Es gibt dieses Foto, schwarz-weiß, da trägt der italienische Regisseur Roberto Benigni einen Kommunisten auf Händen. Nicht irgendeinen. Sondern Enrico Berlinguer, Liebling der italienischen Linken.
Er war von 1972 bis 1984 der Sekretär der Kommunistischen Partei Italiens (Partito Comunista Italiano) und brachte ihr das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte. Das war 1976.
Filmemacher, Sänger, Cantautori, Schauspieler zeigten sich damals auf Walhkampfveranstaltungen mit den Kommunisten, sympathisierten oder waren sogar Mitglieder der PCI, die sich heute vor 100 Jahren in der Hafenstadt Livorno in der Toskana gegründet hat.
Es war morgens um 11 am 21. Januar, als sich im Teatro San Marco diejenigen versammeten, die von einer proletarischen Revolution träumten, mehr wollten als Reformen, während die Delegierten der sozialistischen Partei Italiens in einem anderen Theater saßen. Sie hatten sich zu ihrem 17. Parteitag getroffen. Es kam zur Spaltung – und wer Umbruch wollte, ging zu den Kommunisten um Antonio Gramsci.
Dieses ehemalige Theater steht heute so verlassen da wie die große Utopie. Ganz leer, ein heruntergekommenes Gebäude aus alten roten Steinen. Nur eine von Efeu umrankte Gedenktafel erinnert an heroischere Zeiten: „Zwischen diesen Mauern gründete sich am 21. Januar die Partito Communista Italiano, Avantgarde der Arbeiterklasse“, steht darauf. Die Namen Marx, Engels, Lenin und Stalin, Gramsci und Togliatti – eingravierte Lettern. Draußen am Eingang weht die Rote Fahne, Bandiere Rossa. Als hätte jemand vergessen, sie mitzunehmen.
Keine Alleingänge
Enrico Berlinguer, aus Sardinien stammend, mit adligen Wurzeln, suchte einen autonomen Kurs, einen undogmatischen. Den Prager Frühling nannte er im Beisein der Sowjets eine „Tragödie“. Als Held des Eurokommunismus, der in den 1970er Jahren in Westeuropa verbreitet war, hat er die Rolle seiner Partei nicht in der Nische gesehen, nicht in ewiger Frontalopposition, sondern die Kommunisten sollten an demokratischen Prozessen teilnehmen, bürgerliche Parteien und Regierungen unterstützen. Auch die Sozialdemokraten.
Diese concertazione schloss die Kommunisten in Entscheidungen der Regierung mit ein, es gab keine Alleingänge, auch die schwachen Christdemokraten suchten die inoffizielle Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Der Begriff cattocommunismo beschreibt auch, wie ähnlich sie sich mitunter in ihren Überzeugungen sein konnten. Es waren zwei Kirchen, die Italien prägten: Katholiken und Kommunisten – wunderbar erzählt in Don Camillo und Peppone – Geschichten um einen Pfarrer und einen kommunistischen Bürgermeister in einem fiktiven Dorf.
Auch Wolf Biermann schwebte eher ein italienischer als ostdeutscher Kommunismus vor. 1976 sang er – nach seiner Ausbürgerung – in Köln: „So oder so, die Erde wird rot“. In einer Strophe heißt es: „Die BRD braucht eine KP – wie ich sie wachsen und reifen seh’, unter Italiens Sonnenschein“ – tosender Applaus. Er traf die Hoffnung westdeutscher Linker auf ein Paradies.
Regisseur Roberto Benigni spielte 1983 im Film Berlinguer, ti voglio bene (dt: Berlinguer, ich liebe Dich) einen Proletarier aus der Toskana, der im Mythos von Berlinguer lebt, ihn distanzlos anhimmelt. Berlinguers „historischer Kompromiss“ allerdings verstärkte die Sozialdemokratisierung der Partei, auch Enttäuschungen, Zwist. Es gab immer mehr Abspaltungen.
Tochter Bianca Berlinguer moderiert übrigens heute auf RAI 3 die Sendung #cartabianca, es ist die wichtigste Talkshow im italienischen Fernsehen. Sie führt kritische Interviews mit Politikern wie Salvini oder Renzi.
1990 hat sich die PCI aufgelöst, eine Partei, die zwei Millionen Mitglieder hatte. Es war für viele ein Trauma. „In Italien führt das zum Phänomen des ‚Antipolitischen‘ und zum relativen Niedergang der Parteien“, erzählte mir einmal die große, schillernde Kommunistin Luciana Castellina. Was bleibt sind schnell wechselnde Politiker-Figuren, die versuchen eine Leere zu füllen, die der Niedergang der Kommunisten und anderer bindungsstarker Parteien hinterlassen hat.
Cantoautore Lucio Dalla hat 1990 einen Abgesang auf den Kommunisten verfasst. Er singt in Comunista von einem „verlorenen Mann“, einem Mann, der keine Stimme mehr hat.
Kommentare 17
2 mio. partei-gänger/heimat-vertriebene, zwangs-exilierte/flüchtige.
wissen italiener besser, ihre tränen zu trocknen?
wo ich mich (auch ld-verursacht) derzeit viel mit Musik beschäftige: Bei Lucio Dalla und anderen italienischen Singern-Songwritern merkt man die Herkunft vom Belcanto stetig an. Was bei ihm – aber nicht alleinig bei ihm – mit einem hohen Reflexionsniveau bei den Texten einhergeht.
Zur vielgerühmten PCI: Die haben in den Neunzigern noch berühmte Feste ausgerichtet (auch wenn die schon damals nur ein Abklatsch derjenigen aus der Siebziger-Hochphase waren). Heute ist diese Tradition tot; einen Schatten der Erinnerung bietet heute lediglich Rifondazione Communista. Allerdings: Auch wenn die programmatisch durchaus interessant sind, ist die einst stolze Idee im italienischen Alltag kaum noch präsent. Vielleicht auch deshalb, weil man südlich der Alpen von Haus aus ein größeres Talent hat, sich irgendwie durchzuwursteln. Keine Ahnung – vielleicht muß es erst viel schlechter werden, bevor es besser werden kann. Aber nochmal an Gramsci anzuknüpfen dürfte erst mal gehörige Aufbauarbeit vonnöten machen.
Toller Beitrag!
auf dem fest, bei dem ich dabei war, gings bescheiden zu: mit polenta für alle!
Vielen Dank für die Reminiszenz.
Enrico Berlinguer in Neapel 18 6 76
Die Auflösung der 'klassischen' PCI war einer der grössten Fehler in der Geschichte der europäischen Linken.
Berlinguers Vision ist heute genauso aktuell wie damals.
Ein ebenso unerwarteter wie notwendiger Gedankenanstoss.
Die KPI war - anders als organisierte westdeutsche Kommunisten - etwas ganz Besonderes. Vergleichbares fehlt heute an allen Ecken und Enden.
Die Entpolitisierung des Politischen hat viele Väter und manche Mütter. Diesseits wie jenseits des großen Teiches. 'It´s Kohl outside', um einen der letzten großen Satiriker, Hans Traxler, ins Spiel zu bringen.
Freilich wäre es klug, nicht in Schwanengesängen zu verharren, sondern Berlinguer und Freunde in 2021 und Folgejahre zu transformieren.
Ein origineller und lehrreicher Rückblick, auf eine andere Zeit und einen, auch (multi)kulturell verankerten, Eurokommunismus, wie ich finde.
Berlinguer, Dalla, Benigni. Das zeigt schon, Kommunismus war nicht nur verbiestert und dogmatisch, sondern weltoffen, wenig antireligiös, dem Humor und der Unterhaltung nicht abgeneigt und damit eben massentauglich.
Die Sozialisten Italiens entwickelten sich in der gleichen Zeit zu einer Art Politmafia, durchaus für einige Jahre damit regierungs- und ämtertauglich, aber eben auch hemmungslos korrupt und an Geheimgesellschaften gebunden.
Warum kam es zum Abstieg, nicht nur in Italien, sondern auch in Frankreich und Spanien?
Sozialdemokratisierung scheint mir nur ein Grund zu sein.
Ein anderer damit verbundener, lag, so paradox das klingen mag, im eigenen Erfolg, der hauptsächlich über den Arbeitskampf und die (kommunistischen oder beeinflussten) Gewerkschaftsorganisationen zustande kam.
Industriearbeiter (Facharbeiter, Techniker) und die neuen Dienstleistenden, überwiegend bürgerlich orientiert, wendeten sich ab, nachdem sie zu einigem Wohlstand und zu recht weitgehender sozialer Absicherung, einschließlich früh möglicher Berentung, gekommen waren. Zumal sie sahen, wie ihre Nachkommen, über die Bildungsexpansion, die auch in Italien stattfand, nunmehr Berufe erreichten, an den Universitäten, an den Schulen, in der Justiz und Bürokratie, in der Wirtschaft, die ihrer Generation noch verschlossen geblieben waren.
Und auf dem Lande? Bewegt man sich heute durch die agroindusriellen Kernzonen Italiens, besonders im Norden und in der Mitte, dann sieht man überall, neben den Großkonzernen in den großen Leichtbauhallen, hochspezialisierte, durchtechnisierte und durchaus wohlhabende Klein- und Mittelbetriebe, mit einer ebenso selbstbewussten Belegschaft. Selbst die Biolandwirtschaft ist größtenteils, ob genossenschaftlich, familiär oder mittelständisch organisiert, hocheffizient und marktkonform organisiert und produziert oft für die ganze EU.
Selbstverständlich fehlen heute auch Persönlichkeiten, die ein ähnliches Charisma besitzen. Der religiös geprägte Begriff deutet die Sphäre des Verlustes an.
Berlinguer starb während seines Europawahlkampfes. Bei manchem heutigen Kommunistenhäuflein, ist das kein Markenkern mehr. Zur Trauer um ihn, kamen nicht nur Kommunisten.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Etwas fällt auf im Vergleich zu heute: Es gab in den 1970er Jahren eine enorme Wirkung hinein in die kulturellen Kreise (übrigens auch in der DKP). Heute wird nur noch humorloser Parlamentarismus praktiziert. Vielleicht sind es auch die Künstler von heute, die meist eine große Distanz zur Politik haben.
Auch wenn man es im Alter bedauert - alles hat seine Zeit.
Identitätspolitik zerstört Hedonismus zuverlässig.
Ach, da erinnere ich mich an die Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien in Berlin 1976 (Hauptstadt der DDR). Da hatte ich Spätdienst. Die Redebeiträge wurden nicht nur im "Neuen Deutschland" im Wortlaut abgedruckt, sie erschienen auch in allen Zeitungen der Blockparteien. Eine ziemlich stressige Spätschicht war das.
Und in der Redaktion wurde auch debattiert. Berlinguer war auch da, erinnere ich mich. In der DDR aber herrschte eine beinahe gespenstische Furcht vor jeder Art von Abweichung von der eigenen Glaubenslinie. Die Angst vor Spaltung und - im Grunde - auch weitere Dominanzbestrebungen der Sowjetunion innerhalb der kommunistischen Bewegungen, so in die Richtung diskutierten wir.
Warum war die Zeitenwende 1990 ein Grund, die Partei aufzugeben? Waren die Eurokommunisten etwa auch finanziell auf Moskau angewiesen? Hätte ich nicht gedacht.
Wer an Antworten auf seine Fragen interessiert ist, lässt sie von Anderen beantworten.
Also ist meine Vermutung richtig? Die italienische KP war finanziell von Moskau abhängig obwohl sie so gar nicht auf Linie war?
wurde (später)auch die erschießung -->benito corghis an der grenze
diskutiert?
1980er / 1990er Jahre… Große Brüche.
Die Linke in Europa (und in anderen Teilen der Welt) konnte damals nicht alle Folgen der Perestroika vorhersehen.
Es gab auch ein ziemlich starkes Maß an Sympathie für die ‚neue‘ Politik von Michail Gorbatschow, und das in unterschiedlichen politischen Schattierungen.
Perestroika eröffnete eine Vielzahl historischer Möglichkeiten.
Während die Europäische Linke weiterhin bevorstehende libertäre und emanzipatorische Veränderungen annahm, nutzte der Neoliberalismus die Situation einfach und rücksichtslos, um die kapitalistische politische Ökonomie weiter auszubauen („Neokolonialismus“).
In diesem Prozess wurden viele Institutionen der Linken ideologisch angegriffen und physisch abgebaut, darunter auch die PCI in Italien.
Der nächste große Zusammenbruch, den wir erwarten können, ist der Niedergang der Industrieproduktion für die Massen, Hand in Hand mit der Aneignung natürlicher Ressourcen durch einige wenige und der zunehmenden Überwachung und ‚Sicherung‘ der vielen.
… adaptation to climate change by rich and powerful classes.
Die politische Ausrichtung der Linken sollte in einem solchen realistischen, übergreifenden Szenario stattfinden.
Ratio and Emotio.
https://en.wikipedia.org/wiki/Enrico_Berlinguer
https://en.wikipedia.org/wiki/Italian_Communist_Party
https://www.youtube.com/watch?v=TqGs751Q_II
Modena City Ramblers - I funerali di Berlinguer
Na also, geht doch.
Wenn ich jetzt noch den Eindruck hätte, Sie wollten von mir eine Antwort: Sie würden glatt eine bekommen ...
Nein, das habe ich jetzt erst mal recherchiert.