Im Jahr 2000 gab es weltwei 87 Billionen Dollar Schulden. Im Jahr 2014 waren es schon fast 200 Billionen. „Geht die Welt bankrott?“, fragt deshalb der Spiegel, im Buchladen stößt man auf Titel wie Schulden ohne Sühne? oder Der große Schulden-Bumerang. Nun ist zum Glück auch ein Büchlein von Stephan Kaufmann und Ingo Stützle erschienen; ganz nüchtern legen sie darin die Irrtümer der aufgeregten Debatte bloß.
Letztere fokussiert sich vor allem auf Staatsschulden und folgt der Kanzlerin, die 2008 auf einem CDU-Parteitag ausführte: Mit Staaten sei es wie mit der „schwäbischen Hausfrau“, die ja auch nicht „über ihre Verhältnisse lebt“. Wie Kaufmann und Stützle zeigen, ist dieser Vergleich Unsinn. Denn eine Hausfrau verschuldet sich anders als ein Unternehmen; was Staatsschulden angeht, so muss gefragt werden, ob sie mehr der einen oder der anderen Verschuldung ähneln. Die Hausfrau nimmt einen Kredit auf, um eine Schrankwand kaufen zu können: Das macht sie ärmer, zumal sie Zinsen zahlen muss. Mit dem Kredit jedoch, den ein Unternehmen aufnimmt, wird Produktion ermöglicht und Mehrwert erzielt. Der Staat wiederum verschuldet sich, um Unternehmen das Produzieren zu ermöglichen. Deshalb sind Staatsschulden nur dann ein Problem, wenn sie nicht zur Folge haben, dass der nationale Reichtum wächst. Das illustriert ein Vergleich: Griechenland kam 2010 auf Schulden in Höhe von 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und war insolvent, Japan erreichte 200 Prozent und war solide.
Ein Problem ist die Verteilung dieses Reichtums. Denn es gäbe keine Schulden, wenn es nicht Vermögende gäbe, die ihr Geld gewinnbringend anlegen wollen. Schulden sind solche Anlagen. Wie kann dann gefragt werden, ob „wir“ über „unsere“ Verhältnisse leben? Das tun „wir“ offenbar nicht, denn wenn man vom Reichtum deutscher Bürger alles abzieht, was sie dem Staat verliehen haben, bleiben im Jahr 2014 immer noch 3.430 Milliarden Euro übrig. Warum verleihen die Bürger denn, etwa aus Solidarität? Unübersehbar sind wohl eher die Fälle, in denen sie Geld verleihen, um einfach nur noch reicher zu werden. Denn sie verkaufen überschüssiges Geld und lassen es sich durch Zinsen bezahlen. Das führt zur Frage, wen man eigentlich vor allem beschuldigen soll, wenn tatsächlich einmal ein Staat oder gewöhnliche Bürger über ihre Verhältnisse leben. Dabei möge man sich der Entstehung der Weltfinanzkrise seit 2008 erinnern: Sie begann in den USA, wo Banken Arbeitslosen Kredite aufdrängten, weil sie nicht wussten, wie sie ihr Geld anders anlegen sollten.
Kaufmann und Stützle lösen solche Konfusionen auf nur 90 Seiten im DIN-A-6-Format mit einer klaren, präzisen Argumentation auf. Natürlich können sie dabei ihr Thema nicht erschöpfend behandeln. Die Frage etwa, die sie am Ende aufwerfen, bleibt unbeantwortet: Ob „Staatsschulden nun gut oder schlecht sind“, entscheide sich danach, „wie gut oder schlecht kapitalistisches Wirtschaftswachstum“ sei. Dieses Wachstum macht laut Karl Marx und anderen vor keiner Grenze halt; muss es dann nicht zum Ruin der Ökologie der Erde führen?
Vor allem aber bauen die Autoren eine zentrale Denkbarriere ab, die zur „Identität von Schulden und Vermögen“. Man begreift nun besser das Paradoxon kapitalistischen Geldes, Wert nur in dem Maß zu haben, wie es mit anderem Wert eine Gleichung bildet.
Info
Ist die ganze Welt bald pleite? Populäre Irrtümer über Schulden Stephan Kaufmann, Ingo Stützle Bertz + Fischer 2015, 92 S., 7,90 €
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