Warum 70-85 Prozent für Luther sind

Kommentar Pro Reformationstag sprechen gute Gründe. Auch die „Geburtsstunde der deutschen Öffentlichkeit“ und das hohe Gut Gewissensfreiheit sind einen bundesweiten Feiertag wert.

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In diesen Tagen, im Märzen vor 500 Jahren, erschuf Luther die deutsche Öffentlichkeit. Indem er damit begann, ein theologisches Fachproblem für Laien zu erklären. Das ist auch die Geburtsstunde der deutschen „Zeitung“ und des deutschen Pressewesens. Ja, der Beginn der Öffentlichkeit und des öffentlichen Diskurses generell, an dem jeder sich beteiligen soll und darf, der sachlich begründet etwas zu sagen hat.

Dass mit Luthers Reformation erstmals die neue gesellschaftliche Sphäre mit (Drucker-)Presse und Öffentlichkeit entsteht (vgl. Fred Langer, GEO Geschichte, Luther: Deutschlands erster Mutbürger) ist ein zusätzlicher Grund, warum der Reformationstag einen guten Feiertag abgibt.

„Dieser Feiertag passt zu Deutschland“, hieß es im Tagesspiegel. Themen wie Bildung, Sprache, soziale Fürsorge sind mit dem Tag verbunden. Und noch eine ganze Menge mehr. Sodass der Reformationstag, auch neben dem rein religiösen Gehalt, einen gut gefüllten weltlichen Feiertag darstellt.

Der Norden macht den Anfang

Schleswig-Holstein ist Vorreiter und hat als erstes Bundesland im Westen den Reformationsfeiertag eingeführt. Andere Bundesländer folgen. Und tatsächlich wäre dem Ereignis schon angemessen, dass es ein bundesweiter Feiertag wird. In der Reformation wird Deutschland zur Kulturnation, zur Bildungsnation, der Grundstein zur Wissensgesellschaft wird gelegt.

Auch wenn heute Landtagsabgeordnete (oder früher zum Beispiel Wehrdienstverweigerer) sich auf eine Instanz namens „Gewissen“ berufen können, hat das viel mit Luther zu tun. Luther hat das „Gewissen“ in Deutschland eingeführt, steht in manchem Ethik-Handbuch. Das gilt philologisch. Und es gilt für die allgemeine Etablierung als Instanz. Wofür Luthers mutiger Auftritt vor dem Wormser Reichstag 1521 die Initialzündung gab.

Schade ist daher, wenn manches katholische Büro Vorbehalte gegen den Reformationsfeiertag formuliert. Eigentlich ein Unding und kein Zustand im Land der Reformation.

Hier wäre doch wünschenswert, dass die Ökumene weiter ist.

Luther auf dem Wege

Als Luther die Öffentlichkeit erschuf, war er noch auf dem Weg zur Reformation.

Im März 1518 wendet er sich mit einer kurzen Erklärschrift an ein denkbar großes Publikum. Viele weitere Flugschriften sollten folgen. 20 Auflagen erreichte schon die erste Schrift. Die ersten großen Bestseller entstehen.

Vorher gab es nur eine recht begrenzte Öffentlichkeit, z.B. in Briefnetzwerken der Gelehrten. Und alles in der exklusiven Elitensprache Latein. Mit seiner Schrift „Von Ablass und Gnade“ vom März 1518 erklärt Luther seine 95 Thesen (die zunächst ja ebenfalls noch auf Latein verfasst waren) – ganz neu: für Laien. Und: auf Deutsch.

Für seine deutschen Schriften wurde er zuerst milde belächelt oder kritisiert. Doch das entstehende Flugblatt- und Flugschriften-Wesen war der Startschuss für die bis heute wichtige „öffentliche Sphäre“, für die Zeitungs-Kultur (Zeitung verstanden als Nachricht, Unterrichtung), und somit langfristig für die Presse, wie wir sie heute kennen (Stichwort Medienereignis Reformation).

Luther fand Resonanz und, wie sich spätestens bei seinem umjubelten Einzug beim Wormser Reichstag zeigte, große Zustimmung.

Das gilt bis heute.

Luther muss sich nicht verstecken

Denn auch Anfang März 2018 ist eine große Mehrheit für den Reformationstag als dauerhaften Feiertag. Wie schon in früheren Umfragen sprechen sich an die 80 Prozent für den 31. Oktober als arbeitsfreien Tag aus. Das hat eine Umfrage der Nord-West-Zeitung ergeben.1

Das Stimmungsbild wird sicher in den vier Nordländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen mit Interesse aufgenommen, wo der Feiertag ja bereits dieses Jahr eingeführt werden soll. Aber auch in Berlin, wo sich bei der Feiertagssuche zeigt, dass ein ähnlich gewichtiger Feiertagsanlass gar nicht so leicht zu finden ist, oder in Hessen, wo die Parteien nach Gewinnerthemen für die nächste Landtagswahl Ausschau halten, dürfte das Ergebnis Beachtung finden...

Keine evangelische Privatveranstaltung

Nach Adam Riese sind unter den 70-85 Prozent Befürwortern nicht wenige Katholiken, was zeigt, dass das „Ereignis von Weltrang“ (wie es im überparteilichen Beschluss des Deutschen Bundestags zum 500. Reformationstag 2017 heißt), keine protestantische Privatveranstaltung sein sollte oder ist. Gerade an der Basis wird eine Abwertung des Reformationstags als „unterirdisch“ bezeichnet und erlebt. Unverständlich, wenn hier die katholische Seite einseitig den ökumenischen Pfad verlässt und die ausgestreckte evangelische Hand ausschlägt. Insbesondere nach der ganz in ökumenischem Geist begangenen 500-Jahr-Feier. (Der 31. Oktober steht inzwischen immerhin auch für die Unterzeichnung der katholisch-evangelischen „Gemeinsamen Erklärung“ von 1999). Man verlöre also einen ökumenischen Feiertag und gewönne dabei – nichts.

Andere argwöhnen, der Reformationstag könnte zu Selbstbeweihräucherung führen. Doch man muss ja nur die bundesweiten Feiern am 31. Oktober in 2017 und im gesamten Jahr 2017 anschauen, um diese Befürchtung zu zerstreuen. In den neuen Bundesländern, ist der Feiertag schon seit über 20 Jahren staatlicher Feiertag, ohne dass es je Anlass zu kritischen Rückfragen gegeben hätte.

Für die 70-85 Prozent Befürworter spricht also viel dafür und wenig dagegen, den 31. Oktober als gesetzlichen Feiertag einzuführen. Auch auf die vielfältigen Impulse der Reformation für Musik, Literatur und Kunst lässt sich hinweisen.

Das wohlhabende Deutschland ist zum Feiern zu knauserig

Aber, ach. In Deutschland will man feiern – nur kosten darf es nichts. Was für eine kleinliche und unwürdige Debatte sich in manchem Bundesland abspielt, mag man gar nicht laut sagen. Bayern hatte vor der Abschaffung des Buß- und Bettags einmal 14 Feiertage und ist damit zum wirtschaftsstärksten Bundesland aufgestiegen. Heute befürchtet die FDP in Niedersachsen, dass das Land mit 10 statt 9 Feiertagen quasi untergeht.

Feiertage tun der Gesellschaft gut. Sei es für Besinnung, zur „seelischen Erhebung“, zum Ausstieg aus dem kommerziellen Hamsterrad, sei es für gemeinsam verbrachte Zeit, sei es als klassischerFeier- und Ruhetag“.

Insgesamt – das legen auch wirtschaftliche Berechnungen nahe – tut ein gerüttelt' Maß an Feiertagen nicht nur der allgemeinen Gesundheit und „Psychohygiene“, sondern auch der Produktivität nur gut.

Vielleicht braucht es hier tatsächlich das bayerische Vorbild. Vielleicht ist sogar nötig, dass es zuerst eine Art bayerische Erlaubnis für die zögerlichen Preußen gibt: Indem Bayern vorangeht, zur alten Regelung mit 14 Feiertagen zurückkehrt und den Reformationsfeiertag einführt.

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Anmerkungen

1 Online-Umfrage 2. März 2018

Sollte der Reformationstag immer Feiertag sein?

Nein, diesen Feiertag braucht kein Mensch - 10 %

Unentschieden - 9 %

Ja, wir sollten unsere Glaubensgeschichte besser pflegen - 81 %

Quelle: Nordwest-Zeitung - NWZOnline.de

1250 Teilnehmer an der Umfrage

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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