Wo ist Berlinguer?

Italien Vor 100 Jahren gründete sich die Kommunistische Partei Italiens. Sie drang bis ins Herz der bürgerlichen Gesellschaft. 1990 kam der Absturz

Es gibt dieses Foto, schwarz-weiß, da trägt der italienische Regisseur Roberto Benigni einen Kommunisten auf Händen. Nicht irgendeinen. Sondern Enrico Berlinguer, Liebling der italienischen Linken.

Er war von 1972 bis 1984 der Sekretär der Kommunistischen Partei Italiens (Partito Comunista Italiano) und brachte ihr das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte. Das war 1976.

Filmemacher, Sänger, Cantautori, Schauspieler zeigten sich damals auf Walhkampfveranstaltungen mit den Kommunisten, sympathisierten oder waren sogar Mitglieder der PCI, die sich heute vor 100 Jahren in der Hafenstadt Livorno in der Toskana gegründet hat.

Es war morgens um 11 am 21. Januar, als sich im Teatro San Marco diejenigen versammeten, die von einer proletarischen Revolution träumten, mehr wollten als Reformen, während die Delegierten der sozialistischen Partei Italiens in einem anderen Theater saßen. Sie hatten sich zu ihrem 17. Parteitag getroffen. Es kam zur Spaltung – und wer Umbruch wollte, ging zu den Kommunisten um Antonio Gramsci.

Dieses ehemalige Theater steht heute so verlassen da wie die große Utopie. Ganz leer, ein heruntergekommenes Gebäude aus alten roten Steinen. Nur eine von Efeu umrankte Gedenktafel erinnert an heroischere Zeiten: „Zwischen diesen Mauern gründete sich am 21. Januar die Partito Communista Italiano, Avantgarde der Arbeiterklasse“, steht darauf. Die Namen Marx, Engels, Lenin und Stalin, Gramsci und Togliatti – eingravierte Lettern. Draußen am Eingang weht die Rote Fahne, Bandiere Rossa. Als hätte jemand vergessen, sie mitzunehmen.

Keine Alleingänge

Enrico Berlinguer, aus Sardinien stammend, mit adligen Wurzeln, suchte einen autonomen Kurs, einen undogmatischen. Den Prager Frühling nannte er im Beisein der Sowjets eine „Tragödie“. Als Held des Eurokommunismus, der in den 1970er Jahren in Westeuropa verbreitet war, hat er die Rolle seiner Partei nicht in der Nische gesehen, nicht in ewiger Frontalopposition, sondern die Kommunisten sollten an demokratischen Prozessen teilnehmen, bürgerliche Parteien und Regierungen unterstützen. Auch die Sozialdemokraten.

Diese concertazione schloss die Kommunisten in Entscheidungen der Regierung mit ein, es gab keine Alleingänge, auch die schwachen Christdemokraten suchten die inoffizielle Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Der Begriff cattocommunismo beschreibt auch, wie ähnlich sie sich mitunter in ihren Überzeugungen sein konnten. Es waren zwei Kirchen, die Italien prägten: Katholiken und Kommunisten – wunderbar erzählt in Don Camillo und Peppone – Geschichten um einen Pfarrer und einen kommunistischen Bürgermeister in einem fiktiven Dorf.

Auch Wolf Biermann schwebte eher ein italienischer als ostdeutscher Kommunismus vor. 1976 sang er – nach seiner Ausbürgerung – in Köln: „So oder so, die Erde wird rot“. In einer Strophe heißt es: „Die BRD braucht eine KP – wie ich sie wachsen und reifen seh’, unter Italiens Sonnenschein“ – tosender Applaus. Er traf die Hoffnung westdeutscher Linker auf ein Paradies.

Regisseur Roberto Benigni spielte 1983 im Film Berlinguer, ti voglio bene (dt: Berlinguer, ich liebe Dich) einen Proletarier aus der Toskana, der im Mythos von Berlinguer lebt, ihn distanzlos anhimmelt. Berlinguers „historischer Kompromiss“ allerdings verstärkte die Sozialdemokratisierung der Partei, auch Enttäuschungen, Zwist. Es gab immer mehr Abspaltungen.

Tochter Bianca Berlinguer moderiert übrigens heute auf RAI 3 die Sendung #cartabianca, es ist die wichtigste Talkshow im italienischen Fernsehen. Sie führt kritische Interviews mit Politikern wie Salvini oder Renzi.

1990 hat sich die PCI aufgelöst, eine Partei, die zwei Millionen Mitglieder hatte. Es war für viele ein Trauma. „In Italien führt das zum Phänomen des ‚Antipolitischen‘ und zum relativen Niedergang der Parteien“, erzählte mir einmal die große, schillernde Kommunistin Luciana Castellina. Was bleibt sind schnell wechselnde Politiker-Figuren, die versuchen eine Leere zu füllen, die der Niedergang der Kommunisten und anderer bindungsstarker Parteien hinterlassen hat.

Cantoautore Lucio Dalla hat 1990 einen Abgesang auf den Kommunisten verfasst. Er singt in Comunista von einem „verlorenen Mann“, einem Mann, der keine Stimme mehr hat.

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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