Lausitz Festival: Komm, Schöpfer Geist

Musik Das Lausitz Festival eröffnet mit Zimmermann und Verdi: In geistlicher Musik erklingt die Hoffnung auf eine bessere Welt
Ausgabe 35/2023
Proben zu Zimmermann
Proben zu Zimmermann

Foto: Daniel Scholz

Dass ein Festival mit zwei geistlichen Werken eröffnet wird – gespielt von der Dresdner Philharmonie und dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brno unter Sylvain Cambrelings Leitung –, ist nicht unbedingt üblich, so wenig wie der Ort, ein Hangar auf einem stillgelegten Militärflughafen in der Nähe von Cottbus, das in die vierte Folge des Lausitz Festivals erstmals einbezogen ist. Giuseppe Verdi hat die Quattro pezzi sacri (1887 – 1897) in der Zeit seiner letzten Oper Falstaff (1893) komponiert. Wir hören auf Lateinisch ein Ave Maria, ein Stabat Mater – das vom Schmerz der Mutter Jesu bei dessen Kreuzigung spricht – und ein Tedeum, und auch das vierte, in der Reihenfolge dritte „geistliche Stück“ ruft Maria an, diesmal italienisch nach Versen von Dante.

Verdi war ein tiefreligiöser Mensch, der an seiner Kirche keinen Halt hatte, denn der gefiel es gar nicht, dass er lange mit einer Opernsängerin in wilder Ehe lebte, bevor er sie heiratete, und noch weniger, dass er sich für die italienische Einigung einsetzte. Seiner Komposition ist es anzuhören: Das ist keine Religion jenseits der Realgeschichte, sondern diese selbst, in der ganzen Disharmonie ihrer Elemente, aber auch in der Hoffnung auf eine bessere Welt. Die im Werk liegenden Spannungen werden oft eher verhalten vorgetragen, hier im Hangar war ihre ganze Expressivität losgelassen. Die letzten Takte deutet das Programmheft als „Fragezeichen“, und tatsächlich sind die Schlussakkorde verhangen und so knapp, dass es nach Abbruch klingt.

Während der Aufführung schaut man schon auf den quer durch den Raum führenden Stahlbalken über dem Orchester, auf dem jetzt, in der Rolle von Dostojewskis Großinquisitor, der den wiedergekehrten Jesus als Ketzer verurteilen will, mit verbundenen Augen Rainer Süßmilch kriecht, immer nahe am Absturz. So die Inszenierung Luk Percevals. Als Sprecher in Bernd Alois Zimmermanns letzter Komposition, vollendet wenige Tage vor dessen Freitod, agiert Süßmilch neben dem Sänger Bo Skovhus, der von einer Empore auf gleicher Höhe die Worte des alttestamentlichen Prediger-Buchs intoniert, die dem im Untertitel Ekklesiastische Aktion genannten Stück den Namen geben: „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ (1970).

Das Stück gehört neben Werken wie Tristan (1973) von Hans Werner Henze zu den Abgesängen auf die 68er-Revolte, die Zimmermann wie Henze zuvor mit Hoffnung begleitet hatten. Ersterer mit Photoptosis (1968), einer Komposition, die den geschichtlichen Moment als Verdichtung vieler vorausgegangener Erlösungs-Anläufe auffasst. Nun ist es wieder nichts geworden. Man hat durchaus den Eindruck, dass der Großinquisitor in Dostojewskis Legende von Jesus Aufschluss und Rettung erwartet, obwohl er ihn angreift, aber Jesus bleibt stumm, und den Kuss, mit dem er einzig antwortet, kann oder will der blinde Mann nicht verstehen.

Jede Folge des Festivals, das an verschiedenen Orten in Brandenburg und Sachsen Konzerte, Schauspiel, philosophische Debatten und mehr umfasst, wird mit einem „Inspirationswort“ benannt, dieses Mal „Hereinforderung“. Was es vielleicht andeuten will, hat dieser Einstieg vergangenen Freitag in Cottbus sinnfällig gemacht: Veni creator spiritus, „Komm, Schöpfer Geist“, wäre wohl ein Synonym. Nachdem Gustav Mahler seine 8. Symphonie (1910) mit diesen Worten begonnen hatte, fragte ein Spötter – Hans Pfitzner – zurück: „Aber wenn er halt nicht kommt?“ Da warf der Weltkrieg schon seinen Schatten voraus.

Lausitz Festival noch bis 10. September 2023

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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