Wodka und Völkerfreundschaft

Der Kalte Krieg Nach dem zweiten Weltkrieg war das Misstrauen zwischen Deutschen und Russen groß. Doch Geopolitik machte aus Feinden Verbündete. Das gelang nur mit der Magie von Wodka

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Auf die Freundschaft: Schnapsverkäuferin in einem russischen Park um 1950
Auf die Freundschaft: Schnapsverkäuferin in einem russischen Park um 1950

Foto: Richard Harrington/Three Lions/Getty Images

2004 verbrachte ich den Sommer auf dem russischen Land, in einem Dorf unweit von Zaraisk. Im Dorf lebten nur noch wenige Menschen: die Alten, die nicht mehr weg wollten und die Säufer, die nicht mehr weg konnten. Nur noch die Postfrau ging einer geregelten Arbeit nach. Hier hatte sich die Pateneltern meiner Tochter ein Datscha gebaut. Die Landschaft war von atemberaubender Schönheit und der Sommer zog träge über das Leben hinweg.

Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, einmal im Leben Selbstgebrannten zu kosten. Ein gefährliches Unterfangen, bei dem schon viele ihr Augenlicht, Verstand oder ihr Leben verloren hatten. Wenn du das schon tun willst, sagten meine Gastgeber, dann gehe zu einer Person, der die Leute vertrauen.

Ein Freund empfahl mir eine alte Frau, bei der es einigermaßen sicher sein sollte. Einige Tage später führte er mich zur Hütte der Frau. Es war ein windschiefer Bau, Türen und Wände waren übersät mit alten religiösen Symbolen. Mein Freund hatte der Frau den Besuch des „Deutschen“ Tage vorher angekündigt. Im Dorf nannten mich die Leute „Max“, das allgemein übliche Stereotyp für die Deutschen. Das gehörte zu den absonderlichen Konstanten in meinem Leben: In Russland galt ich immer als Deutscher, in Deutschland dagegen war ich oft der Russe.

Nach einigen Worten, die ich kaum verstand, nahm mich die Frau an die Hand und führte mich auf einen Hügel unweit ihres Hofs. Bis hierher, sagte sie mit einem fast abwesenden Ton, sind die Deutschen damals gekommen, bis hier hin und nicht weiter.

Als wir zurück zu ihrem Haus kamen, hatte mein Freund, ein begnadeter Trinker und Augenarzt zugleich, die erste Flasche schon geöffnet. Mit den üblichen Toasts auf jeden, den man kannte, tranken wir den ganzen Abend. Als uns die Bekannten für die Toasts ausgingen, folgten Deutschland, Russland, die Zaren und Könige, die Präsidenten und First Ladys. An alles kann ich mich nicht mehr erinnern, aber im Rausch des Selbstgebrannten waren die Geschichte und der Hügel vor dem Haus weit entfernt.

Die versöhnende Wirkung von Wodka auf die tiefen Risse in der gemeinsamen Geschichte Deutschlands und Russlands begegnete mir bereits in früher Kindheit. Unsere Familie war 1968 nach Rheinsberg, einer kleinen Stadt nördlich von Berlin, gezogen. Hier arbeitete meine Mutter im damals einzigen Atomkraftwerk der DDR als technische Zeichnerin und Übersetzerin. Die Anlagen waren sowjetischer Produktion.

Die Region beherbergte auch große Garnisonen sowjetischer Truppen. Um das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und den Soldaten zu verbessern, veranstalteten die lokalen Behörden und Parteiorganisationen regelmäßig Freundschaftstreffen, bei denen meine Mutter übersetzte. Sie nahm mich oft auf diese Treffen mit, vermutlich weil sie nicht wusste, wo sie mich sonst hätte lassen sollen. Während meine Mutter in den Kulturhäusern der Garnisonen verschwand, blieb ich meist draußen. Behütet von jungen Soldaten, die nach allerlei exotischen Dingen wie Knoblauch, Mottenpulver und Kernseife rochen, kletterte ich auf allem möglichen Kriegsgerät herum.

Irgendwann holte mich meine Mutter wieder ab und sagte: Nun brauchen sie mich nicht mehr. Erst Jahre später verstand ich, warum: dem offiziellen Teil des Freundschaftstreffens folgte ein generelles Besäufnis. Bekannte, die als Offiziere in der NVA gedient hatten, bestätigten mir, dass dies das unausweichliche Ende jedes dieser Treffen war.

Für Deutsche und Russen muss der Umgang zwanzig Jahre nach dem Krieg nicht einfach gewesen sein. Die meisten Deutschen waren damals unter Hitler groß geworden, hatten den totalen Krieg und dessen furchtbares Ende mit den zerbombten Städten, den Massenvergewaltigungen und der Vertreibung erlebt. Für die Russen waren die Gräuel des deutschen Blitzkrieges kaum etwas, das so leicht zu vergessen war. Nahezu jede Familie hatte Angehörige verloren, sei es als Soldaten oder als Opfer von Kriegsverbrechen, Hunger und Entbehrungen. Diese Millionen Tote hingen wie ein Schatten auf dem Verhältnis zwischen Deutschen und Russen.

Doch Churchills Eisener Vorhang und Stalins Berliner Mauer hatte aus ehemaligen Feinden Verbündete gemacht, die die Narben des Krieges hinter sich lassen mussten. Wenn dies überhaupt jemals gelang, dann war es vor allem der Verdienst dieses klar-flüssigen Getränks.

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