Rabbi Cooper ist der für die Erstellung der Antisemitismus-Liste zuständige Mitarbeiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Er reiste nach Berlin, um die Platzierung von Freitag-Verleger und Chefredakteur Jakob Augstein auf der Liste nochmals zu rechtfertigen. Anlass war ein Streitgespräch im Spiegel vor einigen Wochen, das einen aus Coopers Sicht unbefriedigenden Verlauf genommen hatte. Augstein war es da nämlich gelungen, seine Kritik an der israelischen Regierung plausibel zu machen, und sein Kontrahent Dieter Graumann vom Zentralrat der Juden hatte eingeräumt, dass er Augstein nicht für einen Antisemiten halte. Cooper kam, um zu sagen, er sei doch einer. Gerade nämlich in diesem Streitgespräch habe Augstein die Gelegenheit verstreichen lassen, sich für seine antisemitischen Äußerungen zu entschuldigen. Später gefragt, weshalb er selbst sich einem Streitgespräch verweigere, antwortete er: Er sei dazu bereit, wenn Augstein sich vorher entschuldige.
Was soll man dazu sagen? Man könnte es einen Eiertanz nennen, doch Augstein nimmt die Sache ernster. Er hat sich per Facebook beschwert, so etwas erlebe man sonst nur in totalitären Institutionen. Das ist nachvollziehbar genug. Viele erinnern sich aus SED-Zeiten der Situation totalitären Sprechens: dass die Funktionäre offenkundig unsinnige Dinge sagen konnten, wohl wissend, die Leute mussten es hinnehmen. Zum Beispiel, Rudolf Bahro spioniere für den Westen. Beweis: Sein Buch Die Alternative habe er geschrieben, um dort eingestreute Nachrichten den westlichen Diensten zukommen zu lassen. Bahros Antwort, bei den „Nachrichten“ handle es sich um veröffentlichte, allgemein bekannte wissenschaftliche Empirie, konnte an seiner Verurteilung schon deshalb nichts ändern, weil die Ankläger das selbst wussten.
Es muss nicht Terror sein, der so eine Situation schafft. Im Prinzip reicht ein Machtgefälle. Oder nur der Versuch, eins zu erzeugen, indem man Angst einjagt. So wäre es für Augstein schlimm, als Antisemit dazustehen, er erfährt nun aber, was sein Satz bedeutet, die Regierung Netanjahu führe die Welt am Gängelband: Das sei die Fantasie der jüdischen Weltverschwörung! Es verschlägt einem die Sprache. Auch George W. Bush führte die Welt am Gängelband, als er seinen Krieg gegen Saddam Hussein auf falsche Zeugnisse stützte. Als man darauf hinwies, behaupteten auch Bush-Anhänger nicht, in dem Hinweis werde eine Weltverschwörung suggeriert. Und warum nicht? Weil ihnen die Regeln der Argumentation vertraut waren. Nur um die Politik einer rechten Regierung zu verteidigen, waren selbst sie nicht bereit, solche Regeln zu missachten.
Dr. Küntzel, ein Antisemitismusforscher, der neben Cooper auf dem Podium saß, ging aber noch weiter: Am besten, man traut sich das Argumentieren gar nicht erst zu. „In Deutschland“, sagte er, „kann man sein Verhältnis zu Israel nicht selbst reflektieren,
wenn man sich nicht klar macht, dass die Schuldentlastung eine große Verlockung ist.“ Die Rede ist von der Verlockung, glauben zu dürfen, dass Juden „brutale Verbrecher“ seien. Ich kenne sie nicht, er aber weiß, dass ich sie habe. Um plausibel zu machen, dass eigenes Reflektieren nicht am Anfang stehen dürfe, führt er Sigmund Freud an. Sorry, Dr. Küntzel, Sie fallen hinter die Aufklärung zurück. Ihnen und Rabbi Cooper zum Trotz wird die Kritik an Netanjahu, an der völkerrechtswidrigen Besiedelung des Westjordanlands durch eine Besatzungsmacht nicht mehr aufhören.
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