Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Denn die nächste kommt so sicher wie die Klimakrise. Oder wie die gesundheitlichen Folgen letzterer. Nun hat – im Windschatten von Offensiverwartungen in der Ukraine und Gemüter erwärmenden Heizungspumpen – der Deutsche Bundestag im Mai weitgehend unbemerkt ein Gesetz verabschiedet, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stärken und befähigen soll, ihre leitende und koordinierende Funktion besser auszuüben. Die Bundesregierung will in der internationalen Gemeinschaft zum einen dafür werben, dass mindestens die Hälfte des WHO-Haushalts von den Mitgliedsländern finanziert wird. Bisher kann die Organisation nur über ein Fünftel ihrer Haushaltsmittel frei verfügen, das Gros ihres
es Budgets stammt von Stiftungen wie der von Bill Gates oder privaten Geldgebern und ist zweckgebunden.Zum anderen unterstützt das Parlament das Vorhaben der WHO, ihre Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) zu novellieren und ein internationales Pandemieabkommen zu schließen, um sie zum international führenden Akteur in Gesundheitsfragen zu machen. Alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD stimmten dem Gesetz zu. An diesem Stein, der 2021 international angestoßen und dieses Jahr ins Rollen gebracht wurde, stoßen sich nun jene, die die WHO schon lange in Verdacht haben, das Projekt der biopolitischen Bevölkerungskontrolle zu forcieren und die Souveränität der Staaten auszuhöhlen. Sie befürchten eine „Entgrenzung“ des WHO-Mandats und den unbeschränkten Einfluss von Lobby-Gruppen auf die Gesundheitspolitik.Seit Wochen trommeln sie in den sozialen Netzwerken gegen diese „Ermächtigung“ und die drohende „WHO-Gesundheitsdiktatur“ und überziehen Bundestagsabgeordnete mit gleichlautenden Briefen. Eine Petition, die sich gegen den Pandemievertrag ausspricht, hat über 500.000 Unterschriften eingesammelt, sicher von einer Menge Menschen, die sich tatsächlich sorgen. Zugleich treiben einschlägige, der Querdenker-Szene nahestehende Verbünde die willige Sau nun durchs Dorf, denn wer blickt schon durch, was da verhandelt wird?Die WHO mit ihren intransparenten Finanzen und Strukturen, mit ihrer Lobby-Wirtschaft in Genf und ihren Me-Too-Skandalen eignet sich dafür gar nicht so schlecht. Der Einfluss von Pharmafirmen und die Ungleichbehandlung der Länder des Südens während der Pandemie sprechen Bände. Dass solche Pandemiegewinner nun wieder in die Aushandlungsrunden einbezogen werden sollen, kann misstrauisch machen. Kritisch ist auch zu bewerten, dass der Fokus des Entwurfs, der im kommenden Jahr zur Verhandlung steht, stark epidemiologisch geprägt ist und nicht präventiv. Mit der Verhinderung von Pandemien ist ja auch kein Profit zu machen.Die Besorgnis allerdings, dass die WHO künftig die Politik der Mitgliedsstaaten „diktieren“ könnte, ist kaum begründet. Allein schon deshalb, weil die USA sowieso kein Freund eines solchen Vertrags sind und dahinsteht, ob er in den Ländern je ratifiziert wird. Wirklich besorgniserregend ist allerdings, dass auch in diesem Fall wieder einmal ein zivilgesellschaftliches Anliegen von rechts okkupiert wird. Es gibt viele und sehr gute Gründe, gesundheits- und bevölkerungspolitische Kontrollmaßnahmen kritisch zu begleiten und auch die WHO unter die Lupe zu nehmen. Aber nicht als Karrentreiber der Rechten.