Schon öfter bin ich in Kreuzberg an einem Gebäude vorbeigefahren, das – ursprünglich als Kinderheim gebaut – einen seltsam erratischen Eindruck machte, und mir seine Bestimmung nicht gleich verraten hat. Dabei steht es ja da: Tiyatrom. Bin vielleicht nicht drauf gekommen, weil man „türkisch“ und „Theater“ in meinen Kreisen nur mit dem Ballhaus Naunynstraße und Shermin Langhoffs Gorki-Theater assoziiert. Dabei ist das Tiyatrom eine Westberliner Erbschaft, seit 1984 wird hier Theater gespielt, mehrheitlich in türkischer Sprache, was leider dazu führte, dass der Senat 2007 die Fördergelder strich, weil ein Integrationswillen nicht mehr erkennbar sei.
Nun gibt es wieder mehr deutsche Stücke und ich habe eins davon gesehen, Blackout. Zum Besuch kam ich über Facebook, ein türkischer Freund, mit dem ich Fußball gespielt habe, hatte das Stück annonciert. Tayfun Akçay, Mitte zwanzig, ist Erzieher und Sozialarbeiter, kein Berufsschauspieler, aber er hatte bei RTL einen Problemjugendlichen gespielt, bis ihm das Klischee zu blöd wurde, und war schon als Kind bei König der Löwen aufgetreten. Nun spielte er den Mafiaboss. Hoffentlich kriegen sie genügend Leute zusammen, dachte ich, an mir soll’s nicht liegen. Die Premiere war ausverkauft. Es waren türkische Familien da, ein paar der Frauen mit Kopftuch, viele ohne, es waren schwarze und weiße junge Menschen da, links von mir saßen zwei Teenies, die an den Fingernägeln knabberten, wenn es aufregend wurde, vor mir einer, der wie Mesut Özil aussah und seinem basecaptragenden Kumpel immer wieder vor Begeisterung auf die Schulter klopfte, und wenn eine Szene in Musik aus Mr. Robot oder Social Network endete, stand der Saal auf, applaudierte und tanzte.
Klingt in verdorbenen Ohren nach Kiezfolklore, ist aber einfach nur Theater, das ja einmal der Ort war, wo der Mensch in Schrecken versetzt oder zum Lachen gebracht wurde. Da Blackout eine Tragikomödie ist, passiert beides. Der Plot ist elementar. Zwei, die zusammenwollen, dürfen es nicht: Baris stellt Canan einen Heiratsantrag, ist dabei aber so tölpelhaft, dass er wortwörtlich in einen Albtraum stürzt. Bald findet er heraus, dass seine Geliebte die Tochter eines Mafioso ist. Der Halbsoftie Baris will in der rauen Welt bestehen ...Rituale einer konservativen türkischen Familie werden verarbeitet, geschickt wird das Handy eingebaut. Eine Welt, die das Publikum wiedererkennt. Natürlich nicht 1:1. Die Mafia ist einfach auch ein Symbol für Macht, der Umgang mit ihr erst komisch, zunehmend aber bedrohlich. „Wo stehen wir? Was ist Mut?“ Darum, sagt die Darstellerin Canan Ekşi später, geht es in dem Stück. Für ihre Rolle bedeutet das, dem Vater zu widersprechen. Blackout haben die drei Hauptdarsteller selbst geschrieben; es als Laientheater zu beschreiben, würde zwar der Liebe gerecht, mit der es gemacht wurde, nicht aber der Professionalität. Von den dreien hat Barış Şimşek die größte Erfahrung, er arbeitet auch als Theaterpädagoge. Ihre Passion gilt dem Kinder- und Jugendtheater. Wenn ein Stück im Tiyatrom gespielt wird, ist meistens nur die Premiere voll, sagt Tayfun. Nicht bei Blackout. Es gibt Zusatztermine. Ich zeige ihm die Kommentare zur Premiere auf Facebook. Die Leute wollen zeigen, dass sie wirklich begeistert sind (nichts anderes will auch dieser Artikel). Was der hier schreibt! „Das ist mein Cousin“, sagt Tayfun etwas verlegen. „Der ist aber schwer zu beeindrucken. Gleisbauer bei der BVG. Er will jetzt öfter kommen.“
Info
Nächste Aufführung von Blackout im Tiyatrom (Alte Jakobstraße 12) am 14.5.
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