Angst vor Coppola Street View?

Alltagskino Unser Kolumnist Mikael Krogerus hat genug von Musical-Filmen. Jetzt ist es Zeit für einen Klassiker: "The Conversation" und seine Frage, ob man das Hören sehen kann?

Was habe ich gesehen?The Conversation, 1974, Laufzeit: 108 min, von Francis Ford Coppola.

Warum habe ich es gesehen?

Nach zwei Musicals am Stück (für Neuleser: Mary Poppinsund Hair, ersteres kann ich empfehlen, letzteres eher nicht) wollte ich auf Nummer sicher gehen. Also einen Klassiker.

Worum geht es?

Abhörspezialist Harry Caul (großartig: Gene Hackman) wird von „dem Direktor“ (unheimlich: Robert Duvall) und seinem Assistenten (bubenhaft, aber ebenfalls großartig: Harrison Ford) angeheuert, ein Pärchen zu belauschen. Das gestaltet sich als schwierig, denn das Pärchen unterhält sich immer nur zur Mittagszeit in einer großen Volksmenge. Harry Caul zeigt sein ganzes Abhör-Repertoire, um das Gespräch (The Conversation) aufzunehmen. Das Ergebnis: Sie reden belangloses Zeug.

Caul hört sich die Aufnahmen immer wieder an; mit einer an Bessessenheit genzenden Beharrlichkeit. Schließlich dechiffriert er es: Die beiden verabreden einen Mord (der Clou liegt in der Betonung. Lange hört Harry Caul nur: „He'd kill us if he had the chance." Plötzlich versteht er, wie es betont, also gemeint ist: „He'd kill us if he had the chance." Got it? Sie haben also nicht Angst, ermordet zu werden, sondern sagen sich: Er würde uns ja auch umlegen.)
Harry weiß also um den geplanten Mord an den „Direktor“, seinen Auftraggeber und hat furchtbare Gewissensbisse. Er unternimmt aber nichts und wird sogar Zeuge der Tat. Ohne einzugreifen. Am Schluss verstehen wir, dass der Abhörspezialist selber abgehört und nun Opfer seiner eigenen Arbeit wird.

Was bleibt?

Sicherlich die Ruhe, die Langatmigkeit, die Reduktion, die hitchcocksche Unaufgeregtheit, mit der Coppola Überwachung als Drama inszeniert. Der Film handelt von der Angst, gesehen zu werden. Es ist ein merkwürdiger, verstörender Film, der einen daran erinnert, wie albern die deutsche Google-Street-View-Angst ist. Und doch wechselte ich kürzlich die U-Bahn, weil ich (fast) sicher war, dass mir ein Mann schon seit dem Alexanderplatz gefolgt war.

Der Film erinnert (stark) an:

Blow-up von Antonioni. Mit dem Unterschied, dass es um einen Fotografen geht und dass der Film besser ist.

Diese Frage stellt der Film:

Kann man einen Film machen, in dem es ums Hören geht? Also: kann man das Hören sehen?

Der Film in einem Satz:

Es geht nicht darum zu sehen, was noch keiner gesehen hat. Sondern zu denken, was noch keiner gedacht hat über das, was alle sehen.

Was sehe ich als nächstes?

Auf der Suche nach dem besten Actionfilm schaue ich: Sorcerer von William Friedkin.

Unser Kolumnist Mikael Krogerus sieht sich jede Woche eine DVD an oder auch mal eine ganze TV-Serie. Vergangene Woche holte er ein Must aus der Hippiezeit nach: Hair.

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