Kanzler Olaf Scholz war in Brasília willkommen – Präsident Lula sucht Partner – und wurde dann doch von dessen Ankündigung überrascht, er wolle eine Friedensinitiative zur Ukraine mit China auf den Weg bringen. Zugleich lehnte es Lula klar ab, Munition für deutsche Schützenpanzer zu liefern, die an die ukrainische Armee gingen. Brasilien sei „ein Land des Friedens“.
Zuvor schon hatte Scholz Gleiches bei den Staatschefs Argentiniens und Chiles gehört. Lula bestätigte einmal mehr, dass in einer multipolaren Welt Regionalmächte außenpolitisch souverän sind. Seine Präferenz gilt Lateinamerika, doch ebenso der BRICS-Gruppe mit Russland, Indien, China und Südafrika. Im Vordergrund steht ein neuer Schulterschl
hulterschluss mit den Nachbarländern. Daher der Plan einer Währungsunion mit Argentinien, der für Aufsehen sorgt, auch wenn er vorerst mehr Symbolpolitik bedient. Brasiliens neue Regierung wirbt dafür, zwischen den Staaten des Subkontinents den Dollar durch ein eigenes Zahlungsmittel zu ersetzen. Dazu braucht es zuallererst Rückhalt im eigenen Land, wo die Bolsonaro-Anhänger gegen die neue Regierung offen rebellieren und Obstruktion statt Opposition auf ihre Fahnen geschrieben haben. Anders als während seiner ersten Amtszeit von 2003 bis 2010 kann Lula diesmal nicht von einem weltweiten Rohstoffboom profitieren. Nach den Bolsonaro-Jahren steckt das Land in einer tiefen Krise, sodass es viel Mühe bereitet, Versprechen zu halten und sich gegen eine Phalanx von erklärten Feinden durchzusetzen. Die Armee hält still und steht zur Verfassung, bis jetzt jedenfalls. Die mächtige Bergbau-, Agrar- und Transportlobby hingegen kennt keine Skrupel. Alle halten zur Organisierten Kriminalität keinen übermäßig beeindruckenden Abstand. Mit ein paar Regierungsdekreten – so mutig und so richtig sie sein mögen – ist eine unheilvolle Mischung aus Korruption, Kriminalität und etabliertem Reichtum nicht aus dem Feld zu schlagen.In den Augen vieler Europäer ist momentan nichts wichtiger, als die Vernichtung des Regenwalds im Amazonasgebiet zu stoppen und die Entwaldung auf null zu senken. Gleiches gilt für eine Zerstörung der Savanne Cerrado, wo die Soja- , Zuckerrohr- und Baumwollplantagen mehr als die Hälfte der ursprünglichen Vegetation verkümmern lassen. Das heißt, es muss gegen einen ständigen Landraub, gegen Holzfäller, Schürfer, illegale Siedler und landlose Bauern, gegen ein übermächtiges Agrobusiness vorgegangen werden, das seine Milliardengeschäfte mit allen Mitteln, auch mit Gewalt, verteidigt.Lulas Gesandte auf der COP27 haben jüngst im ägyptischen Scharm El-Sheich für eine neue klimapolitische Offensive geworben, um den Regenwald retten. In der deutschen Politik wurde die Botschaft verstanden. Ein Deal – Schutz des Regenwalds gegen erhebliche Erleichterungen für brasilianische Ausfuhren in die EU – läge auf der Hand. Besser wären laufende Zahlungen aus dem reichen Norden für Schutz und Erhalt der Urwaldfauna, wie es einige Gouverneure Amazoniens fordern.Lulas Regierung hat weiterhin mit starkem Widerstand zu kämpfen – im Staatsapparat, bei der Polizei und Justiz. Im Senat und Abgeordnetenhaus verfügt sie über keine Mehrheit, sondern muss von Fall zu Fall danach suchen, wenn überhaupt. Mächtige Provinzgouverneure verwahren sich mehrheitlich gegen Lula, der freilich während seiner ersten beiden Amtszeiten ein Meister des Kompromisses war. Er kann jetzt für sich werben, wenn er einerseits lokale Bündnisse zustande bringt, zum anderen die nötige Unterstützung aus Europa, von der Weltbank und dem IWF vorweisen kann. Die würde für ihn auch von Nutzen sein, um angesichts der Armut die teilweise vor 20 Jahren aufgelegten Sozialprogramme wieder in Gang zu setzen. Unter Jair Bolsonaro wurden sie eingefroren oder kassiert. Nur kann auch das nur ein Anfang sein. Brasilien braucht eine radikale Bildungsreform, die Millionen von Aufgegebenen und Entwurzelten aus den Slums holt. Viele von denen haben Bolsonaro gewählt, weil er Jobs versprach und den Agrarkonzernen als Arbeitgebern freie Hand im Regenwald wie bei den Savannen lassen wollte.Brasilien verliert seit Jahren an Industrie und lebt zusehends von Rohstoffexporten. Dies umzukehren, hieße, die Deindustrialisierung des Landes zu bremsen, Kapital und Beschäftigung zurückzuholen. Vizepräsident Geraldo Alckmin, zugleich Minister für Industrie, Handel und Dienstleistungen, will eine Industriepolitik betreiben, die umwelt- und klimapolitischen Prioritäten folgt. Sie soll nachhaltig sein und der Biodiversität zum Vorteil gereichen. Nach wie vor bleibt für die Erschließung des Riesenlandes viel zu tun, bis heute dominieren Überlandtrassen und Lastwagen den Verkehr, das Eisenbahnnetz fristet ein Schattendasein. Es massiv auszubauen, allein das wäre ein Jahrhundertprojekt, dem die Mittel fehlten, würde es angegangen. China aus der BRICS-Gruppe wäre ein Sozius, um das zu ändern