Du bist nur Deko

Alltagssexismus „Ein alter Mann kommt ganz nah an Giovanna ran und schnüffelt an ihr. Dann fragt er, welches Parfüm sie benutzt.” Wie es ist, als Messehostess zu arbeiten.

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Geistige Dauerunterforderung: posieren
Geistige Dauerunterforderung: posieren

Foto: privat

Zehn vor sechs. Mein Wecker klingelt. Ich bleibe den Regeln des Erasmus-Austauschprogramms für Studierende treu, also liegen. Den Großteil der Nacht habe ich damit verbracht, YouTube-Videos von Hostessen auf Motorshows anzuschauen. Das lässt sich mit ein bisschen Wohlwollen als Recherche bezeichnen. Denn heute ist mein erster Tag als Hostess in Italien.

Lange habe ich überlegt, ob ich das wirklich machen soll. Ob ich das wirklich machen will. Denn ich bezeichne mich als Feministin, auch wenn ich der Emma-Redaktion mit fünfzehn mal beleidigt eine Mail geschrieben habe; auch wenn ich in Stripclubs gehe und „Pussy“ manchmal als Schimpfwort benutze. Mit dem Feminismus halte ich es wie die Autorin Chimamanda Adichie: “Feminist: A person who believes in the social, political and economic equality of the sexes”.

Ich bewerfe auch Männer gerne mit fettigen zerknitterten Fake-Dollarscheinen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Kurz gesagt: Ich bin weit davon entfernt, Feminismus „eklig“ zu finden, wenn ich hier mal meine Ex-Kommilitonin zitieren darf. Also warum ausgerechnet dieser Job? Ganz einfach: Ich wollte wissen, wie das so ist. Wie fühlt es sich denn an, nur die Dekoration für ein Produkt zu sein? Wenn man den ganzen Tag angestarrt wird als sei man ebenfalls käuflich?

Es war mein zweiter Tag in Italien, als ich gefragt wurde, ob ich als „Standista” auf Auto- und Motorradmessen arbeiten wolle. Ich hatte meinen Koffer noch nicht ganz ausgepackt und konnte kaum Italienisch. Jetzt, sechs Wochen später, stehe ich völlig verklatscht vor dem Badezimmerspiegel und meinem ersten Problem: Rasur. Zwischen neandertaler-pelzig und chemotherapie-glatt gibt es ein breites Spektrum, in dem jede Frau finden kann, was ihr gefällt. Ab jetzt geht es aber nicht mehr darum, was mir persönlich gefällt. Gut, dass die Messe in Norditalien stattfindet und schon Herbst ist, also reichen Nylonstrümpfe als Kompromiss. Ich habe mir genau ein einziges Mal in meinem Leben die Beine rasiert, weil in der Bravo Girl stand, dass ich das machen muss. Glücklicherweise habe ich danach bessere Lektüre für mich entdeckt.

Duschen, schminken, schwarzes Kleid geht immer, raus aus Wohnung. Vor dem Dragon Pub wartet schon der Fahrer, Antonio. Er ist klein und rundlich, hat eine Oliver Welke-Stirnglatze und walsersche Augenbrauen. Wir fahren los; noch ist es stockdunkel. Zwischenzeitlich ein klassisch italienisches Frühstück: Halbes Hörnchen und starker Espresso im Stehen, damit man auch ganz sicher fünf Stunden vor dem Mittagessen wieder Hunger hat. Stefano, der Chef der Oldtimer-Werkstatt, und zwei Frauen betreten das Café. Giovanna ist 23, Oriana 29 Jahre alt und beide arbeiten heute mit mir auf einer Auto- und Motorradmesse zwischen Bologna und Mailand. Außer Giovanna versteht niemand auch nur das kleinste bisschen Englisch. Aber ich bin ja auch zum Italienischlernen hier. Am Telefon hatte mir Stefano versichert, dass meine noch geringen Sprachkenntnisse gar nichts ausmachen werden, denn ich sei ja nicht zum Reden da. Die einzige klare Anweisung: Ich solle ein Minikleid anziehen. „Aber nicht zu kurz“, hatte Stefano hinzugefügt, als er in seiner Klischee-Werkstatt mit Porno-Postern an den Wänden arbeitete. „Du bist ja keine Prostituierte.“ Mit einem Grinsen, das das Gegenteil bedeutete, drückte er mir hundert Euro Lohn-Vorschuss und die Telefonnummer des Fahrers in die Hand.

Auf der Fahrt zum Messegelände diskutieren Antonio und ich über die Aussage meines Italienischlehrers, Berlusconi fresse Geld. So gut man als Sprachanfängerin eben diskutieren kann. „Berlusconis Problem sind die Frauen“, ruft Antonio verteidigend. Ich dachte immer, es sei genau anders herum. „Berlusconi ist albern, er ist ein Kind!“, fährt Antonio fort. „Ja, er frisst Geld, aber immerhin sein eigenes! Die Linken fressen das Geld des Volkes auf, Mario Monti ist nicht besser!“ Die Sonne geht auf, die Autobahn will nicht enden, Antonio redet sich in Rage. Mein Körper will schlafen, das Koffein sagt Nein. Warum kann ich mir diese zwei simplen Dinge nie merken: Dass ich Kaffee nicht vertrage und Politik kein Smalltalk-Thema ist.

Wir kommen auf dem Messegelände an. Das Logo unserer Oldtimer-Präsentation ist eine Damsel in Distress, die beschämt in ihrem kaputten Auto sitzt, während genau unter ihr ein Mann herumschraubt. Das Ganze sieht aus als hätte man Akif Pirinçci und Eva Hermann mit Buntstiften, Pappe und ohne Vorgaben in einen Raum gesperrt.

Bevor die Besucher ankommen, nutze ich die Zeit, um über das Messegelände zu tigern. Besonders die Motorräder haben es mir angetan: Ducatis natürlich, BMWs, schicke Harleys von 1955. Die meisten Leute, die auf der Messe arbeiten, sind männlich und begrüßen mich überschwänglich. „Es ist selten, dass sich Mädchen für Motorräder interessieren“, behauptet ein Verkäufer verblüfft. Aha. Dass ich die Sprache so schlecht beherrsche, macht tatsächlich keinen großen Unterschied. Erwünscht ist sowieso nur: Nicken und lächeln. Zehn Stunden lang.

Giovanna und Oriana sind auch keine Berufs-Hostessen. Sie studieren beide Sozialwissenschaft in Bologna. Heute Morgen haben sie sich mit der Kleiderwahl abgesprochen, außerdem schlüpfen sie gerade in 15-Zentimeter-High Heels, in denen sie nur von einem Auto zum nächsten laufen können, ohne sich die Knochen zu brechen. Ich komme mir leicht verarscht vor, aber das ist hier ja kein Schönheitswettbewerb und ich muss lediglich das Wochenende überstehen, ohne dass mein gekünsteltes Lächeln entgleist. Chef Stefano kommt vorbei und kommentiert die Laufmasche in meinem Strumpf. Ich Dummchen bin nämlich beim Posieren an der Autotür hängengeblieben. Jep, das sind jetzt meine Probleme. Nicht EU-Politik, Sexismus, Bafögbescheide, Deadlines oder Creditpoints, nein, meine Schminke, mein Lächeln und die Laufmasche in meinem Strumpf. Die vier Automobile, die wir dekorieren, sehen auch so cool aus: Glänzender Lack, Ledersitze, Baujahre in den 1940ern und 1950ern.

Apropos alte Jahrgänge: Natürlich fragen uns alte Männer, ob wir Fotos mit ihnen machen möchten und wir tun so als fänden wir das ganz toll. Ein Typ fotografiert einmal unsere Gesichter und einmal nur unsere Beine. Jeder der Herren macht den gleichen Witz: „Ich bin ja nuuuur wegen der Autos hier, hihi.“ Oriana raucht Kette, Giovanna posiert, mir ist langweilig. Ein alter Mann kommt ganz nah an Giovanna ran und schnüffelt an ihr. Dann fragt er, welches Parfüm sie benutzt.

Wenn es eins gibt, das schlimmer ist als Männer, die denken, sie könnten sich alles erlauben, dann sind es Männer, die denken, sie könnten sich alles erlauben in Uniform. Egal, ob Militär, rotes Kreuz oder Feuerwehr, alle finden sich total attraktiv und scheinen davon überzeugt zu sein, dass wir das auch so sehen. Oriana schaut zum fünften Mal ein Handyvideo an, das sie eben erst von sich selbst gemacht hat: Sie sitzt in einem der Ausstellungsautos, drückt die Hupe und lacht sich kaputt. Die Oriana von jetzt lacht über sich vor zehn Minuten wie sie über sich selbst lacht. Ich verliere den Glauben an das Gute im Menschen… und das noch vor zehn Uhr. Ein Aussteller fragt, ob man mich auch kaufen könne, als ich wissen will, wie viel eines seiner Motorräder kostet. Genervt gehe ich zurück an meinen Platz. Doch jetzt starre ich zurück, beobachte die Besucher und stelle Vermutungen über ihre Lebensumstände auf. Die reichen Männer erkennt man an ihrer geschmacklosen Kleidung. Die Frauen der reichen Senioren fragen uns Hostessen meist herablassend-spöttisch, ob uns denn nicht kalt sei. Nur eine Motorradrennfahrerin und die Putzfrauen sind ohne offensichtliche Hintergedanken freundlich zu uns. Marco, der Automechaniker, dem wir die schönen Oldtimer und damit unsere Jobs zu verdanken haben, kommt mit verliebtem Blick auf uns zugelaufen, hüpft über die Absperrung und schließt seinen Ausstellungsmotor in die Arme, auf dem ein metallisches „unverkäuflich“-Schild angebracht ist. Zärtlich streichelt er sein Meisterwerk.

Richtig leid tun mir die kleinen Jungen, die mit ihren Vätern hier sind. Vielleicht werden sie irgendwann neben einer Frau aufwachen, die gerade keinen Bock auf Schminke, High Heels und Beinrasur hat. Und dann werden sie sich betrogen fühlen. Weil die Dekoration keine Dekoration mehr sein will… und sich auch noch erdreisten wird, ihnen zu erzählen, sie sei nie eine gewesen.

Weil es zu nieseln beginnt und viele Italiener auf Regen reagieren wie andere Menschen auf Säure, packen die ersten Aussteller ein und wir können früher nach Hause fahren. Mir ist schlecht von den Autoabgasen, die ich den ganzen Tag lang eingeatmet habe. Der Rückweg über die Autobahn macht es nicht besser. Doch der Abendhimmel liefert ein Farbenspiel wie ich es lange nicht mehr gesehen habe. Blaulila zu Rosarot zu Orangegelbgold. Ein ganzer Tag rum. Vergeudet mit künstlichem Lächeln. Mir fallen gleich die Augen zu. Giovanna zückt ihr Handy und fotografiert den Sonnenuntergang für ihre Facebook-Freunde.

Sechs Uhr. Hä, Moment, ich habe doch gar nicht geschlafen! Ach, Mist. Duschen, schminken, losgehen, Antonio treffen, fünf Minuten frühstücken, auf zur Motorshow. Heute ist das Wetter besser, doch in Messehalle 4c immer noch kalt, darum trage ich Wollkleid und Lederjacke. Ein Greis um die achtzig sagt, mein Körper sei super zum Kindermachen, leider könne er dabei nicht mehr behilflich sein. Giovanna übersetzt mir das und ich versuche, nicht ganz so angeekelt zu gucken. Die hirnlose Arbeit ödet mich inzwischen so an, dass ich in Gedanken die Quizshow „Ehefrau, Geliebte oder Tochter?“ spiele, denn einige reiche Sugardaddys haben blutjunge, Designerkleidung tragende Damen dabei, die kaum verbergen können, dass sie sich gerade zu Tode langweilen.

Mechaniker Marco hat soeben sein teuerstes Auto verkauft. Stefano lässt den Sektkorken bis zur Hallendecke fliegen. Weil ich kaum etwas gegessen habe, bin ich nach drei Gläsern rotzbesoffen. Marco öffnet die zweite Flasche, Giovanna flirtet ein bisschen mit ihm, Oriana raucht und trinkt und schaut auf ihr Handy. Ich frage mich, warum ich mir nicht schon um sieben Uhr die Kante gegeben habe, denn betrunken ist dieser Job viel erträglicher. Marco lässt Giovanna stehen und umarmt wieder seinen Motor, Jahrgang 1935, wunderbar restauriert. Irgendwie schaffe ich es, mit Notizen machen und von einem Auto zum nächsten zu gehen, die restlichen zwei Stunden totzuschlagen.

Jetzt weiß ich also wie der Job als Hostess ist: Hirnlos, öde, besoffen okay. Aber was habe ich gelernt? Antwort Tag eins: Wie man jemanden, den man absolut unattraktiv findet, anlächelt als sei man scharf auf ihn. Dass Frauen mit Vaterkomplexen auf Motorshows gehen sollten, um allein schon vom traurigen Anblick geheilt zu werden. Antwort Tag zwei: Golduhren machen Männer nicht attraktiver. „Du bist so mager“, soll ein Kompliment sein. Und: der Druck, der beim unfeinen Sektrülpser entsteht, lässt sich in Energie für ein falsches Lächeln umwandeln.

- Auszug aus Mirjam Kay Krueckens Italien-Notizen im Herbst 2015 auf CyberpunkJournalism.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

MirjamKay

MKAY | Autorin und Journalistin | Kultur & Politik | Insta: @mkay.writer

MirjamKay

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