Ich weiss nicht, woran Sie dachten, als Toni Kroos das 2 : 1 gegen Schweden in den Winkel schweißte, aber ich dachte an Uli Hoeneß.
Im Champions-League-Finale 2012 hatte der damals 22-jährige Toni Kroos – eigentlich ein hervorragender Schütze – seinem Trainer Jupp Heynckes gemeldet, dass er im Elfmeterschießen lieber nicht antreten wolle. Er fühle sich nicht gut, er habe ja schon im Halbfinale gegen Real Madrid verschossen. Heynckes, ein erfahrener Trainer, wusste, dass man jetzt nicht versuchen darf, den Spieler zu überreden. Elfmeterschießen ist keine Frage des Willens, es ist eine des Selbstvertrauens.
Kroos tat lediglich etwas, was wir alle viel zu selten tun: Er sagte Nein zu etwas, das sich nicht richtig anfühlte. Die Bayern verloren das Elfmeterschießen gegen Chelsea und damit das Finale. Es ist nicht überliefert, was genau danach geschah, aber ich stelle mir das so vor: Uli Hoeneß schrieb sich in sein Büchlein: Kroos drückt sich vor der Verantwortung. Im Jahr darauf holte Bayern das Triple, Kroos fehlte in den entscheidenden Spielen aufgrund einer Verletzung, Hoeneß notierte: geht auch ohne ihn. In der Saison darauf kam der Fußballintellektuelle Pep Guardiola, und bei ihm war die Passmaschine Kroos natürlich gesetzt; Guardiola zog ihn von der 10 über die 8 zurück auf die 6, er sah in ihm nicht einen Spielmacher, sondern einen Taktgeber.
Im Frühjahr 2014 dann klopfte Kroos mit seinem Berater bei der Bayernführung an und wollte mehr Geld. Dort aber war man nicht bereit, für ihn die Gehaltsstrukturen zu verschieben. Vielleicht, weil Kroos jetzt der Mann für den vorvorletzten Pass war, also fast unsichtbar für den oberflächlichen Betrachter. Vielleicht, weil man ihm das 2012er-Elfmeterschießen nachtrug. Vielleicht, weil seine emotionslos wirkende Art ihnen nicht passte. Wie dem auch sei, Kroos unterschrieb bei Real Madrid, und was seither geschah, ist bekannt: Der FC Bayern stagnierte, Innovatoren gingen verloren (Pep Guardiola, Michael Reschke, Matthias Sammer) oder wurden erst gar nicht angestellt (Thomas Tuchel, Julian Nagelsmann), während sich Toni Kroos zeitgleich bei Real zum besten 6er der Welt entwickelte.
Als Kroos also den Ball letzten Samstag in der 95. Minute in den Winkel schweißte, da musste ich an Uli Hoeneß denken: Wie kommt es, dass jemand, der sich so gut im Fußball auskennt, sich in einem Spieler so täuschen kann?
Und auf uns alle übertragen: Wer sind die Menschen, die wir in unserem Leben falsch eingeschätzt haben? Und wäre heute vielleicht der Tag, es ihnen zu sagen?
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