Glaubt nicht alles, was im Fernsehen kommt

TV-Event Die Umsetzung des interaktiven Schirach-Theaterstücks "Terror" führt uns vor allem eins vor Augen: Medienkompetenz ist und bleibt in Deutschland Mangelware
Ausgabe 42/2016

Es ist faszinierend, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen selbstvergessen an der Erosion des Fundamentes arbeitet, auf dem es steht. Bildungsauftrag – geh‘ mir aus der Sonne, hier kommt „das europäische TV-Event“. Die Verfilmung eines Theaterstücks über das – in einer von Angstlust erfüllten Wohlstandsgesellschaft arg beliebte – Schockerthema „islamistischer Terror“ wird extensiv beworben, damit man sich am Folgetag zu Topquoten gratulieren kann.

Was dabei kaputt geht an Sorgfaltspflicht und Glaubwürdigkeit, ist naturgemäß egal. Hat Immanuel Kant in Königsberg sich dereinst von Diener Lampe in aller Früh wecken lassen, damit mehr als 200 Jahre später ein Jahrmarktbudenbetreiber namens Frank Plasberg als Information verkaufen kann, dass 12 Testpersonen beim Betrachten eines Films 28 Mal Gefühlsschwankungen hatten – todernst visualisiert durch eine Animation, die ausschaut, als würde sie beim nächsten Mal als Lookalike des Computerspielklassikers Pac-Man auftreten? Aufklärung, what has become of you?

Terror – Ihr Urteil hieß der Abend aus Film und Plasberg-Diskussion (Hart aber fair) in jener besinnungslosen Servicefreundlichkeit, in der die ARD alles, wofür sie stehen sollte der Sehnsucht nach ein bisschen Aufmerksamkeit überantwortete. Lars Kraume hatte einfühlsam ein Erfolgsstück des schreibenden Rechtsanwalts Ferdinand Schirach verfilmt; simuliert wird darin eine Gerichtsverhandlung über einen fiktiven Piloten, der aus erfundenem Heldenmut eine angeblich entführte Passagiermaschine abgeschossen hatte, die mutmaßlich auf dem Wege war, in ein konstruiertes Fußballstadion zu stürzen, und der nun darauf wartet, freigesprochen zu werden. Weil er es für Deutschland tat. Oder weil Florian David Fitz (als Pilot) doch so supersüß ist?

Fiktion und Realität sind in Terror nicht zu trennen, wenn man Kraume vorschickt, aber so tut, als hätte Romuald Karmakar bildskrupulös Manfred Zapatka Texte lesen lassen. Die aufs Individuum abgerichtete Story taugt nicht zur Realitätsvorlage einer Gerichtsverhandlung. Aber damit der Zuschauer, der von Richter Burghart Klaußner (die ganz, ganz tiefe Sorgenfalte!) „Schöffe“ genannt wird, weiß, wo’s langgeht, schmuggelt Martina Gedecks Staatsanwältin (böse, böse) eine Merkel-Raute ins Spiel ein, wenn sie von Würde redet. Und Lars Eidinger kriegt als Verteidiger die größere Nahaufnahme und die längeren Blicke in die Kamera (zu den „Schöffen“!), wenn er sagen darf: „Wir sind im Krieg.“ Endlich! Jauchz! Wurde auch Zeit.

ARD-Programmdirektor Volker Herres hatte in einem Interview vor der Ausstrahlung stolz darauf hingewiesen, dass Terror Fiktion sei. Blöderweise wusste Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) davon bei Plasberg nichts, der sprach nur im Indikativ über den Film; als ob das wirklich geschehen sei. Die Notwendigkeit von Medienkompetenz ist nie dringlicher vor Augen geführt worden. Was die Unfähigkeit macht mit Leuten, die zwischen Kunst und Wirklichkeit nicht unterscheiden können, demonstrierte Ex-Luftwaffe-Major Wassmann. Er forderte – „es trifft doch niemand mehr Entscheidungen“ – eine Grundgesetzänderung, die Abschaffung von Artikel eins. Der Grund: weil sich mit einem spekulativen Theaterstück multimedial Geld verdienen lässt.

Angesichts solcher Entwicklungen muss über einen Einsatz der Bundeswehr im Innern der ARD-Führung nachgedacht werden.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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