Was ist Totalitarismus? Über politische Projekte mit dem Potenzial totaler Kontrolle
Vortrag „Hat unser Staat totalitäre Tendenzen?“, fragte unser Autor in einem „Freitag“-Essay zur Covid-Politik. Das „Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte“ wollte es genau wissen
Sehr geehrte Damen und Herren, in Deutschland ist „Totalitarismus“ ein verbrannter Begriff – der aber noch glüht und alle zu versengen droht, die ihn anfassen. Der Totalitarismus der Nationalsozialisten hat die industrielle Vernichtung von Menschen ins Werk gesetzt, die als rassisch oder sonst wie „minderwertig“ gebrandmarkt wurden. Hannah Arendt spricht hier von der „Fabrikation von Leichen“. Allein ungefähr sechs Millionen Juden fielen ein
r von der „Fabrikation von Leichen“. Allein ungefähr sechs Millionen Juden fielen einem Verwaltungsmassenmord zum Opfer.„Wehret den Anfängen“ ist deshalb Teil der Staatsräson beider deutscher Staaten der Nachkriegszeit gewesen. Zu Recht ist der Begriff „Totalitarismus“ also von höchster diskursiver Vorsicht umgeben – die Furcht, hier etwas Falsches oder auch etwas zu sagen, das ein politischer Gegner als verbotene Relativierung der Nazi-Verbrechen und insbesondere des Holocaust auslegen könnte, ist groß.Andererseits: Wir leben in einem von Moralisierung und Demagogie geschädigten Gesellschaftsklima, in dem Cancel Culture inklusive der gegenseitigen Denunziation für vermeintlich „falsche“ Meinungen von Teilen der Politik gewünscht und sogar über steuerfinanzierte „Meldestellen“ wie die für „Antifeminismus“ gefördert wird.Eine heikle DiskussionEs ist denkbar, dass einem die bloße Anwendung des Begriffs „Totalitarismus“ auf gegenwärtige Erfahrungen übel ausgelegt wird. Kontaktschuld-Spezialisten könnten sagen: „Totalitarismus ist gleich Nationalsozialismus ist gleich Holocaust. Folglich bedeutet die Anwendung des Begriffs ‚Totalitarismus‘ auf ein Phänomen der Gegenwart einen Vergleich der Gegenwart mit dem Holocaust.“Akzeptiert man diese „Assoziationslogik“, so wäre es sozial faktisch unmöglich, den Begriff „Totalitarismus“ überhaupt anzuwenden. Die Anwendung eines klar definierten Totalitarismusbegriffs zur Analyse gegenwärtiger Phänomene ist aber unumgänglich, um das Aufkommen eines neuen Totalitarismus zu erkennen und zu unterbinden. Wehret den Anfängen: Das bedeutet, genau das auszusprechen, was sich uns in der Gegenwart zeigt – sei es, was es sei, sei es vielleicht auch das Ungeheuerliche. Eine philosophische Klärung dreier Begriffe kann uns helfen, diese schwere Pflicht besonders eines Deutschen zu meistern.Durchexerzieren einer Idee in allen Bereichen„Total“ bedeutet: aufs Ganze gehend, alles durchdringend. Totale Herrschaft ist demnach eine Regierungsweise, die alle Aspekte menschlichen Daseins dominieren will. Damit so ein Projekt überhaupt denkbar ist, müssen gewisse Konzepte beherrscht werden. Zunächst ist Ideologie notwendig: Der angehende totalitäre Herrscher muss die Wirklichkeit schematisch vereinfachen und unter wenigen, am besten unter einem einzigen Gesichtspunkt erklärbar machen. Ob diese Erklärung plausibel ist, kann außer Betracht bleiben. Totale Herrschaft benötigt jedenfalls eine leitende Idee. Das kann eine philosophische These wie der historische Materialismus sein: Die Geschichte ist als Geschichte von Klassenkämpfen zu verstehen, die in zwar etappenreicher und wechselvoller, aber eben in gesetzmäßiger Weise auf die klassenlose Gesellschaft zusteuert.Eine Ideologie ist die Rede oder die Lehre, die sich aus einer Idee ergibt – etwa der des historischen Materialismus. Die Implikationen einer Idee für die unterschiedlichsten Bereiche der Kultur werden in der Ideologie ausformuliert, um sie als Ordnungsprinzip nutzbar zu machen. Ob das in realitätsnaher oder weltfremder Weise, in schlüssiger oder unschlüssiger Form geschieht, spielt keine Rolle. Es kommt für den totalitären Geist auf das Durchexerzieren einer einzigen Idee in allen Bereichen menschlichen Interesses an.Warum braucht eine totalitäre Bewegung zwingend eine leitende Idee, eine ihr entsprechende Ideologie? Betrachten wir drei Gründe, obwohl noch einige mehr ersichtlich sind.Erstens ist es dem totalen Herrscher ohne eine leitende Idee, die auf jeden Gegenstand bezogen werden kann, schlicht nicht möglich, jeden Gegenstand menschlicher Bedeutung anzusprechen und in die Disziplin seiner Herrschaft einzuordnen – wie das Projekt der totalen Herrschaft es verlangt.Zweitens können die benötigten Umsetzungskader totaler Herrschaft ohne eine leitende Ideologie nicht auf eine einheitliche Beurteilungs- und Handlungsweise hin konditioniert werden, die sie im Wandel der Ereignisse reaktionsfähig erhält. Diese ist aber zur Durchsetzung jeder Art von Herrschaft notwendig.Drittens kann nur durch eine am Ende auch gewaltsam verbindlich gemachte Leitidee allen politischen Denkens ein solches Maß an Selbstausrichtung der Bevölkerung erreicht werden, das zur Stabilisierung einer totalen Herrschaft hinreicht. Untertanen totaler Herrschaft machen nämlich jeden Tag Erfahrungen, die mit der offiziellen Ideologie gar nichts zu tun haben oder die ihr gar widersprechen.Ideologie, Herrschaft und TotalitarismusNur durch eine klare Leitidee, für deren Missachtung glaubhaft irgendeine Art der Bestrafung droht, kann erreicht werden, dass sich im Alltag fast jeder bemühen wird, offenkundig der Ideologie widersprechende Erfahrungen so zurechtzuinterpretieren, dass sie doch als Bestätigung der Ideologie gelten können – oder sie zumindest nicht offen Lügen strafen.Zuletzt definieren wir den Begriff „Totalitarismus“: als die Gesinnung, die einer totalitären Herrschaft zugrunde liegt und die auf ihre Errichtung hinwirkt. Überindividuell gesprochen ist Totalitarismus das politische Programm, das die totale Herrschaft im Sinne einer bestimmten Ideologie einrichten will. Könnte sich die Gesinnung Totalitarismus ihren Staat bauen, so wäre dies ein totalitärer Staat, der totale Herrschaft im Sinne einer bestimmten Ideologie verwirklichen soll.Es gibt im Dreieck der Begriffe „totale Herrschaft“, „Ideologie“ und „Totalitarismus“ eine klare Sachlogik zu entdecken: Politiker, die ihre Mitwelt vollständig und alles durchdringend unterjochen wollen, bedürfen einer Ideologie als Strukturgeber der von ihnen angestrebten totalen Herrschaft – und der Totalitarismus ist die Gesinnung und das politische Programm dafür, diese totale Herrschaft schrittweise herbeizuführen.Regierungen begreifen die Gefahr nichtUm den als so heikel empfundenen Totalitarismusbegriff für die Anwendung auf aktuelle Phänomene brauchbar zu machen, müssen wir noch eine philosophische Aufgabe lösen, die sich als Frage ausdrücken lässt: Ist es möglich, aus Versehen, gleichsam unabsichtlich, ohne es zu bemerken, totalitär zu handeln? Also so zu handeln, als wolle man die Einrichtung eines totalitären Staates erreichen, als sei man also ein Totalitarist?Nehmen wir einmal an, die Antwort wäre „Nein“ – niemand kann „aus Versehen“ so handeln, dass es ein politisches Programm zur Errichtung einer totalen Herrschaft unterstützt. Stimmte das, so wären wir in einer schwierigen Lage: Für den Fall, dass wir eine politische Taktik in der Gegenwart erkennen, die unserer Überzeugung nach totalitär ist, müssten wir diejenigen, die sie ausführen, direkt des Totalitarismus bezichtigen. Kurze und unergiebige Diskussionen wären vorprogrammiert.Die richtige Antwort ist aber „Ja“: Man kann im Prinzip an der Umsetzung eines Programms mitwirken, das auf totale Herrschaft hinausläuft, das also totalitaristisch ist, ohne sich dessen bewusst zu sein. Es ist sehr wohl möglich, totalitäre Politik zu betreiben, ohne Totalitarist zu sein.Nicht jeder versteht die Sachlogik totaler Herrschaft. Sie entsteht immer aus einer Bewegung, die einer Ideologie schrittweise kulturelle Dominanz verschafft – um am Ende die gesamte Gesellschaft auch regierungsseitig zu unterjochen. Mehrere politische Projekte der Gegenwart weisen das Potenzial auf, zum Element totaler Kontrolle zu werden. Viele Regierungen, die deutsche allen voran, laufen bei ihnen mit, ohne dies zu begreifen. Betrachten wir zwei Beispiele.Digitales ZentralbankgeldEin digitales Zentralbankgeld (CBDC – Central Bank Digital Currency) würde alle Zahlungen zentral auswertbar machen und es im Wege zentraler Programmierung zudem erlauben, ausgewählten Personen oder Gruppen den Kauf bestimmter Produkte und Dienstleistungen zu sperren. Die Benutzung von Finanztransaktionen und dem Zugang zu ihnen als politische Waffe ist auch in westlichen Demokratien nicht undenkbar.2022 sperrte der kanadische Premier Justin Trudeau Fernfahrern die Konten, weil sie an Protesten gegen das Corona-Regime teilnahmen. In Deutschland sehen sich stark regierungskritische Journalisten mit der plötzlichen Auflösung ihrer privaten Bankkonten durch Institute konfrontiert, mit denen sie teils seit Jahrzehnten verbunden waren.Der Republikaner Tom Emmer macht sich in den USA für ein Gesetz stark, das der Federal Reserve – einem Kartell von Privatbanken, das in den USA als Geldgeber letzter Instanz fungiert und oft als Staatseinrichtung missverstanden wird – die Einführung eines „surveillance-style“ („überwachungsmäßigen“) digitalen Zentralbankgeldes verbieten soll. Er verweist dabei explizit auf die Regierung Chinas und ihre Praktik, digitales Geld zur Kontrolle und Bestrafung der Bürger für von ihr selbst definiertes Fehlverhalten zu benutzen.Der Pandemievertrag der WHOEin weiteres Projekt mit totalitärem Potenzial ist der von der weitestgehend privat finanzierten WHO betriebene neue Pandemievertrag. Im Windschatten eines fatalen öffentlichen Desinteresses soll die WHO durch diesen Vertrag und starke Veränderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften zu einer weltweiten Zentralbehörde für Gesundheitsfragen gemacht werden.Den vorliegenden Vertragsentwürfen zufolge will die WHO künftig allein festlegen, was ein gesundheitlicher Notstand – genauer gesagt: ein Public Health Emergency of International Concern (PHEIC) – ist, was die Menschen in den Unterzeichnerstaaten zu tun haben, um auf die Gefahr zu reagieren, und was in diesem Kontext als Desinformation zu gelten hat. Gegeben das enorme Angstpotenzial, das sich in allen Gesundheitsfragen mobilisieren lässt, hätte sie damit faktisch die Macht, die Regierungen weiter Teile der Weltbevölkerung durch zentrale Ansagen direkt zu beeinflussen.Demokraten haben das gemeinsame Interesse, auf totalitäre Tendenzen und Potenziale in der aktuellen Politik zu achten und diese direkt anzuprangern. Dabei sollte aber eine faire Form gewählt werden: „Sie tun X, um dem legitimen Ziel Y zu dienen. Tatsächlich aber leisten Sie damit einer totalitären Politik Vorschub. Lassen Sie mich das erklären: …“ Diese Form der Ansprache zu wählen, sind wir aus Respekt jedem Mitbürger schuldig. Wer sich totalitär gebärdet, muss deswegen kein gesinnungsmäßiger Totalitarist sein.Placeholder authorbio-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.