Wie Medien über Flucht berichten: Es bleibt skandalös

Meinung Es wird immer häufiger am Recht auf Asyl gerüttelt. Trotzdem wird noch zu unkritisch über Flucht und Vertreibung berichtet, meint unser Autor
Polizist bei der Kontrolle eines Vans an der deutsch-polnischen Grenze, Oktober 2023
Polizist bei der Kontrolle eines Vans an der deutsch-polnischen Grenze, Oktober 2023

Foto: Jens Schlüter / AFP via Getty Images

Seit Wochen kippt die Lage an der östlichen Grenze Deutschlands, in Sachsen und Brandenburg zum Beispiel, in ein absurdes deutsches Selbstgespräch, das die Realität vollkommen ausblendet und Schutzsuchende entmenschlicht. Eins zu eins wird diese Debatte, die sich abermals hierzulande wiederholt, in den meisten Medien wiedergegeben. Dabei beteiligen sich Redaktionen wegen politischer Einstellungen oder Voreingenommenheit in einigen Chefredaktionen, oder aus falsch verstandener Binnenpluralität in den Medienhäusern an der pauschalen Andersmachung von Geflüchteten.

Aus welchem Grund es letztendlich passiert: Es bleibt eine Schande für unseren Berufsstand.

An den deutschen Grenzen zu Tschechien und Polen werden seit einigen Wochen jeden Tag Dutzende von Flüchtenden von der Polizei aufgegriffen. Aus diesen relativ niedrigen Zahlen basteln alle Parteien (ohne Ausnahme) „eine Flut“, „eine Überforderung“, „Massenmigration“ oder direkt „eine Gefahr für die Demokratie“.

Dieses Wording wird von zu vielen Journalist*innen unkritisch übernommen, in Interviews nicht problematisiert, in Kommentaren gerne aufgegriffen. Allein die Wortwahl ist vielsagend: durchweg ist von „Migranten“ die Rede, selten von Geflüchteten. Das klingt fast so, als würden sich gefährdete Menschen freiwillig auf eine kleine Spritztour begeben, bei der viele von ihnen nun mal mit ihrem Leben bezahlen – so als könnten die Stimmungen der Beitragszahler*innen, Abonnent*innen oder Leser*innen gegen das Menschenrecht auf Asyl aufgewogen werden.

Die hyperaktive Polizei

Medien, und das ist skandalös, übernehmen dieses ideologisch aufgeladene und flüchtlingsfeindliche Narrativ teilweise ungefiltert, geben dabei noch eine Runde aus in Sachen unreflektiertem Informationsfluss, der im Journalismus eigentlich keinen Platz haben sollte.

Mitten in dieser medialen Stimmungsmache gegen Schutzsuchende spielen Polizeibehörden und Polizeigewerkschaften nämlich ihr eigenes Spiel. In öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern, aber auch auf großen Nachrichtenplattformen werden seit Wochen Statements und Videos von der Polizei mit wenig Kontextualisierung verbreitet. Bilder werden gezeigt, wie Beamt*innen Geflüchtete, unter ihnen oft Familien und Minderjährige, in Wäldern oder am Rande von Landstraßen aufgreifen. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit haben diese Schutzsuchenden nicht zugestimmt, dass ihr Leid vor einem Millionenpublikum für die polizeiliche Agenda instrumentalisiert wird.

Dafür, dass die Polizei vehement dagegen ist, dass man sie bei ihren Einsätzen filmt, zeigt sie sich sehr hyperaktiv, Redaktionen mit voreingenommenem Material zu füttern. Das gilt auch für jene Kamerateams und Reporter, die auf der Rückbank der Polizeiautos mitfahren. Am Ende sind es Bilder, die von den Sicherheitsbehörden kontrolliert werden und die ein bestimmtes Narrativ unterstreichen sollen.

Noch mehr Grenzen, noch mehr Frontex?

Garniert werden die Aufnahmen von den erschöpften und verängstigten Flüchtenden oft mit Forderungen von Gesetzeshütern, die am liebsten das Gesetz abschaffen wollen: Es wird schamlos und immer heftiger am Recht auf Asyl gerüttelt. Obergrenzen für Geflüchtete, Gefängnisanlagen an den Außengrenzen oder Pushbacks sind längst nicht nur diskursiv normalisiert, sie passieren an den Innen- und Außengrenzen der EU tagtäglich.

Zum Glück gibt es noch jenen Recherche-Journalismus, der kritische Fragen stellt und diese Missstände aufwändig aufdeckt, aufzeigt, wie die EU-Abschottungspolitik Flüchtende in die Hände von gierigen Schleuserbanden treibt. Dennoch stellt sich regelmäßig einer von den bekannten Polizeigewerkschaften, den man auf kurzen Wegen für Interviews anfragen kann, vor Kameras und fordert: mehr Grenzen, mehr Abschreckung, mehr Frontex. Und es bleibt die Frage, wie viel mehr davon kann man den Bürger*innen eigentlich noch auftischen und so tun, als ob diese die Lösungen für Probleme sind, die eigentlich an anderer Stelle entstehen? Redaktionen, die sich journalistisch unvoreingenommen mit den Themen Flucht und Migration auseinandersetzen, laden keine Polizeigewerkschaften als Stichwortgeber ein.

Perfide ist bei dieser Verschränkung von unkritischem Journalismus auf der einen und ideologisch-politischer Kommunikation auf der anderen Seite immer, wenn so getan wird, als stünde das Wohl der Schutzsuchenden im Mittelpunkt. „Den Schleusern das Handwerk legen“, heißt es oft. Als ob bedrohte Menschen aufhören würden, sich in Sicherheit zu bringen, wenn erbarmungsloser Law-and-Order-Sprech weiter unkritisch Sendeplätze auf allen Kanälen eingeräumt bekommt.

Mohamed Amjahid, Journalist und Autor. In seinen Büchern Unter Weißen (2017) und Der weiße Fleck (2021) sowie seiner setzt er sich mit Rassismus auseinander.

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