„Fleishman Is in Trouble“: Die Lebenslügen der Fortysomethings

Serie Disney+: Die Serie „Fleishman Is in Trouble“ zeichnet mit Claire Danes und Jesse Eisenberg das Porträt einer Generation der Erfolgreichen, die so anders sein wollten, als sie es in Wahrheit sind
Ausgabe 09/2023
Jesse Eisenberg als Toby Fleishman in „Fleishman Is in Trouble“
Jesse Eisenberg als Toby Fleishman in „Fleishman Is in Trouble“

Foto: Disney+

Die Bettlerin, die ihn vor vielen Jahren in Jerusalem verfluchte, weil sie von seinen Freunden mit ein paar Münzen abgespeist wurde, kann nicht schuld sein an seinem Unglück. Denn Toby Fleishman (Jesse Eisenberg) wehrte den Fluch mit ausreichend Papiergeld ab, worauf ihm die Alte prophezeite, dass er mit seiner Güte die Welt heilen würde. Fleishman wurde Internist. Dass er für einen rechtschaffenen Weg bestimmt sei und seine Zukunft gesichert. Fleishman heiratete und bekam zwei Kinder. Warum also wacht er zu Beginn von Fleishman Is in Trouble (Disney+) als geschiedener 41-Jähriger in einem Apartment auf, für das sich seine Tochter vor der reichen Freundin schämt und in dem er sich als der wertloseste Mann mindestens in New York fühlt?

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Fleishman Is in Trouble ist eine Bestandsaufnahme in acht Episoden. Sie beginnt wenige Wochen nach Fleishmans Scheidung und mit jenem Tag, an dem seine Ex-Frau Rachel (Claire Danes), die in zahlreichen Rückblenden nach wie vor sein früheres Leben bestimmt, plötzlich spurlos verschwindet. Jedenfalls für ihn, obwohl gemeinsame Freunde sie im Park gesehen haben wollen. Schlafend. Rachel ist eine karrieristische Theateragentin, und dass Fleishman nun mit den Kindern alleine dasitzt, passt gut in sein Selbstbild des zweifellos betrogenen Ehemanns, dem für seine rücksichtsvolle Selbstlosigkeit nun die Rechnung präsentiert wird. Als er von seiner Anwältin das alleinige Sorgerecht einklagen lassen will, muss diese ihn jedoch enttäuschen: Das entsprechende Gesetz sei für die Ehemänner gemacht worden. Und er sei in diesem Fall die Ehefrau.

Dass man für Fleishman dennoch kein Mitgefühl empfindet, liegt aber nicht nur am einfältigen Gesichtsausdruck, mit dem Jesse Eisenberg durch die Straßen läuft. Sondern vor allem am lakonischen Kommentar von Fleishmans langjähriger Freundin Libby (Lizzy Caplan), die, selbst verheiratet und zweifache Mutter, als Erzählerin und zugleich am Krisenszenario unmittelbar Beteiligte fungiert. Und je mehr man über Fleishman, Libby und den gemeinsamen Freund und Finanzjongleur Seth (Adam Brody) erfährt, desto mehr gerät Fleishman Is in Trouble zum Porträt dreier großstädtischer Fortysomethings, die ihr halbes Leben damit verschwendet haben, anders sein zu wollen, als sie sind.

Basierend auf dem Debütroman der Journalistin Taffy Brodesser-Akner, die auch einige Episoden geschrieben hat, überzeugt Fleishman Is in Trouble vor allem durch seine gewitzte Erzählung. Valerie Faris und Jonathan Dayton (Little Miss Sunshine) haben drei Episoden verantwortet, doch in erster Linie sind es die von Shari Springer Berman und Robert Pulcini (American Splendor) dynamisch inszenierten Folgen, in denen Fleishman sich seinem neuen Leben stellen muss und ihm seine New Yorker Jewishness immer wieder mal in die Quere kommt. So durchläuft er etwa in der Episode God, What an Idiot He Was! kapitelweise den mehrstufigen Prozess der Selbstheilung – Trauer und Wut gelingen ihm perfekt, nur mit dem Abschließen will es natürlich nicht so recht klappen. Da helfen ihm auch nicht seine vielen Dating-Apps, die ihm plötzlich so viel potenziellen Sex bescheren, wie er ihn nie für möglich hielt.

Dennoch würde man wohl kaum acht Stunden einem reichen New Yorker Arzt beim verzweifelten Versuch zusehen, seine Familienprobleme zu lösen, wären da nicht die Schattierungen, manchmal gar die dunklen Flecken, die sich langsam auf Fleishmans weißer Weste abzeichnen. Wie sieht es aus mit der Eigenverantwortung am vermeintlich fremdverschuldeten Unglück? Und war man tatsächlich jahrelang edel, hilfreich und gut, ohne sich dafür insgeheim eine Gegenleistung zu erwarten? Undank ist nur dann der Welten Lohn, muss Fleishman erkennen, wenn man sich Dank erwartet.

Das eigentliche Zentrum dieser Serie ist indes nicht Fleishman, sondern ein schwarzes Loch. Es heißt Vantablack und ist Teil einer Ausstellung im Naturhistorischen Museum, auf die sich Fleishman den ganzen Frühling gefreut hat und die er sich nun als alleinerziehender Vater ansieht, um sich etwas zu gönnen. Es ist das künstlich erzeugte dunkelste Schwarz der Welt. Zweimal wird er in dieser Serie vor dem tiefschwarzen Tunnel stehen, um über den eigenen Schatten zu springen.

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