Ostermärsche: Wir können den Frieden gewinnen

Meinung Der Krieg ist der Vater aller Grausamkeiten. Es gäbe Wege, ihn zu überwinden. Aber dafür braucht man ein neues System
Ausgabe 15/2022
Der Rosenmontagsumzug in Köln wurde im Februar kurzerhand in eine Friedensdemo verwandelt. Etwa 250.000 Menschen kamen
Der Rosenmontagsumzug in Köln wurde im Februar kurzerhand in eine Friedensdemo verwandelt. Etwa 250.000 Menschen kamen

Foto: Future Image/IMAGO

Es gibt wieder Ostermärsche für den Frieden. Corona hatte auch sie behindert, jetzt kommen sie zur rechten Zeit. Denn die Bilder von erschossenen Zivilisten in Butscha und anderswo in der Ukraine haben vielfach den Verstand lahmgelegt. Glauben wir ernsthaft, die russischen Menschen seien grausam und führten deshalb einen grausamen Krieg? Es ist doch umgekehrt: Der Krieg als Institution ist der Vater aller Grausamkeiten. Er formt die Generäle, Offiziere und einfachen Soldaten nach seinem Bilde. Seit dem 20. Jahrhundert ist der Krieg noch grausamer geworden. Alle letzten Kriege, egal von welcher Seite geführt, bezeugen es. Es liegt am Krieg, deshalb darf es keinen geben und muss der Krieg aufhören, der gerade geführt wird.

„Die Waffen nieder“ ist nicht unter allen Umständen die richtige pazifistische Losung. Gegen Hitler wäre sie es nicht gewesen. Wer will aber bestreiten, und mit welchem Argument, dass sie sich heute als Frage stellt, wie man den Ukraine-Krieg schnellstmöglich beendet? Die beiden Parteien, die ihn unmittelbar führen, erkennen es ja an, indem sie eine Verhandlungslösung suchen. Wir wissen auch genau, worum da verhandelt wird. Der Hauptpunkt ist die militärische Neutralität der Ukraine. Woran man schon sieht, dass auch wir, der Westen, die NATO, bei diesem Krieg eine Rolle spielen.

Der Westen versucht aber gar nicht, den Krieg zu beenden. Er steigert ihn vielmehr. Dabei kann man die westlichen, auch deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine gar nicht grundsätzlich kritisieren, da die Ukrainer natürlich ein Recht haben, sich gegen die russische Aggression zu wehren. Als seinerzeit die spanische Republik von General Franco angegriffen wurde, wäre es ja auch nicht „links“ gewesen, die Republikaner militärisch alleinzulassen. Von Russlands Präsident Wladimir Putin kann man aber wissen, dass er glaubt, sich eine Kriegsniederlage nicht leisten zu können – eher noch würde er seine Nuklearmacht einsetzen. Das ist nicht mehr die Sowjetunion! Das ist ein kapitalistisches Land wie die USA, deren Militär im Vietnamkrieg kurz davor stand, die Atombombe zu werfen. Solchen Staaten ist alles zuzutrauen. Und es wird sogar behauptet, Putin sei wahnsinnig. Worauf also soll der Ukraine-Krieg hinauslaufen?

Der totale Sanktions-Krieg

Noch bedenklicher als die Waffenlieferungen ist der totale Sanktions-Krieg, der darauf zielt, Russland politisch, ökonomisch und kulturell vollständig zu isolieren. So etwas hat es noch nie gegeben, nicht zum Beispiel, als die USA 2003 den Irak überfielen. Es gibt jetzt eine Unterschriftenaktion mit Erstunterzeichnern aus dem grünen Zentrum Liberale Moderne, die suggeriert, ein sofortiges totales Embargo für russisches Erdgas könne später rückgängig gemacht werden. Aber das widerspricht den sichtbaren Tatsachen: Die Sanktionspolitik des Westens ist auf Ewigkeit angelegt. Wenn das ein Weg wäre, den dritten Weltkrieg vorzubereiten, hätte es Sinn – aber welchen, wenn nicht?

Wie kann der Ukraine-Krieg aufhören? Es reicht nicht zu sagen, er sei ein russisches Verbrechen. Das ist er, aber man muss mehr tun: seine Vorgeschichte analysieren, auch wenn noch so oft behauptet wird, wer analysiere, wolle Wladimir Putin helfen. Es ist richtig, dass Russland Großmachtinteressen durchsetzen will, die nicht mehr in unsere Zeit gehören. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte recht, als sie kürzlich in Moldawien sagte, kein Land sei Russlands Hinterhof, Moldawien nicht und nicht die Ukraine. Da hat sie den richtigen Ansatz.

Zu ergänzen bleibt nur, dass auch die USA keinen Hinterhof haben, in Kuba etwa. Sie haben ihn aber beansprucht, oder etwa nicht? Ja, dieser Großmacht-Anspruch ist „19. Jahrhundert“ – also weg damit! Aber das geht nur auf beiden Seiten oder gar nicht. Wir Friedensbewegten lehnen das ganze System ab, dieses modrige System, das immer wieder kapitalistische Kriege hervortreibt, und nicht nur russische. Zum Beispiel eben den im Irak 2003, den die USA mit nicht vorhandenen irakischen Massenvernichtungswaffen herbeigelogen haben.

Keine Sonderrechte für Russland und USA

Im 19. Jahrhundert gab es Friedenskongresse. Bismarck hat 1878 einen ausgerichtet. Die damaligen europäischen Mächte einigten sich in Berlin auf eine Friedensordnung für Südosteuropa und beendeten so die damalige Balkankrise. Heute kann es nicht darum gehen, Staaten wie Russland und die USA als Großmächte mit Sonderrechten anzuerkennen, sondern sie haben auf alles zu verzichten, worin sie von der UNO-Charta abweichen.

Das heißt konkret, weder Russland noch die NATO dürfen Kriege an der UNO-Charta vorbei führen, wozu sie sich heute berechtigt glauben – und wohlgemerkt: wozu sie sich beide berechtigt glauben. Das ist ja der Grund, weshalb jede Seite die andere fürchtet. Dieser Furcht wegen ist die Ukraine angegriffen worden. Die Einheimischen müssen da einen Stellvertreterkrieg führen. Ein deutscher Bundeskanzler, der helfen wollte, würde einen neuen Berliner Kongress ausrichten.

Stattdessen wird auf den russischen Revanchismus mit Restauration in den westlichen Gesellschaften reagiert. Ewiggestrige möchten uns vom „Unsinn“ der letzten Jahrzehnte befreien: Kohle und Atomkraft sollen weiterlaufen! Vorbild der Konfliktlösung ist wieder der männliche Kriegsheros! Deshalb sind Ostermärsche so wichtig. Wir überlassen dem Krieg nicht das Feld.

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nur heute am Geburtstag von F+

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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