Leopard, Abrams & Co: Warum westliche Kampfpanzer keine Wunderwaffen sind
Militär Selbst NATO-Militärs bezweifeln den praktischen Nutzen von Leopard 2 und anderen westlichen Kampfpanzern im Ukraine-Krieg. Sie können schnell zur leichten Beute für den Feind werden. Russland hat extra eine Abwehrwaffe entwickelt
Sind freie Leoparden wirklich die glücklicheren Leoparden?
Foto: Maja Hitij / Getty Images
Die Enttäuschung war riesig. Hatten FDP- und Grünen-Politiker, die Regierungen der Ukraine, Polens und des Baltikums sowie zahlreiche Publizisten und „Experten“ doch über Wochen getrommelt und gefleht, der Bundeskanzler möge „seine“ Leoparden endlich von der Leine lassen und der Ukraine helfen, den Krieg zu gewinnen. Ohne deutsche Kampfpanzer, so ihre Überzeugung, sei eine Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete nicht möglich. Doch als die in Ramstein tagende Anti-Putin-Koalition die erbetenen Angriffswaffen wieder nicht freigeben wollte, weder den französischen Kampfpanzer Leclerc noch den deutschen Leopard 2 noch den US-Panzer Abrams M1, brach ein Shit-Orkan ohnegleichen über die „zögerlich zaudernde
nde“ deutsche Regierung herein. Allein über die deutsche Regierung! Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), zeterte wieder am lautesten und sprach dem vermeintlich Schuldigen, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, nicht nur jede Politikfähigkeit ab, sie beleidigte ihn ganz persönlich: „Rolf Mützenich“, twitterte sie, „ist das Sinnbild aller zentralen Verfehlungen deutscher Außenpolitik. Seine Ansichten von gestern führen in die Probleme von morgen. Er ist nicht mehr in der Lage, sein Weltbild der Realität anzupassen.“Diese Realität ist inzwischen auf schwere Waffen zusammengeschnurrt. Von ihnen erhofft man sich die große Lösung. Und so drückten und drängten die Enttäuschten auch nach der Nichtentscheidung von Ramstein unvermindert weiter. Mit Erfolg: Die polnische Regierung beantragte bei der Bundesregierung mit viel öffentlichem Getöse die Abgabe ihrer Leopard-Bestände an die Ukraine, und schließlich gaben auch Bundeskanzler Scholz und der durch Aktenfunde in seiner Garage bedrängte US-Präsident Joe Biden ihre Zurückhaltung auf und liefern nun die erbetenen Angriffswaffen für die kommenden Schlachten.Panzer können leicht in die Hände des Feindes fallenDie leidige Kampfpanzerfrage war am Ende so aufgeladen und mit Hoffnungen überfrachtet, dass völlig in den Hintergrund trat, warum selbst hochrangige Militärs der Nato den praktischen Nutzen westlicher Kampfpanzer in Zweifel ziehen. Einige Gründe sind bereits genannt worden (der Freitag 2/2023).Die US-Militärs gaben zu bedenken, dass ihr Gerät für oberflächlich ausgebildete ukrainische Panzerkommandanten viel zu kompliziert sei. Westliche Kampfpanzer steigern ihren Einsatzwert vor allem dadurch, dass sie im Verbund mit anderen westlichen Waffensystemen eingesetzt werden. Die Ausbildung müsse deshalb mehrere Waffensysteme umfassen, und das brauche Zeit. Zudem sei der Abrams M1 extrem aufwändig in Unterhaltung (Spritverbrauch) und Reparatur (Ersatzteile). Da eine Super-Waffe immer nur so viel Wert sei wie das schwächste Glied im Verbund, sei zu befürchten, dass die hochmodernen, teuren US-Panzer schon beim ersten Einsatz abgeschossen werden, durch Fehlbedienung liegenbleiben oder dem Feind kampflos in die Hände fallen.Auch die Deutschen argumentierten lange mit dem hochkomplexen Innenleben ihres Leopard-Panzers. Allein vom Leopard 2 gibt es Dutzende Varianten, von den weitverbreiteten älteren Modellen A4 und A5 bis zum neuesten Modell A7+. Kampfwertsteigerungen und Kundensonderwünsche haben über die Jahrzehnte dazu geführt, dass kaum ein Leopard dem anderen gleicht, denn bei der Industrie wird unablässig für viel Geld instandgesetzt, nachgebessert und draufgesattelt. Dass sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erst mal eine Übersicht verschaffen musste, ist also keine billige Ausrede, sondern die Folge einer weitgehend geheimniskrämerisch agierenden, anarchisch produzierenden Rüstungsindustrie.Der Krieg wird mit Raketen und Drohnen geführtEin historisch-politisches Argument kam in Deutschland hinzu. Bilder, die Gefechte zwischen deutschen und russischen Kampfpanzern zeigen, würden – propagandistisch ausgeschlachtet – in Russland für eine enorme Kriegsmobilisierung der ganzen Gesellschaft sorgen. Panzerschlachten bei Charkow wie 1942/43: das wäre der Supergau. Nichts würde die russische Kampfmoral mehr aktivieren und das „vitale Interesse“ Russlands, sich gegen einen „abermaligen Überfall“ zur Wehr zu setzen, mehr stimulieren als deutsche Kampfpanzer an der Ukraine-Front.Frankreich und die USA haben überdies kein Interesse an einem Kampfpanzerwettbewerb unter Realbedingungen. Würden Leclercs, Abrams und Leopards nebeneinander kämpfen, könnten sehr schnell die Vor- und Nachteile offenbar werden, was sich unmittelbar auf die Bestellungen anderer Länder auswirken würde. Der Wettbewerb zwischen Boeing und Airbus könnte sich auf militärischer Ebene wiederholen.Der wahre Grund aber, warum gerade Militärs in der Kampfpanzerfrage so lange hartnäckig Zurückhaltung übten, ist ein anderer: die seit einigen Jahrzehnten rasante Entwicklung bei den Panzerabwehrwaffen. Waren Kampfpanzer im Zweiten Weltkrieg noch die Könige des Schlachtfelds, sind sie in den Kriegen des 21. Jahrhunderts eher die Bauernopfer. Auch der Ukraine-Krieg wird bis heute weitgehend mit Raketen und Drohnen geführt. Auf diesem Feld ist die digitalisierte Rüstungsindustrie ein, wie sie es selbst nennt, „Gamechanger“. Für ihre Killer- oder Kamikaze-Drohnen, sogenannte Loitering Weapons, lauernde Waffen, sind auch moderne westliche Kampfpanzer eine leichte Beute. Sie stürzen, nach Zielerkennung und -fixierung, per Laserstrahl gelenkt senkrecht von oben auf die Stahlkolosse (Top-Attack-System), die dort – wegen schwächerer Panzerung – am verwundbarsten sind.Helden des RückzugsRelativ billige, von einem einzelnen Soldaten tragbare, aus Kanistern per Druckluft zu startende, geräuscharme und per Radar nur schwer zu ortende Drohnen können so einen 15 Millionen Dollar teuren Panzer ausschalten. Dazu kommen Panzerabwehrlenkraketen, die von Jagdpanzern, Kampfhubschraubern, Schiffen oder Drohnen abgeschossen werden und mit ihrer präzisionsgelenkten Munition bis zu 90 Zentimeter dicken Panzerstahl durchschlagen.Die russische Panzerabwehrwaffe 9K123 Chrisantema wurde extra für die Bekämpfung westlicher Kampfpanzer entwickelt. Sie verfügt über eine kombinierte Laser- und Radarsteuerung. Ihre Reichweite übertrifft locker die Reichweiten von Kampfpanzern. Sie kann also Panzer abschießen, bevor sie ins Fadenkreuz gerät. Die Überschallraketen der Chrisantema fliegen mit 400 Metern pro Sekunde, benötigen keinen Sichtkontakt zum Objekt und finden ihr Ziel selbstständig oder werden von einer Minidrohne geleitet.Die Fixierung vieler selbst ernannter Militärexperten auf westliche Kampfpanzer ist also nichts weiter als eine rückwärtsgewandte Illusion. Sie dient vor allem dazu, das eigene Land in einen verlustreichen Krieg zu zerren. Denn Kampfpanzer sind keine Wunderwaffen. Während der deutsche Leopard und der britische Challenger nicht an Kriegshelden erinnern, tragen der Abrams- und der Leclerc-Panzer die Namen bedeutender Generäle. General Jacques-Philippe Leclerc wollte Frankreichs Indochina-Krieg nicht mit Waffen, sondern durch Verhandlungen beenden. Und General Creighton W. Abrams holte 500.000 „US-Boys“ aus der „Hölle Vietnams“ in die Heimat zurück. Leclerc und Abrams waren Helden des Rückzugs.
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