen. Zumindest die für Gas und Strom.

Auf die Fahne schreiben kann sich den Erfolg Wirtschaftsminister Robert Habeck, nicht aber die Europäische Zentralbank (EZB). Denn die höheren Zinsen haben daran keinen Anteil. Die Gaspreise sind gefallen, weil über schwimmende LNG-Terminals das russische Gas ersetzt werden konnte und die Panik vor einer Gasmangellage verflogen ist. Die EZB muss sich eher fragen lassen, warum sie die Zinsen immer weiter anhebt, obwohl die Börsenpreise längst fallen. Zuletzt gab es die zehnte Zinserhöhung in Folge – von null auf 4,5 Prozent. Und die höheren Zinsen bringen ganz neue Probleme.

Die Wirtschaft schrumpft

Auch das war absehbar: Die Zinserhöhungen stellen der ohnehin taumelnden Konjunktur ein Bein. Laut dem Internationalen Währungsfonds wird die deutsche Wirtschaft dieses Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen, laut der neuen Gemeinschaftsdiagnose deutscher Wirtschaftsinstitute sogar um 0,6 Prozent. Das Problem mit den Zinsen: Wenn Kredite teurer werden, wird weniger investiert.

Besonders eindrücklich sieht man das gerade im Bausektor: Auftragseingänge und Baugenehmigungen sind eingebrochen, Stornierungen und Klagen über Auftragsmangel explodiert. Wenn die Baubranche hustet, bekommt die deutsche Wirtschaft eine Grippe. Immerhin macht die Branche fast ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Der Bundeskanzler hat deshalb vor kurzem die Verbände der Baubranche im Kanzleramt zum Baugipfel geladen und einen 14-Punkte-Plan mit Steuererleichterungen, Bürokratieabbau und laxeren Effizienzstandards vorgestellt.

Und auch an anderen Stellen lassen es die hohen Zinsen knarren. Der Zins für zehnjährige Immobilienkredite hat sich seit 2022 vervierfacht, von rund einem auf mehr vier Prozent. Wer seinen Hauskauf 2014 noch zu zwei Prozent finanziert hat und bald eine Anschlussfinanzierung braucht, wird seine Ausgaben für die höheren Zinsen woanders kürzen müssen. Da das nicht bei allen geht, drohen Immobilienkredite auszufallen. Dann haben auch die Banken, die das finanziert haben, ein Problem. Oder die Versicherer, bei denen die Banken Kreditausfälle abgesichert haben.

Anderes Beispiel: Studienkredite von der staatlichen Förderbank KfW. Deren Zins hat sich von vier auf neun Prozent mehr als verdoppelt. Die meisten Kredite sind variabel verzinst, was heißt: viele Studis werden kalt erwischt und rutschen in die Schuldenfalle. Verbraucherzentralen und Studierendenwerke warnen deshalb vor den Studienkrediten, wohlgemerkt vor den Krediten der staatlichen (!) Förderbank. Irre, oder?

Erlöst die Zentralbank, sie kann es nicht!

Und weil alles so gekommen ist, wie im Interview im März gesagt, will ich auch nochmal die Konsequenz daraus wiederholen: Die Zentralbank ist mit ihrem Inflationsmandat überfordert. Zehn Jahre lang hat sie mit Niedrigzinsen und billionenschweren Anleihekäufen versucht, die Inflation auf zwei Prozent zu hieven – und ist gescheitert. Seit dem Krieg versucht sie es mit höheren Zinsen gegen den Schock auf den Energiemärkten – und richtet großen Schaden an.

Zeit also, sich einzugestehen: Mit Zinsen und Anleihekäufen allein lässt sich die Inflation nicht kontrollieren. Die Regierungen haben hingegen deutlich mehr Werkzeuge: Steuern, Investitionen, Sozialtransfers, Regulierungen, das Kartellamt und so weiter. Warum also nicht Olaf Scholz dafür verantwortlich machen, dass Deutschland jedes Jahr eine Inflation von zwei Prozent hat? Die Zentralbank kann sich dann um die Stabilität im Bankensektor kümmern. Damit hätte sie ohnehin genug zu tun!

Maurice Höfgen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag, Autor der Bücher Teuer! Die Wahrheit über Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik und Mythos Geldknappheit und Vertreter der Modern Monetary Theory.

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