Das Luxusbuch

Alltagslektüre 52 Bücher in 52 Wochen: Mikael Krogerus verschlang den 722 Seiten-Wälzer "Nobody's Perfect" des genialen, wenn auch geschmacksverirrten Filmkritikers Anthony Lane

Was habe ich gelesen? Anthony Lane, „Nobody's Perfect" target="_blank">Nobody’s Perfect – Writings from The New Yorker“, 2002

Seitenzahl: 722

Amazon-Verkaufsrang: 304.282

Warum habe ich es gelesen? Man kann mir noch lange weiß machen, Printzeitungen zu drucken sei in etwa so sinnvoll wie Höhlenmalereien zu subventionieren – bei der Lektüre von The New Yorker, einer US-Wochenzeitschrift, die so etwas wie „Slow Journalism“ betreibt, merkt man, dass es ein Bedürfnis für einen Journalismus gibt, dessen Horizont über eine gehetzte 140-Zeichen-Twitter-Nachricht hinausreicht. Ein Bedürfnis nach Texten, die sich Zeit lassen, eine Geschichte zu erzählen; die genau hinsehen und nachdenken; die handwerklichen Ansprüchen verpflichtet sind und dabei witzig und kurzweilig bleiben. Natürlich ist das Luxus; Langsamkeit kostet Zeit, Mühe und Geld – aber sie belohnt den Leser mit Qualität. Mitunter ist es also für Schreiber angezeigt, The New Yorker zu lesen, um sich zu vergewissern, wie doch gleich guter Journalismus geht. Letzte Woche, war so eine Woche. Also las ich Anthony Lane.

Wer ist Anthony Lane? Meine Top 5 Lieblingsschreiber beim New Yorker: 1. Calvin Trillin, 2. David Sedaris, 3. Patricia Marx, 4. Anthony Lane, 5. Joan Acocella. Meine Nummer 4, Lane, ist der Filmkritiker seit 1993. Ein Brite. Sehr witzig. Und sehr klug.

Worum geht es? Es ist eine Sammlung seiner besten Filmkritiken aus den Jahren 1993 (Ein unmoralisches Angebot) bis 2001 (Apocalypse Now – Redux).

Was bleibt hängen? Lane hat interessanterweise einen furchtbaren Filmgeschmack. Er mochte Saving Private Ryan, American Psycho – sogar Der Englische Patient. Ihm missfielen Pulp Fiction, Thin Red Line und Forrest Gump. Mit einer hohen Treffsicherheit empfiehlt er Filme, die ich nicht mag, (was mich wirklich fertigmacht: seine naive Lobeshymne auf Das Leben der Anderen). Aber anders als bei Hans-Joachim Neumann – dessen lustfeindliche Filmkritiken in der Zitty, einem Berliner Stadtmagazin, mich irritiert dazu veranlassten, die Filme zu schauen, die er verriss und jene zu meiden, die er lobte – genießt man bei Lane selbst Einschätzungen, die man nicht teilt. Er schreibt gewitzt und genau und völlig unfeuilletonistisch. Zum Beispiel über den Schauspieler Woody Harrelson: "Woody, trying to emote, looks like anyone else trying to go to sleep." Über Forrest Gump: "The movie is so insistently heartwarming that it chilled me to the marrow“. Oder über seine frühere Chefin Tina Brown: "I was sitting in London when she called me on the phone...I think I actually stood up to receive it, much as I would if a letter had come from the Vatican." Man muss ihn bewundern für seine Fähigkeit, vier Seiten über Showgirls zu schreiben, ohne zu langweilen. Und für seine brillanten Einstiege: „Despite a diligent search, I have yet to meet anyone who has not enjoyed Rushmore“ (über den Wes-Anderson-Film Rushmore).

Wie liest es sich? Das Buch hat 722 Seiten. Eng bedruckte Seiten. Es wiegt so viel, dass man bei Sicherheitskontrollen am Flughafen Probleme bekommt. Und trotzdem: ich las es ohne Mühe im Laufe einer Woche, so unterhaltsam schreibt Lane.

Das beste Zitat (Über Showgirls, den miserablen Paul-Verhoeven-Film): „Showgirls requires that Berkely (die Hauptdarstellerin) spend at least half her time topless, and it could be argued (…) that her breasts are more expressive than her face.“

Wer sollte es lesen? Hans-Joachim Neumann.

Was lese ich als nächstes? „Mein Name ist Bond… James Bond“, Roger Moore.

Die Alltagslektüre: In seiner Kolumne unterzieht Freitag-Autor Mikael Krogerus jede Woche ein Buch seinem persönlichen Lese-Check. Zuletzt: John Ajvide Lindqvists "So finster die Nacht"

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