Politischer Aktivist oder Krawalltourist?

Gerichtsprozess Der mutmaßliche Rädelsführer der Proteste gegen den Wiener Akademikerball im Januar diesen Jahres steht vor Gericht. Dem Jenaer Studenten drohen bis zu fünf Jahre Haft.

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Proteste gegen den Akademikerball in Wien.
Proteste gegen den Akademikerball in Wien.

Foto: DIETER NAGL / AFP / Getty Images

Der von der rechtspopulistischen FPÖ veranstalte Akademikerball am 24. Januar diesen Jahres in der Wiener Hofburg wurde von starken Protesten begleitet. Es kam zu Ausschreitungen, bei denen 14 Demonstranten festgenommen wurden. Freigelassen wurden alle bis auf den 23-jährigen Josef S. aus Thüringen. Der Jenaer Student war gemeinsam mit anderen Rechtsextremismus-Gegnern aus Deutschland angereist, um die insgesamt 6000 Demonstranten in Wien zu unterstützen.

Nach neunzehn Wochen Untersuchungshaft im Wiener Gefängnis fand am vergangenen Freitag der erste Verhandlungstag statt. Vorgeworfen werden ihm Landfriedensbruch, schwere Sachbeschädigung, versuchte absichtliche schwere Körperverletzung und die Rädelsführerschaft innerhalb des sogenannten Schwarzen Blockes. Diese Liste von Anklagepunkten bedingt den Eindruck, dass Josef S. für die Mehrzahl der im Rahmen der Demonstration begangenen Straftaten verantwortlich sein soll. So verwundert es nicht, dass sich die achtseitige Anklageschrift zum großen Teil mit Vorwürfen gegen die Demonstranten an sich befasst und keine konkreten Verstöße des Angeklagten behandelt. Der besagte Schwarze Block wird dargestellt als „kohortengleiche Formation [...] uniformierter [...] Personen [...] mit militärischem Auftreten“, deren Ziel „einzig und allein [...] schwere Gewalttaten gegen Menschen oder bestimmte Sachen“ sind. Selbst wenn dieser Vorwurf auf einige Demonstrationsteilnehmer zutreffen mag, ist es keine Beschreibung des Josef‘, welchen ich in der Schule kennenlernte und mit dem ich als Freund in naher Nachbarschaft aufgewachsen bin. Unabhängig davon, ob diese Vergehen einem jungen Mann wie ihm, ohne Vorstrafen, besonnen und engagiert in einer SPD-nahen Jugendorganisation, zuzutrauen sind: die Beweislage der Staatsanwaltschaft ist dünn.

Die Anklage stützt sich hauptsächlich auf die widersprüchliche Aussage eines Polizeibeamten. Eine von ihm angefertigte belastende Aufnahme, auf der der Angeklagte beim Anstacheln der randalierenden Menge zu hören sein soll, wurde bereits durch ein Gutachten widerlegt. Ob man zum Führer einer unstrukturierten Menge von 500 Demonstranten wird, nur aufgrund einer auffälligen Statur mit 1,95m Körpergröße und dem Tragen eines Pullovers mit weißer Aufschrift – während andere Demonstranten einheitlich schwarz gekleidet sind – ist ebenso zweifelhaft. Dass es trotz der Vielzahl von Fotos und Videos vom Ort der Ausschreitungen keine Aufnahme von S. gibt, die ihn bei der Begehung einer Straftat zeigt, spricht für sich. Das einzige Video, in welchem er zu sehen ist, zeigt ihn nicht etwa beim Werfen, sondern beim Aufstellen eines umherrollenden Mülleimers.

Fortgesetzt werden die Verhandlungen am 21. und 22. Juli. Erst dann wird sich zeigen, ob S. die ihm drohende ein- bis fünfjährige Haftstrafe antreten muss. Von besonderer Brisanz ist hierbei der Vorwurf des Landsfriedensbruchs. Dieser erlaubt eine Verurteilung des Angeklagten als Teil einer Menge, aus der heraus Straftaten begangen wurden – auch ohne, dass er selbst an diesen beteiligt war. Bis zu den nächsten Verhandlungstagen muss S. weiterhin in U-Haft bleiben, da ihm, wie bereits bei früheren Haftprüfungen, weiterhin Tatbegehungsgefahr vorgeworfen wird.

„Ich komme aus einer Gegend, in der es zum guten Ton gehört, sich gegen Rechtsradikalismus zu stellen.“ – Josef S.

Was bleibt ist die Frage, ob der Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermutung auch dann noch dann noch gewährleistet ist, wenn bereits in der Anklageschrift eine Vorverurteilung der Aktivisten als „erfahrene ‚Demonstrationssöldner‘ aus der BRD“ stattfindet. Der Verdacht liegt nahe, dass ein politisch motiviertes Urteil mit Signalwirkung herbeigeführt werden soll - die Verurteilung eines willkürlich gewählten Demonstranten, stellvertretend für alle Mitglieder des sogenannten Schwarzen Blocks.

Ich hoffe, dass der weitere Prozess dem Rechtsstaat Österreich nicht hohn spricht und die Anwesenheit des Generalsekretärs von Amnesty International Österreich, sowie eines Vertreters der deutschen Botschaft als Prozessbeobachter ihr Ziel nicht verfehlt. Josef und seiner Familie, die sich mit aller Kraft für ihn einsetzt, wünsche ich weiterhin genug Energie, um diese schwere Zeit durchzustehen. Hiermit appelliere ich an alle Leserinnen und Leser den offenen Brief, verfasst vom Arbeitskreis Grundrechte, gerichtet an den österreichischen Justizminister Dr. Brandstetter zu unterzeichnen, „damit ein junger Mensch nicht zum ‚Bauernopfer‘ eines misslungenen Polizeieinsatz[es]“ wird.

Beitrag bei FM4/ORF.at: http://fm4.orf.at/stories/1739598/

Blog der Familie des Angeklagten: http://freiheit-fuer-josef.familientagebuch.de/

Erläuterungen zum Landfriedensbruch: http://wien.orf.at/news/stories/2641546/

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